Ein Schwinger ist dann kein Eidgenosse, wenn er noch keinen eidgenössischen Kranz gewonnen hat. Die Eidgenossen bilden den Adel der Sägemehlkultur.
Deshalb murren Puritaner, es gehe nicht an, dass es der König zum Auftakt nicht wenigstens mit einem Eidgenossen zu tun bekommt. Aber Stefan Strebel – der Technische Leiter des Verbandes hat das Privileg, die Paarungen des 1. Ganges allein zusammenstellen zu dürfen – hat gut eingeteilt.
Mag sein, dass Michael Moser kein Eidgenosse ist. Aber er hat das Teilverbandsfest der Berner gewonnen und sich beim Teilverbandsfest der Nordostschweizer zusammen mit Damian Ott und Werner Schlegel im 1. Rang klassiert. Wahrlich, ein würdiger Gegner für den König. Eidgenosse hin oder her.
Aber jetzt noch ein Blick zurück: Was war 1989? Damals verlor ein himmelhoch favorisierter Innerschweizer – Eugen Hasler – den eidgenössischen Schlussgang gegen einen Teenager aus dem Bernbiet, der noch nicht einmal ein Eidgenosse war. Gegen Adrian Käser (18).
Nun geht es um den 1. Gang in Mollis und nicht um den Schlussgang. Wir sollten nicht Äpfel mit Birnen vergleichen. Eine Niederlage können beide Schwinger noch korrigieren und sie muss nicht viel mehr bedeuten als ein verlorenes Bully zum Auftakt eines Playoff-Finalspiels. Und doch: Zum Auftakt gegen Michael Moser zu verlieren, wäre für den König schmählich. Und es könnte bei den Bernern noch mehr Emotionen und Kräfte und Erinnerungen an 1989 freisetzen.
Michael Moser ist nicht Adrian Käser. Aber nicht nur Emmentaler bezeichnen ihn als grösstes Talent der Berner und er steht für bernische Schwinger-Romantik. Wenn sich der grosse Dichterfürst, Pfarrer und Schulaufseher Jeremias Gotthelf einst von Lützelflüh her mit dem Ross auf den Weg nach Bern machte, um der Regierung zu rapportieren, dann kam er sehr wahrscheinlich beim Weiler Kleinroth ob Biglen vorbei. Auf Kleinroth finden wir das Heimwesen der Familie Moser. Emmentaler Romantik pur.
Hans Moser vom Kleinroth hat einen Sohn, auf dem die königlichen Hoffnungen der Emmentaler ruhen: Michael Moser. Seit Hans Roth 1931 in Zürich obenausgeschwungen hat, plangen die Emmentaler auf einen König aus ihrem Gauverband. Das Emmental ist zwar die Urheimat des Schwingens. Aber die Könige der Berner kommen seit bald hundert Jahren aus den anderen bernischen Gauverbänden (Mittelland, Oberaargau, Seeland, Jura, Oberland).
Die Frage ist vor dem 1. Gang am Samstagmorgen: Kann Moser nicht nur seinen ersten eidgenössischen Kranz holen (was allenthalben als Minimum erwartet wird), sondern auch gleich König werden? Das Talent dazu hat er. Wenn die Alten zwischen Hohgant und Heimiswil über die Aussichten beim Eidgenössischen im Mollis dischpidieren (= diskutieren), dann vergleichen sie Michael Moser sogar mit David Roschi.
Die heutige Generation kennt den Namen kaum mehr. Der Simmentaler war 1972 König. Die jüngeren Kenner hoffen, Moser werde der nächste Adrian Käser (König 1989) oder Kilian Wenger (König 2010). Schlau, flink, instinktsicher, zäh und drahtig wie Roschi 1972. Keck, athletisch, technisch vielseitig und bedingungslos offensiv wie Käser 1989 oder Wenger 2010.
Als im Fernsehen die Bilder vom Eidgenössischen 2010 in Frauenfeld laufen, schwingt Michael Moser in der Wohnstube noch mit einem grossen Stoffbären. Als Jungschwinger gewinnt er an die 50 Feste und holt 145 Zweige. Noch vor seinem 19. Geburtstag hat er bereits 13 Kränze errungen – mehr als die Könige Matthias Glarner (9), Matthias Sempach (9) und Wenger (8) und auch mehr als Samuel Giger (9) im gleichen Alter.
Moser mag immer noch fast ein Teenager sein (am 22. Juli ist er 20 Jahre alt geworden). Aber inzwischen fordert er die Bösesten der Bösen auf Augenhöhe heraus und ist bereits bei 27 Kränzen und vier Kranzfestsiegen angelangt.
Sollte er König werden, so hat die Armee einen Anteil an der Thronbesteigung: Im Winter hat Moser die Spitzensport-RS in Magglingen oben absolviert. Während Wochen konnte er erstmals wie ein Profi trainieren. Unter der kundigen Anleitung von Matthias Glarner. Der König von 2016 ist Fachleiter Schwingen in Magglingen und Mosers Fortschritte im physischen Bereich sind unübersehbar: Er hat gegenüber der letzten Saison sicherlich um zehn Kilo zugelegt und ist von königlicher Postur (über 100 kg). Er ist im Militär noch «böser» geworden.
Aber ist er auch mental robust genug, um König zu werden? Ein Titan ist er ja schon und mit 191 Zentimetern fast einen Kopf grösser als Joel Wicki (182 cm). Als Bauernsohn und gelernter Landwirt ist er – wie der König - bestens geerdet.
Aber ein Aussenseiter, der unbeschwert und unbeachtet nach Mollis reisen und dort erst einmal – wie 1989 Adrian Käser – unter dem Radar der Einteilung durchrutschen kann, ist er nicht mehr. Landesweiter Ruhm eilt Moser bereits voraus. Er bewegt sich auf dem schmalen Grat des unbekümmerten Selbstvertrauens.
Moser hat weniger zu verlieren, weil die Erwartungen beim König liegen. Das kann befreiend wirken und erlaubt, couragiert Risiken einzugehen. Diese Unbeschwertheit ist meistens die Mutter der Sägemehl-Sensationen (wie 1989). In Ehrfurcht vor dem König wird Michael Moser nicht erstarren.
Zuletzt sind sich Michael Moser und Joel Wicki im 1. Gang auf dem Brünig im Sägemehl begegnet. Der Gang endete mit einem Gestellten (Unentschieden) und brachte für beide wegen zu viel Passivität bloss 8,75 statt 9,00 Punkte. Am Samstagmorgen sollten sie in Mollis für etwas mehr Spektakel sorgen.