Kurze 922 Zeichen lang ist die Meldung der Nachrichtenagentur Keystone-SDA, die am Donnerstagnachmittag verbreitet: Charlotte Chable hat den Rücktritt vom Spitzensport erklärt. Eine Kurzmeldung unter vielen Nachrichten, über den Ticker geht sie zwischen jener über den Sieg von Alexander Zverev gegen Hubert Hurkacz an den ATP Finals und der Vertragsverlängerung von YB-Captain Fabian Lustenberger.
Mit dem Rücktritt endet eine Karriere, die einst sehr viel versprechend, mit einem kometenhaften Aufstieg, begonnen hatte. «Der Spitzensport ist das Beste, was mir in meinem Leben je passiert ist», schreibt Chable zu ihrem Rücktritt, «aber manchmal ist er undankbar, und ich habe leider schon mehrmals den Preis dafür bezahlt.»
Ihr langjähriger Leidensweg steht für so viele im Skirennsport, die wegen Verletzungen auf der Strecke bleiben. Die nahe dran waren, vielleicht sogar schon Fuss fassten, aber dann doch nie durchstarten konnten.
20 Jahre alt war Charlotte Chable, als sie erstmals auf sich aufmerksam machte. Nachdem sie Anfang Dezember 2014 im Europacup erstmals aufs Podest gefahren war, wurde dies mit einem Weltcup-Aufgebot belohnt. In Flachau schied sie zwar im 1. Lauf aus – wurde aber dennoch für die WM aufgeboten.
Chable profitierte von einem Jugendbonus und einer guten Formkurve und bedankte sich für das Vertrauen: Als 15. wurde sie im WM-Slalom beste Schweizerin. Und als sie danach in ihrem zweiten Weltcup-Einsatz mit Rang 11 gleich weit nach vorne in die Punkte fuhr, war dies der Durchbruch. Auf den beim Saisonfinal als Dessert der Sieg mit dem Schweizer Team im Mannschaftswettbewerb folgte. Charlotte Chable, so glaubte man, ist eine für die unmittelbare Zukunft.
Endlich war sie auch gesund. Als 17-Jährige hatte sie den Winter 2011/12 nach einer Verletzung weitgehend verpasst. Im Winter danach brach sie sich den Fuss und zog sich Kreuzbandrisse an beiden Knien zu. Zwei Jahre waren so futsch.
Nach ihrer Saison des Durchbruchs knüpfte Chable 2015/16 nahtlos daran an. Im Stangenwald von Aspen verbesserte sie ihr bisheriges Weltcup-Bestresultat auf Rang 9. Nie sollte sie besser sein, nur das wusste sie damals noch nicht. Es folgte kurz nach dem Silvester der Slalom von Santa Caterina und wer nach dem 1. Lauf aufs Klassement schaute, traute seinen Augen kaum: Auf Rang 2, mit Startnummer 28, lag Charlotte Chable.
«Ich weiss nicht, was passiert ist», sagte sie nach dem 2. Lauf ins SRF-Mikrofon. Bis kurz vor dem Ziel lag sie auf Podestkurs, als sie Rücklage bekam und beinahe ausschied. Rang 27 und eine riesige Enttäuschung statt Freudentränen über das erstmalige Besteigen des Siegertreppchens. Der Spitzensport ist ein brutales Geschäft.
Als die Tränen getrocknet waren, folgte die Erkenntnis: Chable ist ja noch jung. Sie hat die Zukunft noch vor sich. In jener Saison klassierte sie sich regelmässig in den Punkten, etablierte sich in den besten 30 Slalom-Fahrerinnen der Welt. In St.Moritz gewann sie zum Abschluss der Saison beim Weltcupfinal mit der Schweizer Equipe den Teambewerb.
Doch nach der Saison des Durchbruchs und dem Winter der Bestätigung folgten neuerliche Seuchenjahre. Rückblickend war ihre Karriere schon im Herbst 2016 vorbei. Wegen einer Knöchelverletzung verschob sich der Saisonstart, und sie begann nicht nur später, sondern endete auch viel früher als geplant. Im Januar schon, mit einem erneuten Kreuzbandriss.
So folgten 2017/18 ein Winter ohne Weltcupstart und weitere Saisons ohne einen einzigen Weltcuppunkt in einem Slalom. Charlotte Chable hatte nach den vielen Verletzungen Mühe, wieder in die nötige Verfassung zu kommen. Und wenn sie hoffte, dass diese wieder kommt, musste sie die Skistöcke schon wieder mit Krücken austauschen. Im September 2020 riss ihr bei einem Trainingssturz das Innenband und sie erlitt ein weiteres Mal einen Kreuzbandriss, den vierten.
Schon wieder war eine Saison futsch. Aber Chable gab nicht auf. Sie glaubte immer noch an eine Rückkehr. Bis sie schliesslich in der Vorbereitung auf diesen Winter merkte: So geht es nicht mehr weiter. «Es ist Zeit, Abschied zu nehmen und dieses schöne Kapitel in meinem Leben abzuschliessen», schreibt sie über ihren Abgang.
Und weiter: «Ich habe Tränen in den Augen, während ich dies schreibe, und ich weiss nicht, ob ich wirklich begreife, was passiert. Aber es ist Zeit für mich, dem alpinen Skisport Lebewohl zu sagen.» Das Skifahren sei ihr Traum gewesen, aber sie habe nicht mehr das Gefühl, dass sie über ihre Grenzen hinausgehen und auf höchstem Niveau fahren könne. Ihr Körper sei dazu nicht mehr in der Lage. «Es war eine sehr schwierige Entscheidung, aber ich weiss tief im Inneren, dass es die richtige ist.»
Am Samstag und Sonntag tragen die Frauen zwei Weltcup-Slaloms im finnischen Levi aus. Hätte alles den erwünschten Verlauf genommen, würde die 27-jährige Charlotte Chable um den Sieg fahren. Aber im Leben erfüllen sich nie alle Wünsche. Und im Skirennsport erst recht nicht.
Ihr Umgang mit ihren Rückschlägen war beeindruckend und vorbildlich.
Es war mir immer eine Freude sie fahren zu sehen, eine sehr sympathische Frau.
Fühl dich gedrückt liebe Charlotte, danke ❤️