Es ist das mysteriöseste Machtzentrum des Sports. Um dieses Gremium ranken sich mehr Legenden als um das FBI. Seine Sitzungen während eines Schwingfestes sind geheimer als jene des sowjetischen Politbüros unter Obmann Josef Stalin. Und es beeinflusst seinen Sport stärker als Marc Lüthi den Büroalltag beim SCB.
Dabei ist die Bezeichnung so uncool und holprig, als handle es sich um eine Unterabteilung des Bundesamts für Statistik: Einteilungskampfgericht. Diesem Gremium verdankt das Schwingen die Attraktivität. Aber eben auch den bösen Ruf, es werde gemauschelt.
Wenn in einem Kampfsport der Sieger aus über 200 Einzelkämpfern am Abend des zweiten Tages feststehen, wenn sich die Spannung während zwei Tagen stetig aufbauen und sich schliesslich in einem Final, dem sogenannten Schlussgang, entladen soll, dann muss eben eingeteilt werden. Es ist nicht möglich, dass jeder gegen jeden kämpft.
Wer gegen wen in die Hosen steigen muss, entscheidet dieses legendäre Einteilungskampfgericht. Sechs Männer sind in Mollis die «Königsmacher». Sie lenken die Dramaturgie eines Festes. Die technischen Leiter (Sportchefs) der fünf Teilverbände Bern (Roland Gehrig), Nordostschweiz (Fridolin Beglinger), Südwestschweiz (Christian Kolly), Nordwestschweiz (Guido Thürig) und Innerschweiz (Stefan Muff) plus Stefan Strebel als technischer Leiter des eidgenössischen Gesamtverbandes. Er hat den Vorsitz.
Diese Männer amten diskret ihres Amtes, ihre Namen sind dem breiten Fest-Publikum kaum bekannt, und das Einteilungsbüro ist das «Allerheiligste» beim Eidgenössischen. Es darf von Unbefugten nicht betreten werden und Rekurse gegen die Entscheide oder Reklamationen sind nicht erlaubt.
Diese sechs «Königsmacher» arbeiten stehend um einen grossen Tisch herum, auf dem die Notenblätter aller Schwinger aufliegen. Sie arbeiten während des Festes unter Hochdruck eng zusammen und sind doch unerbittliche, mit allen Wassern gewaschene Rivalen. Sie vertreten beim Eidgenössischen mit allen Mitteln das Interesse ihres Teilverbandes. Sie versuchen alles, damit ihre Schwinger möglichst passende Gegner erhalten.
Diese Einteilung läuft nach zwei einfachen Grundsätzen. Erstens: Es sollen immer die Besten – also jene mit den meisten Punkten aus den bisherigen Kämpfen – gegeneinander antreten. Zweitens: So lange wie möglich sollen es aber nicht zwei Schwinger aus dem gleichen Teilverband sein.
Um die Paarungen der zweiten Ranglistenhälfte gibt es kaum je eine Diskussion. Gefeilscht wird nur um die für den Ausgang des Fests entscheidenden Gänge. Der Vorsitzende, Stefan Strebel, schlägt die Paarung vor, die Mitglieder des Einteilungskampfgerichts können Einwände erheben und versuchen, ihren Kandidaten durchzubringen.
Diese Einteilung ist so entscheidend, weil nur selten ein Schwinger so stark, so böse und so überlegen ist, dass er ein Eidgenössisches gewinnt, egal welche Gegner ihm das Einteilungskampfgericht zuweist. Erst recht in Mollis mit dem an der Spitze vielleicht ausgeglichensten Teilnehmerfeld der Geschichte.
Schwinger sind nicht in Gewichtsklassen unterteilt. Je nach Grösse, Gewicht, Kraft und Beweglichkeit bevorzugen sie völlig unterschiedliche Kampfstile. Es gibt Gegner, die einer aufgrund seiner Kampfweise fast nicht besiegen kann. Aber andere, die ihm dafür perfekt liegen. Das bedeutet: Die Männer im Einteilungskampfgericht müssen nicht nur Stärken und Schwächen der «Bösen» ihres Teilverbandes und jene der anderen Teilverbände kennen. Je besser, je schlauer der Vertreter eines Teilverbandes im Einteilungskampfgericht, desto besser für die Bösen seines Teilverbandes draussen im Sägemehl.
Stans 1989 ist bis heute das spektakulärste Beispiel, wie ein Eidgenössisches auch durch das Einteilungskampfgerichtes entschieden worden ist. Für die Berner sitzt der schlaue Metzgermeister Heinz Seiler im Gremium.
Im Schlussgang wird der haushohe Favorit Eugen Hasler sensationell vom Berner Adrian Käser besiegt. Käser liegt nach dem ersten Tag lediglich auf dem 65. Rang. Er hat nun am Sonntag im fünften und sechsten Gang relativ leichte Gegner (beiden wird es nicht einmal zum Kranz reichen), punktet und steht nach sechs Kämpfen plötzlich in der Spitzengruppe. Klar ist allen, dass Käser nun im siebten Durchgang einen starken Gegner, einen ganz «bösen» bekommen muss.
Es gibt einen ganz unangenehmen Gegner, scheinbar perfekt, um den Jungspund aus dem Bernbiet in den Senkel zu stellen: den bärenstarken, aber etwas ungelenken Zwei-Meter-Riesen Clemens Jehle vom nordostschweizerischen Teilverband. Der international gestählte Judo-Titan (Olympiateilnehmer 1984, EM-Medaillengewinner) mag schwingerisch etwas unbeholfen sein. Er ist aber so kräftig und hat einen so eisernen Griff, dass er jedem einen Gestellten (ein Unentschieden) abtrotzen kann.
Die Vertreter aus der Südwest-, Nordwest- und Innerschweiz im Einteilungskampfgericht sträuben sich dagegen, ihre Favoriten im zweitletzten Durchgang gegen Jehle antreten zu lassen. Der schlaue Seiler aber hat nichts dagegen, Käser gegen Jehle ins Sägemehl zu schicken. Er weiss, dass der technisch brillante Käser den Riesen leichter fällen kann als einen wendigen, technisch starken Gegner. Kommt dazu: Käser ist Hüfter-Spezialist und Jehle kann fast nur mit einem Angriff von der Seite (mit einem Hüfter) aus dem Gleichgewicht gebracht werden. Und wenn der Riese fällt, ist die Maximalnote sicher und der Schlussgang möglich.
Und tatsächlich: Käser fällt Jehle wie einen Baum, bekommt die Maximalnote 10, zieht in den Schlussgang ein und wird mit 18 Jahren der jüngste König der Geschichte. Mit ziemlicher Sicherheit war damals nur der unbekümmerte, kecke, technisch brillante Berner dazu in der Lage, den himmelhohen Favoriten Hasler zu besiegen. Für Jehle hat es 1989 in Stans immerhin noch zum Kranz gereicht.
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