Die Schweizer Skirennfahrer haben abgesahnt wie lange nicht mehr. 27 Siege und insgesamt 56 Podestplätze feierten die Fahrerinnen und Fahrer von Swiss Ski. Dazu heimsten sie sieben Kristallkugeln für die Disziplinenwertungen ein. Einen grösseren Erfolg gab es letztmals vor 35 Jahren, als man in einem Winter 31 Rennen gewann. Auch das ewige Prestigeduell gegen Österreich in der Nationenwertung ging zum vierten Mal in den vergangenen fünf Jahren an die Schweiz.
Aber interessieren diese Skifestspiele ausserhalb der beiden Grossmächte Schweiz und Österreich überhaupt? Bereits in Deutschland war das Interesse an den Skirennfahrern im zu Ende gehenden Winter geringer als auch schon. Und ist Skisport aus globaler Sicht nicht lediglich ein Nischensport?
Swiss-Ski-Präsident Urs Lehmann ist ein klarer Verfechter einer Globalisierung. Michael Schiendorfer vermarktet mit Marco Odermatt den besten Skifahrer der Welt. Und Kilian Albrecht ist Manager von Mikaela Shiffrin, der einzigen Athletin mit globaler Ausstrahlung in diesem Sport.
Urs Lehmann widerspricht dezidiert der Darstellung, dass sich das Interesse hauptsächlich auf die zwei Länder beschränkt, in denen Skifahren Nationalsport ist. «Solche Thesen können nur Leute aufstellen, die noch nie in Neuseeland, den USA oder Kanada Ski gefahren sind. Nicht zu reden von Frankreich und Italien, wo der alpine Skisport Teil der Kultur und der Wirtschaft ist.»
Er sagt, die Herausforderung liege darin, den Skisport auch in einer Zeit grosser Diversität im Leben der westlichen Welt attraktiv zu machen. Er sagt, die Schweiz habe diesbezüglich die Hausaufgaben gemacht. Aber auch international sei Skifahren ein sehr angesehener Sport.
Kilian Albrecht, seit 2011 als Manager an der Seite von Mikaela Shiffrin, sieht ebenfalls eine Reichweite deutlich über die Kernländer hinaus. «Die Rennen in Killington gehörten mit 20'000 Zuschauern pro Renntag zu den absoluten Highlights im Frauenkalender dieses Winters. Aber auch die Rennen in der Slowakei oder früher in Zagreb hatten grossen Zuspruch». Albrecht sagt, bei all diesen Destinationen sei ein lokaler Skistar Treiber der Begeisterung gewesen. Der 50-jährige plädiert dafür, mit dem Weltcup primär dorthin zu gehen, wo Idole vorhanden sind.
Auch Michael Schiendorfer ist der These des begrenzten Interesses gegenüber skeptisch. Grundsätzlich sei es sehr schwierig, dies objektiv zu beurteilen, weil unklar bleibe, an was man das messen wolle. «Dass aber Ski alpin keine wirklich globale Sportart ist, ist keine neue Erkenntnis. Dank Nationen wie der Slowakei, Neuseeland oder auch Grossbritannien sind heute aber durchaus auch ein paar spannende Länder ausserhalb des Alpenraums dabei, die sogar Podestfahrerinnen und -fahrer produzieren. Wir nehmen das in unseren Breitengraden vielleicht einfach nicht so wahr.»
Er freut sich in diesem Zusammenhang auf den Nationenwechsel von Lucas Braathen zu Brasilien. «Es ist spannend zu sehen, was das allenfalls auslösen wird.» Auch dank besten Verbindungen zu Red Bull.
Kilian Albrecht wünscht sich derweil ein deutliches Erstarken des deutschen Teams. «Der deutsche TV-Markt ist der wichtigste in Europa. Und dort haben Skirennen derzeit einen schweren Stand.» Dafür freut er sich, was «sein» Fahrer Dave Ryding in Grossbritannien ausgelöst hat. «Dort schnellen die Einschaltquoten hoch, wenn er am Start steht.»
