Kurz vor dem Ende der Skisaison kürte sich Lara Gut-Behrami am vergangenen Wochenende zur Gesamtweltcupsiegerin. Mit 32 Jahren ist sie die älteste Gesamtweltcup-Siegerin der Skigeschichte.
Die Tessinerin ist aus dem Skizirkus nicht mehr wegzudenken. Seit ihrem Weltcupdebüt im Dezember sind mehr als 16 Jahre vergangen – in der Zwischenzeit holte Gut-Behrami nicht nur 45 Weltcupsiege, sondern darf sich auch Olympiasiegerin und Weltmeisterin nennen.
Wir werfen einen Blick zurück auf eine lange Karriere, in der Lara Gut-Behrami vom jungen Skitalent zu einer der erfolgreichsten Schweizer Skifahrerinnen aller Zeiten gereift ist.
Am 2. Februar 2008 «stürzt» die 16-jährige Lara Gut zu ihrem ersten Podestplatz. Das Rennen in St. Moritz ist ihre erste Weltcup-Abfahrt überhaupt und der erst fünfte Einsatz auf höchster Stufe.
Das Bild der lachenden Tessinerin, die einen kurzen Moment braucht, um zu realisieren, dass sie trotz des Sturzes das Podest erreicht hat, geht durch die Medien. Schon damals scheint sich abzuzeichnen, dass die 16-Jährige der Schweiz noch viele Medaillen bescheren wird.
In derselben Saison, in der Lara Gut ihr Weltcup-Debüt und ihren ersten Podestplatz feiern kann, wird sie von der Schweizer Sporthilfe gemeinsam mit dem damals 21-jährigen Beat Feuz zur Nachwuchssportlerin des Jahres gewählt.
Die ehemalige Skifahrerin und 31-fache Weltcupsiegerin Erika Hess meinte jüngst gegenüber dem Blick über den frühen Erfolg der Tessinerin: «Man ist in einem Alter, in dem es noch erlaubt sein sollte, Fehler zu machen, gleichzeitig ist man dann aber in einem Milieu tätig, in dem man erwachsen sein und ein professionelles Leben führen muss».
Lara Gut deutete aber bereits als Jugendliche an, dass sie ihren eigenen Weg gehen wird: «Eins ist klar: Ich bin Lara Gut und muss meinen eigenen Weg gehen», sagte sie nach ihren ersten Erfolgen.
Den ersten Sieg feiert Lara Gut schliesslich zehn Monate nach ihrer Podestpremiere – und zwar im Super-G vor heimischem Publikum in St. Moritz. In derselben Saison folgt die WM in Val d'Isère, bei der die Tessinerin in der Abfahrt und in der Super-Kombination Silber holt.
Bereits seit 2008 ist Lara Gut mit einem Privatteam unterwegs – ein Umstand, der immer wieder für Diskussionen mit Swiss Ski sorgt. Bis heute wird die Tessinerin von ihrem Vater Pauli Gut als Trainer begleitet. Auch ihre Mutter Gabriella und ihr Bruder Ian, der es als Skifahrer im Gegensatz zu seiner Schwester nie an die Weltspitze geschafft hat, sind an den Rennen oft dabei.
Ihr ehemaliger Trainer Mauro Pini sagte jüngst gegenüber der NZZ über dies Anfänge der Skifahrerin: «Lara war wie eine Naturgewalt, die immer mehr Fahrt aufnahm. 2008 siegte sie mit 17 Jahren erstmals im Weltcup, zwei Monate später gewann sie zweimal WM-Silber. Da war sie wie ein Tsunami, der durch den Skizirkus fegte».
2009 erlebt Lara Gut den ersten grossen Rückschlag. Bei einem Riesenslalom-Training in Saas-Fee zieht sie sich bei einem Sturz eine Luxation der rechten Hüfte zu. Besonders bitter: Aufgrund der Verletzung verpasst Gut mit den Olympischen Spielen in Vancouver ein Karriere-Highlight.
2009 wird Lara Gut an den Sports Awards zum ersten Mal für die Ehrung als Schweizer Sportlerin des Jahres nominiert. Die Auszeichnung geht dann aber an die Kunstturnerin Ariella Kaeslin.
Anfang Saison 2010/11 gibt Lara Gut ihr Comeback. Am 18. Dezember, mehr als ein Jahr nach ihrem verheerenden Sturz in Saas-Fee fährt sie in der Abfahrt von Val-d’Isère zum ersten Mal wieder aufs Podest.
