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Nach Olympia 2022: Ein Walliser bringt den Chinesen das Skifahren bei

Le ski rime avec ascension sociale en Chine.
China hatte versucht, in Rekordzeit zukünftige Goldmedaillengewinner für die Olympischen Spiele 2022 zu formen.Image: watson

Von trotzigen Eltern und Shiffrin-Fans: Ein Walliser bringt den Chinesen das Skifahren bei

In Rekordzeit wollte China für die Olympischen Spiele 2022 zukünftige Goldmedaillengewinner formen. Was ist von diesem Versuch übrig geblieben? Ein Westschweizer, der in China eine Skischule gegründet hat, berichtet.
31.10.2023, 18:2231.10.2023, 18:22
Sven Papaux
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Die Massen zu begeistern, vermag der Wintersport in China nicht. Ein Grossereignis wie die Olympischen Winterspiele 2022 in Peking wirkt aber oftmals wie ein Katalysator, wenn es darum geht, in der Bevölkerung die Begeisterung für eine Sportart zu entfachen. Wie sich die Olympischen Spiele 2022 auf den alpinen Skisport in China ausgewirkt haben, weiss der Schweizer Yann Bouduban, der in China eine Skischule für Kinder und Jugendliche auf die Beine gestellt hat.

Unterstützt wird der Gründer des Sportdienstleisters «Helveski» von seinem chinesischen Geschäftspartner, den er auf den verschneiten Hängen der Schweizer Berge kennengelernt hat. Der Walliser unterstützt seit 2018 eine Handvoll junger chinesischer Ski-Talente. «Ich bin seit vier oder fünf Jahren mit denselben Skifahrern unterwegs. Sie sind zwischen 13 und 14 Jahre alt, einige von ihnen sind auf dem Niveau von guten Skifahrern hier in der Schweiz», erklärt er gleich zu Beginn.

«Die Skifahrer werden immer besser, ich denke, in ein paar Jahren gibt es einige solide Europacup-Fahrer. Der Weltcup ist noch ein grösserer Schritt.»
Yann Bouduban

Yann Bouduban lebt in Chongli in der Provinz Hebei. Dort hat er eine andere Kultur kennengelernt und ist auf Menschen getroffen, die sich um jeden Preis von der Masse abheben wollen. Bouduban betont, dass der Konkurrenzgedanke in der chinesischen Gesellschaft auf allen Ebenen präsent ist. Laut dem Walliser setzen die Eltern die Kinder stark unter Druck und stellen den Sprösslingen die Mittel zur Verfügung. Sie wollen, dass «das Kind aus der Masse heraussticht, damit sie sagen können: ‹Mein Kind ist stark und erfolgreich.›»

Yann Bouduban, fondateur d'Helveski.
Yann Bouduban betreut seit 2018 junge chinesische Talente.

Das Skifahren steckt in China noch in den Kinderschuhen

War das Skifahren lange Zeit reichen Familien vorbehalten, melden nun auch Menschen aus der wohlhabenden Mittelschicht ihre Ambitionen auf den (künstlich) beschneiten Pisten an: Der Skisport boomt. «Derzeit sind es hohe Beamte, Universitätsprofessoren und Leute aus dem Finanzsektor, die Ski fahren», verdeutlicht Bouduban.

Mit dem Skifahren ist auch die Hoffnung auf einen sozialen Aufstieg verbunden. Diese Hoffnung ist eine starke Motivation für Kinder (und Eltern). Vor allem aber steckt der Skisport in China noch in den Kinderschuhen und es gibt noch viel zu tun. «Da es in China eine neue Sportart ist, wird ein schneller Fortschritt erwartet. Es wird geschaut, was im Ausland passiert, Europa dient als Messlatte», erklärt der Gründer von Helveski.

«Die Chinesen sind sehr gut darin, Informationen abzuspeichern. Deshalb lernen sie so schnell: Sie merken sich die kleinsten Details.»
Yann Bouduban

Die Chinesen arbeiten hart, um die Welt des Skifahrens zu erobern. «Manchmal fragen sie mich, wie viel Neigung man in einer Kurve haben muss», verrät uns der Walliser, bevor er uns eine Anekdote über einen Skifahrer in den Vierzigern erzählt, der mit einem Foto von Mikaela Shiffrin in der Hand in sein Büro stürmte. «Er hat sich gefragt, wie lange es dauert, bis er ihr Niveau erreichen kann. Der Haken an der Sache war, dass der Mann noch nie Ski an den Füssen hatte.»

Eltern mit Scheuhklappen

Bouduban versucht, seinen jungen Schützlingen zu vermitteln, dass der Weg zu einem soliden Skifahrer lang ist. Er erzählt von Eltern, «die Scheuklappen tragen».

«Es muss viel Kommunikationsarbeit geleistet werden, um zu erklären, warum man die Kinder nicht direkt zum Slalomfahren zwischen die Stangen schickt, und um den Eltern klarzumachen, dass der Weg zum Spitzensportler über die Technik beim freien Skifahren führt.»

Bouduban betont, dass es eine grosse Herausforderung ist, den Eltern klar zu machen, dass Ski Alpin eine Fortsetzung des normalen Skifahrens und keine völlig eigenständige Disziplin ist.

