So richtig darüber reden mochte Lara Gut-Behrami am Wochenende in Cortina d’Ampezzo nicht. Zu viel war passiert. Zu sehr hatten sie die vielen Stürze mitgenommen, die langen Unterbrüche. Sehr intensiv sei das alles gewesen, sagte die Tessinerin nach den Rennen im Südtirol.
Die 32-Jährige wurde in Cortina d’Ampezzo Zweite, Fünfte und Erste, das gibt unter dem Strich: 225 Punkte, mit dem heutigen Sieg in Kronplatz kamen noch einmal 100 dazu. Und weil auf dem Konto von Mikaela Shiffrin, der Führenden im Gesamtweltcup, kein einziger Zähler dazugekommen ist, liegt die Amerikanerin jetzt nur noch 95 Punkte vor der Schweizerin.
Und doch ist das Thema nach diesen ereignisreichen Tagen ganz schön gross geworden: Die Frage nämlich, ob Gut-Behrami in dieser Saison im Kampf um den Gesamtweltcup noch ein Wörtchen mitreden kann.
Als Gut-Behrami am Freitag in der ersten Abfahrt auf den zweiten Platz fuhr, endete das Rennen für Shiffrin schon kurz nach dem Start. Die Amerikanerin flog heftig in die Sicherheitsnetze ab. Später humpelte sie von der Piste, ein Rettungshelikopter flog sie ins Tal.
Schwerer verletzt hat sich Shiffrin allem Anschein nach nicht; in den sozialen Medien postete der Star des Skizirkus nach dem Sturz ein Bild des einbandagierten Knies. Dazu schrieb Shiffrin, es sei zum Glück nichts Schlimmeres, sie werde nun Tag für Tag nehmen – und in Kronplatz bestimmt nicht am Start stehen.
Nach dem heutigen Rennen in Kronplatz stehen noch 15 Rennen im Weltcup-Kalender. Nur drei davon sind Slaloms, jene Disziplin also, die Mikaela Shiffrin seit Jahren dominiert. 630 Punkte hat sie diese Saison allein dort gewonnen – lange bildeten sie das Fundament ihres stattlichen Polsters im Gesamtweltcup.
Doch dieses Polster ist zuletzt geschrumpft. Und das Restprogramm vielversprechend für Gut-Behrami, weil noch neun Speed-Rennen anstehen, bei denen sie tendenziell im Vorteil ist.
Es gibt sie also, die Chance auf eine zweite grosse Kristallkugel für die Tessinerin nach jener im Jahr 2016. Damals war Gut-Behrami nicht 32, sondern 24 Jahre alt. Der Cheftrainer der Schweizer Frauen hiess in jener Zeit Hans Flatscher; er galt als wichtiger Faktor in der Erfolgsgleichung der Tessinerin.
Mittlerweile ist der Österreicher Alpin-Direktor im Schweizerischen Skiverband. Flatscher hält es in Sachen Gesamtweltcup wie Gut-Behrami: Allzu viel mag er nicht darüber reden. Er sagt, einen solchen Sieg könne man nicht planen, er müsse sich ergeben – «aber ja, wenn sie gesund bleibt, weiter voll liefert, dann ist es möglich, dass sie bis zum Schluss im Rennen um den Gesamtweltcup bleibt».
Als Gut-Behrami 2016 den Gesamtweltcup gewann, tat sie das als erste Schweizerin seit 21 Jahren und Vreni Schneider. Ihre grosse Konkurrentin hiess Lindsey Vonn. Mit ihr lieferte sich Gut-Behrami ein enges Rennen, bevor sich die Amerikanerin Anfang März verletzte.
Hans Flatscher sagt, den Gesamtweltcup habe man erst gewonnen, wenn man ihn wirklich gewonnen habe. «Es gibt so viele unberechenbare Faktoren», sagt er. Zum Beispiel: Fallen noch mehr Rennen dem Wetter zum Opfer, wie jene in Garmisch vom nächsten Wochenende, die gestern abgesagt werden mussten? Wer schafft es, gesund zu bleiben und in Form? Wer hat genug Substanz für die vielen Rennen, die bis zum Saisonende noch anstehen?
Hat Flatscher, der erfahrene Ski-Trainer, ein Rezept für Gut-Behrami bereit? Da gebe es nur eines: Auf sich selbst schauen. Und schön in der Bahn bleiben.