Bei der Frage, wo Mikaela Shiffrin denn der grössere Star sei – in den USA oder in Mitteleuropa – muss Albrecht nicht lange überlegen. «Dort, wo der Sport, den du betreibst, gross ist, kennen dich logischerweise mehr Leute.» Schon Bode Miller pflegte zu sagen: «I am big in Europe!»
Er weist in diesem Zusammenhang auf die Besonderheiten im Sportverständnis in Nordamerika hin. «In den Staaten interessiert Skirennsport so wie viele andere Sportarten genau alle vier Jahre – wenn die Olympischen Spiele vor der Türe stehen.»
Mikaela Shiffrin spielte jüngst ein anderer Spleen der Sportkonsumenten in den USA in die Karten: die Faszination an Rekorden. Rund um ihr Erreichen der Bestmarke bei der Anzahl gewonnener Weltcuprennen stieg das Interesse an ihr deutlich an. So wurde sie mehrmals in Talkshows im TV eingeladen – und sie wurde im vergangenen Jahr auch zur US-Sportlerin des Jahres gewählt. Aber all das ermöglicht ihr noch keinen dauerhaften Status als Sportikone.
Dafür ist die Sportart Skirennen ohnehin suboptimal. Die Protagonisten sind mit Helm und Brille «quasi anonym unterwegs. Und gerade in einem Land wie der USA, das so stark über Köpfe funktioniert, ist das alles andere als ein Vorteil», sagt Kilian Albrecht. Hingegen sei der Skisport dank Gleichberechtigung etwa beim Preisgeld in der in Nordamerikas Sport wichtigen Genderdiskussion gut aufgestellt.
Wie sieht die Situation bei Marco Odermatt aus: Hat sich durch die Zunahme der Bekanntheit das Interesse an ihm nur vergrössert oder ist es auch internationaler geworden? Michael Schiendorfer sagt, es sei definitiv auch Letzteres der Fall. Auch er erkennt dabei einen Grossanlass als Treiber: «Die Olympischen Spiele 2026 werfen hier ihre Schatten voraus. Dort sind die internationalen Partner auch immer auf der Suche nach Aushängeschildern.»
Odermatt verfügt neben Schweizer Sponsoren über mehrere internationale Partnerschaften. Gerade Red Bull eröffne weltweite Chancen. «Es ist deshalb durchaus möglich, dass wir uns in den nächsten Jahren eine etwas globalere Diversifizierung überlegen.» Also eher ein Rennen mehr in den USA als ein zusätzlicher Auftritt in Adelboden. «Neue Märkte sind nicht nur für den Fahrer interessant, sondern auch für die Partner. Gemeinsam müssten hier Strategien entwickelt werden, wie man in den neuen Märkten Potenziale besser ausschöpft», sagt Schiendorfer.
Er sagt in Bezug auf Marco Odermatt aber auch: «Gesundheit, Freude am Sport und damit auch die verbundene Lebensfreude müssen immer wichtiger sein als die Maximierung von Werbeeinnahmen. Die totale Vermarktung von Sportlern wäre sehr gefährlich.»
Grundsätzlich sieht der Odi-Manager für den Skisport Potenzial bei internationalen Sportdokumentationen, etwa auf Netflix. «Ski wird ja oft mit der Formel 1 verglichen. Wir sprechen vom Skizirkus und im Zirkus ist immer viel los, auf unterschiedlichen Schauplätzen.» Dies noch besser zu inszenieren, habe Potenzial. Die Grenzen seien aber insofern gegeben, als dass es viele Weltregionen gebe, in denen Schnee überhaupt keine Rolle spielt.
Wo aber hat der alpine Skirennsport geografisch Potenzial? Urs Lehmann sieht an verschiedenen Orten Möglichkeiten zur Weiterentwicklung des Weltcups. Er denkt an die USA und auch an Neuseeland. «Und man kann davon halten, was man will. Aber der am schnellsten wachsende Markt im Wintersport ist China.»