2010 ist auch das Jahr, in dem Lara Gut erstmals mit öffentlicher Kritik für Furore sorgt. Gegenüber einer italienischen Zeitung geht sie mit dem damaligen Frauen-Cheftrainer Mauro Pini hart ins Gericht. Aufgrund dieses Vorfalls und aufgrund von Verstössen gegen die Kleiderordnung von Swiss Ski wird die 19-Jährige für zwei Rennen gesperrt.
An den Weltmeisterschaften verpasst Gut die Medaillen als vierte in der Abfahrt und im Super-G knapp.
2011 wechselt Lara Gut von Atomic zu Rossignol – und kann nach der Umstellung vorerst nicht an die Erfolge vor der Verletzung anknüpfen. Die 20-Jährige startet in dieser Zeit noch in allen fünf Disziplinen – also auch im Slalom und der Kombination. Gut bestreitet in dieser Saison ein Monsterprogramm: Sie ist in allen 32 Wettkämpfen am Start. Ihre Bemühungen im Slalom werden aber nicht belohnt. In insgesamt sechs Slaloms gewinnt sie keinen einzigen Weltcuppunkt.
Die Baisse geht nicht spurlos an der Tessinerin vorbei. Nach den Rennen in St. Moritz sagt sie gegenüber Medienschaffenden unter Tränen: «Ich kann euch nur bitten, Geduld zu haben. Ich verspreche, dass ich wieder schnell fahren werde».
2012 wird Ragusa zu Lara Guts «Kopfsponsor». Bis heute prangt der Markenname der Schweizer Kultschokolade auf Guts Kopfbedeckungen. Ragusa eine der wenigen Marken, für welche die Skifahrerin wirbt.
Lara Guts Verzicht auf Starts in Slaloms scheint sich auszuzahlen: 2012 feiert Gut, 21-jährig, in Val d'Isère ihren dritten Weltcupsieg – den ersten in einer Abfahrt. Auf den dritten Platz fährt mit Nadja Kamer ebenfalls eine Schweizerin.
Auch an der Weltmeisterschaft in Schladming kann Gut punkten. Sie geht in vier Disziplinen an den Start und holt sich die dritte WM-Silbermedaille im Super-G.
Nach den Triumphen im Super-G und in der Abfahrt fährt Lara Gut 2013 in Sölden zu ihrem ersten Sieg im Riesenslalom. Es ist der erste Sieg einer Schweizerin in dieser Disziplin, seit Sonja Nef 2003 in Bormio triumphiert hatte.
An den Olympischen Spielen 2014 in Sotschi – den ersten für die Tessinerin, welche vier Jahre zuvor in Vancouver verletzungsbedingt passen musste – fährt Lara Gut zu Bronze hinter den beiden Siegerinnen Dominique Gisin und Tina Maze.
Lara Gut reagiert im ersten Moment enttäuscht auf den dritten Rang – und wird dafür kritisiert. «Es war das erste Mal, dass ich eine Medaille so nah sah», erklärt sie ihre Reaktion später.
Vor den Wettkämpfen ist Lara Gut eine der wenigen Athletinnen, die öffentlich Kritik an der Vergabe der Spiele an Russland übt: «Wir Athleten haben nicht die Aufgabe, den Russen zu sagen, ihr macht alles falsch. Aber auch nicht nur: Es ist genial, wir freuen uns. Der Sport sollte bei der Vergabe von Grossanlässen wieder mehr im Vordergrund stehen».
2014 sichert sich Lara Gut neben der Olympiamedaille auch den ersten Triumph in einer Disziplinenwertung. Nach vier Siegen in sechs Super-Gs hat sie in dieser Disziplin Ende Saison am meisten Punkte auf dem Konto.
2014/15 erlebt Lara Gut eine wechselhafte Saison. Abgesehen von einem Sieg im Super-G und in der Abfahrt kann sie selten mit den besten Fahrerinnen mithalten. An der Weltmeisterschaft in Beaver Creek fährt sie schliesslich zur Bronze-Medaille in der Abfahrt. Es ist die erste WM-Medaille, die sie nicht in ihrer Paradedisziplin, dem Super-G, holt.
Auf die Saison 2015/16 hin wechselt Lara Gut erneut das Material. Im Gegensatz zum ersten Wechsel zu Rossignol, scheint sich die Umstellung auf Head sofort auszuzahlen. Insbesondere im Riesenslalom zeigt die Leistungskurve der 24-Jährigen nach oben.
