In der Nacht auf morgen Freitag (Schweizer Zeit) beginnt die neue NFL-Saison mit dem Duell des Titelverteidigers aus Philadelphia und dessen grossem Rivalen aus Dallas. Am frühen Samstagmorgen messen sich dann Kansas City und die Los Angeles Chargers in São Paulo, bevor der Sonntag dann die gewohnte Welle an Spielen bringt.
In diesem Jahr werden die üblichen Verdächtigen als Titelfavoriten gehandelt. Da wären die Kansas City Chiefs um Patrick Mahomes, welche drei der letzten sechs Super Bowls gewonnen haben. Dann die beiden (noch) ewigen Herausforderer aus Baltimore um Lamar Jackson und Buffalo um Josh Allen. Und natürlich auch die Philadelphia Eagles, die sich am Ende der letzten Saison mit einem überragenden Auftritt gegen die Chiefs zum Champion krönten.
Während sich bei diesem Quartett nur wenig verändert hat, mussten sich die Detroit Lions neue Verantwortliche für die Offensive und die Defensive suchen. Das beste Team der Regular Season erlebte in den Playoff-Viertelfinals eine herbe Enttäuschung gegen Washington, danach verliessen sowohl Ben Johnson als auch Aaron Glenn das Team. Offensivgenie Johnson heuerte als Cheftrainer bei den Chicago Bears an, der bisherige Defensivkoordinator Glenn ist neu Headcoach bei den New York Jets. Es sind keine leichten Voraussetzungen für die Lions, aufgrund des Talents im Kader und des vor Energie nur so strotzenden Trainers Dan Campbell gehören sie aber mindestens zum erweiterten Favoritenkreis.
Doch die NFL wäre nicht die NFL, wenn es dahinter nicht noch einige Kandidaten gäbe, die für eine Überraschung sorgen könnten. Wie zum Beispiel die San Francisco 49ers, die nach einer – auch wegen Verletzungen – sehr enttäuschenden Saison wieder angreifen möchten. Aber nicht nur das altbekannte Team von Trainer Kyle Shanahan und Quarterback Brock Purdy lauert, wenn die Favoriten ausrutschen. Auch diesen Franchises ist im Idealfall gar der Titel zuzutrauen.
Gemäss Buchmachern sind die Green Bay Packers das beste Team hinter den fünf Topkandidaten auf den Super Bowl. Schon in der letzten Saison gewann die Franchise aus dem Bundesstaat Wisconsin elf Spiele, scheiterte als Siebter der NFC aber in der ersten Runde der Playoffs am späteren Champion Philadelphia.
Das Team von Trainer Matt LeFleur gehörte offensiv wie defensiv zu den besten der Liga. Im Angriff setzen die Packers vor allem darauf, dass sich der 26-jährige Quarterback Jordan Love auch in seiner dritten Saison als Stammspieler nochmal weiterentwickelt, wobei ihm auch der neue Wide Receiver Matthew Golden, der im Draft in der 1. Runde ausgewählt wurde, helfen soll.
Auf der anderen Seite des Balles hingegen sorgte das Traditionsteam für einen echten Hammer: Für unter anderem zwei Erstrundenpicks wurde Superstar-Linebacker Micah Parsons von den Dallas Cowboys verpflichtet und mit einem Vierjahresvertrag über 188 Millionen Dollar ausgestattet. Der 26-Jährige soll nun für die Packers auf Quarterback-Jagd gehen und eine ohnehin schon starke Defensive verstärken. Wird die Offensive um Love nochmal konstanter und abgebrühter, könnte mit dem neuen, 1,90 Meter grossen und 111 Kilogramm schweren Puzzleteil der ganz grosse Wurf gelingen.
Die Washington Commanders waren in der letzten Saison die grosse Sensation. Nach Jahren des Leidens erreichte die Franchise aus der US-amerikanischen Hauptstadt völlig überraschend das NFC-Championship-Game. Zum ersten Mal seit über dreissig Jahren und dem letzten Super-Bowl-Gewinn waren die Commanders nur einen Sieg vom grossen Final entfernt. Gegen den späteren Champion blieb Washington aber chancenlos.
Ein grosser Anteil an diesem Erfolg hatte auch Rookie-Quarterback Jayden Daniels. In seiner ersten Saison konnte der Spielmacher, der im Draft als zweiter Spieler ausgewählt wurde, überzeugende Leistungen zeigen. Völlig zu Recht wurde er zum Offensive Rookie of the Year gewählt. Natürlich ist das grosse Fragezeichen beim 24-Jährigen, ob er auch im Jahr der Bestätigung weiterhin solch starke Leistungen zeigen kann.
Um ihren jungen Quarterback noch besser zu schützen, haben die Commanders zum einen im Draft in der ersten Runde Offensive Tackle Josh Conerly Jr. ausgewählt und bei einem Trade mit den Houston Texans Laremy Tunsil erhalten. Die Defense, welche im letzten Jahr eine Schwäche von Washington war, wurde unter anderem mit dem einstigen Super-Bowl-MVP Von Miller aufgestockt. Mit den Philadelphia Eagles ist der grosse Favorit der Conference aber in derselben Division wie die Commanders.
