Der Super Bowl ist das alljährliche Endspiel um die US-Meisterschaft im Football. Es ist viel mehr als Sport. Beim Super Bowl inszeniert und feiert sich das wahre Amerika. Das Eidgenössische Schwingfest ist die kraftvolle Entfaltung schweizerischen Brauchtums und viel mehr als Sport. Beim Eidgenössischen inszeniert und feiert sich die wahre Schweiz.
Wo die wahre Schweiz ist, da wollen auch Politikerinnen und Politiker hin. Was zwei schöne Geschichten belegen. Wenn es Abend wird im Bernbiet und das Tagwerk getan ist, erzählen die altgedienten Granden der SVP eine Geschichte. Beim Eidgenössischen gab es den schönen Brauch, dass alle politischen Würdenträger der Region die Schwingerfahne beim Festumzug vom Bahnhof zum Festplatz begleiten dürfen. So habe SVP-Nationalrat Adolf Ogi auch 1983 in Langenthal mitmarschieren wollen. Das OK habe sein Ansinnen jedoch mehrmals abgelehnt: Als Berner Oberländer gehöre er nun mal nicht zum Oberaargau. Da sei nichts zu machen.
Als die Fahne dann am Sonntagvormittag pünktlich im Bahnhof Langenthal angekommen sei, habe Adolf Ogi dagestanden. Frisch gebürstet und gekämmt, und sei im Festumzug ganz vorne mitmarschiert. Niemand habe den Mut gehabt, den aufstrebenden Jungpolitiker wegzuweisen. Vier Jahre später ist Adolf Ogi Bundesrat. 1992 darf er in Olten beim Eidgenössischen ganz offiziell die Festansprache halten.
Diese Geschichte hat später eine neue Pointe. Einer der alten SVP-Generäle, der noch Adolf Ogis Feldzug in die Landesregierung planen half, pflegte später zu sagen, der Blocher sei dann schon ein ganz anderer, der habe solche billigen Trickli wie der Ogi einst in Langenthal nicht nötig.
In der Tat: Beim Eidgenössischen 1995 in Chur hat SVP-Nationalrat Christoph Blocher buchstäblich das letzte Wort. Zwar pflegt der Bundesrat die jeweilige Sportministerin oder Sportminister als Festrednerin oder Festredner ans Eidgenössische zu entsenden. Die Worte der Vertreterin oder des Vertreters der Landesregierung gehen vom Sägemehl direkt in des Volkes Seele.
Der Grund, weshalb damals das OK in Chur Christoph Blocher auf dem EMD-Grund (Eidgenössisches Militärdepartement; heute: VBS) Rossboden diese bestmögliche Bühne in einem Wahljahr bietet, ist einleuchtend. Der Gottseibeiuns der konservativen Schweiz ist Ehrenpräsident dieses Schwingfestes. Er hat ein Heimspiel. Denn seine Ems-Chemie ist bei diesem Eidgenössischen Hauptsponsor.
Offiziell wird von 200'000 Franken gesprochen. Damals, vor der grossen Kommerzialisierung des eidgenössischen Brauchtums eine atemberaubende Summe. Die grösste, die bis zu diesem Zeitpunkt je von weltlichen Grössen an die Sägemehl-Ajatollahs überwiesen worden ist. In Tat und Wahrheit dürfte es sich wohl sogar um eine halbe Million handeln, die sich die Ems-Chemie den eidgenössischen Hosenlupf kosten lässt.
Die Organisatoren mussten damals so wie heute noch für das Budget ihres Festes aufkommen. «Der Blocher hat es ja, warum soll er sich also nicht beim Eidgenössischen engagieren?» antwortete damals ein hochrangiger Schwingerfunktionär auf die besorgten Fragen den Gralshütern der reinen Sägemehltradition. Ihnen war ein solcher Geldsegen unheimlich.
Bundesrätin Ruth Dreifuss spricht 1995 in Chur zum Volk der Schwinger und sie erntet ein wenig unruhiges Murmeln bei den Zuhörerinnen und Zuhörern im weiten Rund und einzelne Pfiffe. Was richtigerweise nicht goutiert worden ist. Das letzte Wort aber hat dann Christoph Blocher. Er spricht nur etwas länger als 300 Sekunden. Zeit genug für ein paar rhetorische Fussstiche und einige politische Kurz-Lätz. Freundlicher Applaus folgt seiner Ansprache.
Sowohl Adolf Ogi wie auch Christoph Blocher haben keine dokumentierte schwingerische Vergangenheit. Letzterer pflegte damals zu sagen, er sei für die Schwingerei «zu klein und zu leicht.» Dem stimmt der Fachmann zwar nicht zu. Hansueli Mühlethaler beispielsweise war mit 170 Zentimeter noch kleiner als der SVP-Titan und gewann doch mehrmals das Berner Kantonalfest und eidgenössisches Eichenlaub.
Eine Lehre aus diesem kurzen Blick in die Geschichte des wichtigsten Schwingfestes: In der eidgenössischen Politik kann man fast alles erreichen: Entweder mit Chuzpe wie Adolf Ogi oder mit Geld wie Christoph Blocher. Oder um es mit Jeremias Gotthelf poetisch zu sagen: Mit Geist und Geld.