Laut Rainer Salzgeber, Rennsportleiter bei Head, ergab sich der Wechsel zu seiner Marke eher zufällig: «Unsere Zusammenarbeit begann auf dem Skilift, 2015 während der Ski-WM in Vail. Wir suchten schon länger eine starke Frau in der Schweiz. Als ich zufällig neben Lara und ihrem Vater Pauli auf dem Lift sass, fragte ich, ob sie daran interessiert sei, im Frühling Head-Ski zu testen».
In 32 Rennen schafft es Lara Gut sechs Mal ganz oben aufs Treppchen – je zwei Mal in der Abfahrt, im Super-G und im Riesenslalom. Mit 1522 Punkten überflügelt sie die Amerikanerin Lindsey Vonn, die im Februar aufgrund einer Verletzung das Saisonende bekannt geben muss, um 287 Punkte. 21 Jahre nach Vreni Schneider holt sie damit den Gesamtweltcupsieg der Frauen wieder in die Schweiz.
Nach einer gelungenen ersten Saisonhälfte mit fünf Siegen gewinnt Lara Gut an der Heim-WM in St. Moritz trotz einer leichten Verletzung Super-G-Bronze.
Dann folgt der grosse Knick in Lara Guts Karriere: Beim Einfahren für den Kombi-Slalom, ausgerechnet in der Disziplin, der sie eigentlich abgeschworen hatte, reisst das Kreuzband. «Eine Verletzung ist kein Pech. Es gibt immer einen Grund dahinter», sagte Lara Gut später. So dürfte auch das mentale Tief, in das sie nach dem Gewinn des Gesamtweltcups fällt, ein Mitgrund für die Verletzung gewesen sein.
Tina Maze, eine ehemalige Weltcupkollegin der Tessinerin, sagte kürzlich gegenüber der NZZ: «Sie gab, gab, gab, und ich fragte mich, wohin das führen soll. Wenn du für so viele Dinge verfügbar bist, verlierst du dich. Nun hat sie daraus gelernt und nutzt all ihre Energie für sich und das Skifahren. Das ist der richtige Weg». Und tatsächlich: Die Verletzung erweist sich für Lara Gut auch als Chance kürzerzutreten und sich für einen Moment dem Fokus der Öffentlichkeit zu entziehen.
Lara Gut kehrt nach der Verletzungspause in den Weltcup zurück. Während sie auf der Piste noch nicht ganz an ihre grossen Erfolge anknüpfen kann, sorgt sie neben der Piste für Schlagzeilen.
Im Juli 2018 macht Gut, die ihr Privatleben eher bedeckt hält, ihre Beziehung zum damaligen Fussball-Nati-Spieler Valon Behrami bekannt. Die beiden heiraten kurze Zeit später und aus Lara Gut wird Lara Gut-Behrami.
Während Lara Gut-Behrami privat immer mehr zu sich selbst zu finden scheint, geht es sportlich bergab. In der Saison 2018/19 kann sie keinen einzigen Sieg feiern.
Im Jahr 2018 verabschiedet sich Lara Gut-Behrami von allen Social-Media-Plattformen. Einer der Gründe für diesen Entscheid lässt sich auch an der Fussball-WM in Russland verorten. Nachdem ihr Ehemann Valon Behrami dem Brasilien-Star Neymar beim Unentschieden der Nati gegen die «Seleçao» das Leben schwer gemacht hatte, ist auch Gut-Behrami den Beschimpfungen wütender Fans auf Social Media ausgesetzt – und zieht die Konsequenzen.
«Was ich privat mache, geht sowieso niemanden etwas an», sagte sie später über ihre digitale Unsichtbarkeit. Bis heute bleibt Lara Gut-Behrami ihrem Entscheid treu.
Nach dem Kreuzbandriss ist Lara Gut-Behrami auch in der Saison 2019/20 auf der Suche nach ihrer Bestform. In Crans Montana schliesslich die Erlösung: Die Gesamtweltcupsiegerin vom Jahr 2016 gewinnt die beiden Abfahrten und holt sich die ersten Siege nach einer zweijährigen Durststrecke.