Seit 2021 schlossen die Cincinnati Bengals jede Saison mit einer positiven Bilanz ab. Doch in den letzten zwei Spielzeiten wurden die Playoffs trotzdem verpasst (jeweils neun Siege und acht Niederlagen). Obwohl Quarterback Joe Burrow 43 Touchdowns warf – ein persönlicher Rekord – und auch das höchste Quarterback-Rating seiner Karriere aufweisen konnte, verlief die Saison auch wegen einer sehr schwachen Defensive enttäuschend.
Kein Wunder, wurde im Draft zunächst die Verteidigung verstärkt. In der ersten Runde entschieden sich die Bengals für Defensive End Shemar Stewart und auch in der zweiten Runde wurde mit Linebacker Demetrius Knight Jr. ein Mann für die Verteidigung ausgewählt. Für Unruhe sorgte in der Offseason aber der wahrscheinlich beste Spieler in der Verteidigung Cincinnatis. Pass-Rusher Trey Hendrickson entschied sich für einen Streik, da er sich unterbezahlt fühlte. Die Bengals diskutierten auch mit anderen Franchises, doch es kam zu keiner Einigung. Kurz vor dem Saisonstart fanden die Bengals und Hendrickson doch noch eine Lösung. Der Sack-Leader der vergangenen Saison erhält in diesem Jahr nun 30 statt 14 Millionen Dollar.
Sollte sich die Defensive stabilisieren und Burrow mit Star-Wide-Receiver Ja'Mar Chase auf der anderen Seite des Balles wie in den letzten Jahren für Furore sorgen, kann mit den Bengals definitiv gerechnet werden. Zuletzt erreichte Cincinnati vor dreieinhalb Jahren den Super Bowl, verlor diesen aber gegen die Los Angeles Rams.
Noch im letzten Frühling schienen die Denver Broncos am Boden. Quarterback Russell Wilson wurde zum teuersten Fehlgriff der NFL-Geschichte und belastet das begrenzte Gehaltsbudget auch in dieser Saison noch mit 32 Millionen Dollar, obwohl er vor anderthalb Jahren entlassen wurde. Damit benötigt er so viel Raum unter der Gehaltsobergrenze wie kein Spieler der Broncos. Im Draft 2024 entschied sich Denver dann schon an zwölfter Stelle für Quarterback-Talent Bo Nix, was für viele Experten zu früh kam.
Doch sie sollten sich irren. Nix spielte eine starke Rookie-Saison und führte die Broncos mit zehn Siegen in die Playoffs. Entscheidenden Anteil hatte dabei Trainer und Quarterback-Flüsterer Sean Payton. Denver stellte eine grundsolide Offensive, die gerade in der Schlussphase der Saison immer stärker wurde, auch wenn die 1. Playoff-Runde gegen Buffalo deutlich verloren ging. Die Hoffnungen sind natürlich gross, dass der 25-jährige Nix hinter der hervorragenden Offensive Line noch besser sein wird.
Defensiv war Denver ohnehin schon überragend und verstärkte sich nun noch mit Linebacker Dre Greenlaw und Safety Talanoa Hufanga von San Francisco. Aufgrund des traditionell grossen Heimvorteils in der auf 1600 Meter über Meer gelegenen Stadt in Colorado ist die grosse Überraschung nicht auszuschliessen. Obwohl der Weg in der AFC mit den Chiefs, den Bills und den Ravens ein sehr schwieriger ist.
Eigentlich wurde von den Houston Texans letzte Saison schon erwartet, die Topteams der AFC ärgern zu können. Schliesslich schoss C. J. Stroud in den Quarterback-Ranglisten der Experten in seiner Rookie-Saison 2023/24 weit nach oben. Es folgte aber eine etwas enttäuschende Saison. Stroud schien fehleranfälliger und auch sonst machte die Offense einen Rückschritt. Zwar gewann Houston zehn Spiele und gar die 1. Playoff-Runde gegen die an diesem Tag katastrophalen Chargers, doch unterlag es im Viertelfinal in Kansas City.
Ein Grossteil der Kritik blieb an Offensivkoordinator Bobby Slowik hängen. Er wurde nun durch Nick Caley ersetzt, der lange in Assistenztrainerrollen für die Los Angeles Rams und New England Patriots gearbeitet hat. Als Passspielexperte soll er Stroud wieder in die Spur bringen. Mit Top-Receiver Nico Collins steht dem 23-jährigen Spielmacher dabei eine zuverlässige Anspielstation zur Verfügung, die Abgänge von Laremy Tunsil und Shaq Mason in der Offensive Line dürften aber nur schwer zu verschmerzen sein. Stroud dürfte also nicht selten von gegnerischen Verteidigern bedrängt werden.
Gleichzeitig verfügt Houston aber selbst über eine hervorragende Defensive, die in der letzten Saison zu den besten gehörte. Es gibt wenig Gründe, weshalb sie das nicht erneut sein kann. Gemeinsam mit einem talentierten Quarterback, der hoffentlich an seine Rookie-Saison und nicht an seine zweite NFL-Saison anschliesst, ist viel möglich.