Sabotage-Angst bei Lara Gut-Behrami! Es wäre einfach, eine knackige Schlagzeile zu finden. Doch es würde dem, was die 32-Jährige vor der am Samstag in Sölden startenden Skisaison beschäftigt, nicht wirklich gerecht werden. Zwar spricht sie selbst davon, dass jeder mit der nötigen kriminellen Energie die Möglichkeit hätte, anderen zu schaden. Gleichzeitig geht es ihr um mehr, als vermeintliche Verschwörungstheorien in Umlauf zu bringen. Die Chancengleichheit treibt die Tessinerin an und um.
Es geht um die neue Regel des Internationalen Skiverbands FIS, die fluorhaltigen Wachs im Weltcup verbietet. Und die bei den Athletinnen und Athleten für grosse Verunsicherung sorgt. Fast alle aus den Top 30 der Weltrangliste, so Gut-Behrami, hätten darum in dieser Woche einen Brief an die FIS verfasst und darin ihre Zweifel an den Messmethoden geäussert: Sind sie zuverlässig? Wie können Kontaminierungen ausgeschlossen werden, wenn beispielsweise Pistenarbeiter mit Fluorwachs unterwegs wären und die Ski der Athletinnen und Athleten damit verunreinigt würden? Und wie kontrolliert man, ob jemand böswillig einen Ski manipuliert hat? Gut-Behrami sagt: «Eigentlich müssten die Serviceleute künftig mit den Ski im Zimmer schlafen.»
Fluor, dessen Rückstände als umweltschädigend gelten, soll die Ski schneller machen. Gut-Behrami spricht von Vorteilen von fast einer Sekunde in einer Abfahrt. Wird bei einer Athletin oder einem Athleten ein fluorhaltiges Wachs nachgewiesen, wird sie bzw. er künftig disqualifiziert. Zumindest im Weltcup, denn auf allen anderen Stufen wird der Einsatz von Fluor vorerst nur sporadisch getestet. Gut-Behrami geht darum so weit und sagt: Als Weltcup-Fahrerin «würde ich mich im Europacup blamieren». Zumindest dann, wenn die Europacup-Athletinnen und -Athleten bereit wären, das Risiko eines Regelverstosses einzugehen.
Zweifel bestehen auch darin, ob die Messmethoden korrekte Ergebnisse liefern. In einer Testphase kam es immer wieder zu Problemen – und im Bereich Ski nordisch wurde das Verbot darum immer weiter aufgeschoben. Die FIS hingegen sagt, dass man nach anfänglichen Problemen die Messungen im Griff habe. Gut-Behrami ist skeptisch und sagt, es gäbe viel zu viele Dinge, die ein faires Verdikt unmöglich machen würden: «Was ist zum Beispiel, wenn jemand vor dem Start mit einem Spray meine Ski besprüht?»
Festzuhalten gilt allerdings, dass Manipulationen schon bisher möglich waren. Dass sich die Serviceleute gelegentlich den Arbeitsplatz teilen, ist nicht neu. Gerüchte, dass die Ski der Konkurrenz wissentlich langsamer gemacht wurden, gibt es seit eh und je. Wendy Holdener sieht das Thema darum auch deutlich gelassener. Die 30-Jährige sagt: «Ich glaube in erster Linie an das Gute im Menschen.»
Überhaupt werden erst die Rennen zeigen, ob es tatsächlich zu Problemen kommt. Es ist schwer vorstellbar, dass die FIS bereit ist, sich einen Skandal zu erlauben, wenn reihenweise Topstars disqualifiziert werden würden. Darum ist davon auszugehen, dass Tests nur dann zu einer Disqualifikation führen, wenn die Verantwortlichen zu 100 Prozent vom Ergebnis überzeugt sind. Gut-Behrami sagt: «Ich wäre froh, wenn es wie bei Dopingtests eine B-Probe geben würde.»
Die Fluor-Problematik ist allerdings nicht das Einzige, was Gut-Behrami beschäftigt. Auch das Älterwerden und die Frage, wie lange ihre Karriere noch dauern wird, treiben sie um. Sie sagt: «Mit 30 stehen viele an einem anderen Punkt in ihrem Leben als Spitzensportlerinnen. Frauen wohl noch mehr als Männer. Es gäbe einfachere Wege. Aber ich habe mich dafür entschieden und gehe darum konsequent damit um.»
Dieses Commitment bedeutet aber auch, dass ihr Leben während der Skisaison nicht sehr viel mehr beinhalte «als essen, schlafen und Ski fahren. Ich bin am Wochenende weg und die Kinder (Ehemann Valon Behrami hat zwei aus einer früheren Beziehung; die Red.) kommen am Wochenende.» Es sind diese Momente, die ihr fehlen und die ihre Gedanken auch gelegentlich in die Richtung eines Rücktritts treiben. «Ich habe im vergangenen Jahr erstmals realisiert, dass es die letzte Saison sein könnte. Manchmal war dies irritierend, manchmal habe ich mich gefreut auf das, was nach meinem Leben als Skifahrerin kommen wird.»
Konkret wurde der Gedanke allerdings nie. Die Tessinerin sagt: «Ich würde mich nicht derart auf die Rennen freuen, wenn nicht noch genügend Motivation für den Skisport da wäre.» Und so startet sie am Samstag zuversichtlich in die Saison. 2008 ist Gut-Behrami erstmals in Sölden gefahren. Zweimal hat sie seither das Auftaktrennen in die Saison gewonnen. «Es kommt mir noch nicht so lang vor», sagt sie. Ihre Lust auf ein paar letzte Auftritte ist zu spüren. Egal, ob da Fluor-Diskussionen sind oder nicht. (aargauerzeitung.ch)