2021 findet Lara Gut-Behrami definitiv zum Siegen zurück. In Cortina d'Ampezzo gewinnt sie ihre ersten WM-Goldmedaillen. Mit Siegen im Super-G und im Riesenslalom kürt sie sich zur Doppelweltmeisterin, in der Abfahrt holt sie Bronze. Im selben Jahr fährt die mittlerweile 29-Jährige zu ihrem 30. Weltcupsieg.
Die Tessiner Sportjournalistin Ellade Ossola, die Lara Gut-Behrami schon oft vor dem Mikrofon hatte, sagt über diesen Moment: «Das war einer der wenigen Momente, in denen ich Lara komplett unbekümmert erlebt habe: Beim Riesenslalom-Sieg an den WM 2021 in Cortina d’Ampezzo. Sie hat sich wahnsinnig über Gold gefreut, auch waren wegen Covid weniger Leute vor Ort, was weniger Stress bedeutete».
Vielleicht ist es auch Lara Gut-Behramis neue Lockerheit, die ihr zum Sieg verhilft: «Ich wusste zum ersten Mal, dass mein Leben sich nicht ändern würde, wenn ich nicht Gold gewinne», sagt sie im Nachhinein über die WM-Medaillen.
An den Olympischen Winterspielen in Peking schliesst Lara Gut-Behrami die letzte Lücke in ihrem Palmares. Sie holt Olympia-Gold im Super-G und holt im Riesenslalom Bronze.
Nach all den Jahren an der Weltspitze steht der Erfolg für Lara Gut-Behrami, wie sie selbst sagt, nicht mehr an erster Stelle. Vor ihrem Triumph sagte Gut-Behrami noch, dass es ihr «je länger, desto schwerer» falle, so viel Aufwand für ein paar Minuten Skifahren zu betreiben. Nichtsdestotrotz schafft es die Tessinerin einmal mehr, im richtigen Moment zu Höchstleistungen aufzulaufen.
In der Saison 2022/23 ist Lara Gut-Behrami definitiv wieder in der Weltspitze angekommen. Sie gewinnt die kleine Kugel im Super-G und erreicht hinter der Langzeit-Dominatorin Mikaela Shiffin den zweiten Platz im Gesamtweltcup.
Die Tatsache, dass sie seit mehr als 15 Jahren an der Weltspitze mitfährt, beschert ihr zum zweiten Mal nach der höchst erfolgreichen Saison 2015/16 den Titel als Sportlerin des Jahres. Auch hier zeigt sich, dass Gut-Behrami, deren Beziehung zu den Medien nicht immer konfliktfrei war, den Fokus auf ihr Privatleben legt. An den Sport Awards ist sie, wie bereits 2016, nur virtuell präsent.
Am vergangenen Wochenende, 16 Jahre nach ihrem ersten Podestplatz und 8 Jahre nach ihrem letzten Sieg im Gesamtweltcup, kürte sich Lara Gut-Behrami erneut zur besten Skifahrerin der Saison. Mit aktuell 8 Siegen und 16 Podestplätze in 26 Rennen erlebt die 33-Jährige in ihrem Karriereherbst ihre beste Saison. Noch nie war eine Gesamtweltcupsiegerin älter als die Tessinerin.
Erika Hess, ebenfalls zweifache Gesamtweltcupsiegerin meinte angesichts dieser enormen Konstanz: «Dass Lara nach 16 Jahren noch immer ganz vorne mitfährt, zeigt, dass sie sehr vieles richtig gemacht hat. Sie hat sich in den letzten Jahren enorm entwickelt, auch als Frau. Das bewundere ich. All ihre Erfolge zeigen eindrücklich, was für eine Ausnahmeerscheinung sie ist und welch enorme Energie und welcher Wille in ihr stecken.»
Emotionale Worte richtete auch die ehemalige Skifahrerin Anna Veith an Lara Gut-Behrami: «Deine Leidenschaft, Entschlossenheit, dein unermüdlicher Einsatz und auch «eigener Kopf» haben dich zu einer der besten Skifahrerinnen gemacht. Dein erneuter Triumph im Gesamtweltcup ist das Resultat all deiner harten Arbeit», sagte die Österreicherin, die auch privat mit Gut-Behrami befreundet ist.
Nachdem für Lara Gut-Behrami der Gewinn des Gesamtweltcups und die kleine Kugel im Riesenslalom bereits in trockenen Tüchern sind, kann sie in den letzten beiden Rennen am kommenden Wochenende auch im Kampf um die kleine Kugel in der Abfahrt und im Super-G mitreden.