Ein solides Fundament legen, auf dessen Grundlage Fortschritte erzielt werden können – eigentlich selbstverständlich. Aber den chinesischen Skischülern, oder besser gesagt, deren Eltern, musste er zuerst vermitteln, dass man die Grundlagen des Skifahrens beherrschen muss, bevor man sich in den Stangenwald oder an Wettbewerbe wagt. Das ist nicht immer einfach und kommt nicht immer gut an.

Der Romand gesteht sogar, dass mehrere Schüler abgesprungen sind, weil nicht nur zwischen den Stangen trainiert wurde. Die Methoden sind unterschiedlich und das Skifahren in China unterscheidet sich vom Skifahren in der Schweiz. «Andere lokale Teams haben radikalere Trainingsmethoden – die Kinder verheddern sich im Stangenwald, weil sie nie die Grundtechnik im Freien erlernt haben», erklärt der Chef von Helveski.

Während sich das kompetitive Skifahren im Reich der Mitte langsam entwickelt, erlebt das Skifahren allgemein einen Boom. «Früher wurde es als blosse Attraktion wahrgenommen, als etwas, das man zum Spass mal ausprobiert».

Skifahren im Ausland

Um den Sport voranzutreiben, haben chinesische Skigebiete ein gut organisiertes System aufgebaut, das es den Besuchern ermöglicht, sich direkt vor Ort auszurüsten. Diese Möglichkeit hat zu einem neuen Trend geführt: Immer mehr Menschen kommen regelmässig auf die Pisten und werden vom «Skivirus» infiziert.

Noch erstaunlicher ist, dass diese rasante Entwicklung eine chinesische Klientel hervorbringt, die sich für Reisen ins Ausland begeistern lässt. Eine wachsende Zahl von Skifahrern aus dem asiatischen Riesenland reist nun in Skigebiete im Westen, um neue Eldorados zu entdecken. Verbier zum Beispiel hat eine Partnerschaft mit einem chinesischen Skiort abgeschlossen. Die Gesellschaft Téléverbier bestätigt uns, dass «die Partnerschaft immer noch besteht, aber mit sehr wenig Resonanz».

Das Skifahren auf dem Vormarsch

Das Knüpfen von Kontakten ist manchmal schwierig, aber der Wintersport-Boom ist in China angekommen. Für Yann Bouduban ist das ein Glücksfall, trotz der kulturellen Unterschiede: «Das Projekt hat mich gereizt, ich wollte mich in einer neuen Umgebung ausprobieren. Ich brachte eine Kultur mit, die ich in eine andere Kultur einbringen wollte», beschreibt der 31-jährige, ehemalige kompetitive Skifahrer seine Motivation.

Auch wenn die von Xi Jinping geforderten 300 Millionen Skifahrer noch lange nicht erreicht sind, brettern immer mehr Menschen die Pisten hinunter. «Eine unabhängige Studie besagt, dass in China 15 Millionen Menschen Ski fahren. Ob sich der Sport tatsächlich durchgesetzt hat, wird sich erst im nächsten Jahr zeigen. Covid hat die Ausbreitung des Wintersports erheblich gebremst».

«Die Nachwirkungen der Olympischen Spielen sind viel stärker, als ich erwartet hatte. Athletinnen wie Eileen Gu haben grosse Begeisterung fürs Skifahren oder für Freestyle ausgelöst».
Yann Bouduban
epa09767997 Ailing Eileen Gu of China in action on her final run during the the Women's Freestyle Skiing Halfpipe final at the Zhangjiakou Genting Snow Park at the Beijing 2022 Olympic Games, ...
Eileen Gu ist eine chinesisch-amerikanische Freestyle-Skifahrerin, die für China antritt. Bei den Spielen in Peking gewann sie Gold im Big Air und in der Halfpipe sowie Silber im Slopestyle.Image: EPA

Peking setzt alles daran, so viele zukünftige Skifahrer und Snowboarder wie möglich in die Skigebiete zu locken. Um dies zu erreichen, wird viel investiert. Zum Beispiel wurde ein Hochgeschwindigkeitszug gebaut, der das Wachstum befeuern soll: «Mit diesem Zug ist man in einer Stunde in einem Skigebiet. Die Kunden kommen in der Region Chongli an, wo sich auch die beliebte Station Foulong befindet. Danach bringen Busse die Menschen nach Secret Garden, Thaiwoo und Wanlong».

Im Skigebiet, an dem die olympischen Wettkämpfe stattfanden, ist der Zuwachs weniger gross: «Yanqing ist weniger beliebt, weil es so abgelegen ist».

A ski run lined with artificial snow is seen at the National Alpine Skiing Center in Yanqing on the outskirts of Beijing, Feb. 5, 2021. The high demand for artificial snow at February's Beiji ...
Die Piste in Yanqing, auf dem die alpinen Skirennen der Männer stattfanden.Image: AP

Ob der alpine Skisport in einem der bevölkerungsreichsten Länder der Welt viele Fans gefunden hat und ob die Olympischen Spiele 2022 eine neue Generation von Hoffnungsträgern hervorgebracht haben, wird sich noch zeigen.

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