Zuerst müsse sich der Skisport aber die Frage stellen, was er überhaupt will. Will man globaler werden oder weiterhin primär europäisch aufgestellt sein? Will man die tollen Skigebiete in Neuseeland integrieren? Will man die Tausenden von Skifahrer in China integrieren? «Erst danach kann man sich überlegen, wie man diese Skisportkulturen einbetten will. Das ist kein Prozess, der von heute auf morgen gelingt. Wir müssen diese Märkte entwickeln und nicht einfach schnell einmal drei Rennen dort durchführen.»
Lehmann stellt fest, dass der Konsens über das Vorgehen innerhalb der FIS noch fehle. «Jedes Mal, wenn jemand sagt, China wäre doch interessant, muss er sich für die Aussage fast schämen. Aber es stimmt schlicht nicht, dass der Skisport dort niemanden interessiere. Und ich finde es gefährlich, wenn wir Europäer Urteile abgeben, ohne das Gesamtbild dort zu kennen.»
Die zwei Manager der beiden grössten Skistars sind skeptischer. Michael Schiendorfer sagt: «Persönlich denke ich, dass die Vergabe der letzten drei Olympischen Winterspiele nach Russland, Südkorea und China aus heutiger Sicht marketingtechnisch nicht den erwünschten Effekt hatte.»
Der Vorarlberger Kilian Albrecht sagt zwar, «neue Märkte sind immer spannend», er sieht aber verschiedene Problematiken mit neuen Weltcup-Destinationen. «Die einen beklagen sich dann wegen der Klimadiskussion, die anderen wegen zu vielen Rennen.» In Bezug auf Asien sagt er dezidiert: «In Japan ist der Skisport komplett tot und auch Korea brachte bislang keinen Effekt.» Selbst in Bezug auf China ginge eine erfolgversprechende Entwicklung nicht ohne «lokale Helden».
Auch Michael Schiendorfer anerkennt das Argument, dass es in einigen potenziellen Wachstumsmarkten für den Skirennsport aktuell keine Aushängeschilder gibt. Er sagt aber, dass es das Ziel des Weltcups sein sollte, neue Märkte zu erschliessen. «Allerdings sollte man dort beginnen, wo eine Skikultur und -tradition herrscht. Märkte wie Japan, Nordamerika, Südamerika oder Neuseeland können Potenzial bieten, wobei es hierfür schon einen ausgeklügelten Terminkalender braucht – auch angesichts der Klimadebatte.»
Schiendorfer bringt eine Idee aufs Tapet: «Wieso nicht einen Weltcup organisieren, der sein Herzstück in Europa hat, aber in einer Art Rotationsverfahren jedes Jahr andere Regionen hinzunimmt? Auch aus einer anderen Überlegung heraus: «Junge Athleten müssen die Top Stars live zu sehen bekommen, sonst verlieren sie den Bezug zum Sport.»
Dieser Meinung ist auch Urs Lehmann. Er sagt, es brauche zur Entwicklung eines Produkts Botschafter und Leuchttürme. «Der Rennsport ist zudem der Leuchtturm für den Freizeitsport. Von einem Marco Odermatt lassen sich die Leute motivieren und inspirieren.»
Das grösste Potenzial sieht das Trio nach wie vor in den USA. Kilian Albrecht erklärt die zwei aktuell stark hemmenden Faktoren in Nordamerika. «Skirennen kommen nicht im TV und die Sportart ist dort sehr elitär, weil ungleich teurer als in Europa.» Deshalb plädiert der ehemalige Weltcup-Podestfahrer im Slalom, mit den Rennen an weniger bekannte Orte wie eben Killington oder auch Mont-Tremblant zu gehen, wo gerade bei den Jungen eine echte Begeisterung für den Sport und die Athleten da ist und nicht nur für das Drumherum wie bei manchen Nobelskiorten.
Am wichtigsten findet Albrecht aber etwas anderes: «Bei der FIS müssen sie endlich am gleichen Strang ziehen. Was aktuell passiert, ist Gift für den alpinen Skisport, die Athleten und die Sponsoren. Sie sollen ihre Scharmützel nicht in der Öffentlichkeit austragen.»