Kurz vor Schluss hatte Alcaraz in der überraschend einseitigen Partie doch noch einen bangen Moment zu überstehen: Zwei Sätze lang hatte Alcaraz den Grand-Slam-Rekordsieger Djokovic unter den Augen von Prinzessin Kate und weiteren Berühmtheiten mit nahezu perfektem Spiel fast nach Belieben dominiert. Im dritten lag er wiederum mit Break vorne und schlug nach zwei Stunden beim Stand von 5:4 zum Matchgewinn auf. Schnell stand es 40:0, doch dann verlor er kurz den Faden und prompt wehrte der bis dahin ungewöhnlich fehlerhaft spielende und zusehends ratlos, ja fast schon resignierend wirkende Djokovic die drei Matchbälle ab, und glich mit seinem ersten Break noch einmal aus.
In der Folge behielt Alcaraz jedoch die Ruhe. Mit einem Service-Winner zum 7:4 machte er den zweiten Finalsieg über Djokovic in Wimbledon eine halbe Stunde später im Tiebreak doch noch ohne Satzverlust perfekt – und sorgte für Djokovics zweithöchste Niederlage in einem Grand-Slam-Final. Ähnlich unterlegen war der 37-jährige Serbe erst in einem seiner 36 vorherigen Grand-Slam-Finals gewesen – 2020 am French Open beim 0:6, 2:6, 5:7 gegen den Sandkönig Rafael Nadal.
Die Schlussphase sei schwierig gewesen, meinte Alcaraz. «Ich musste ruhig bleiben, denn dass Novak bis zuletzt auf seine Chance lauern würde, war klar.» Djokovic, der 39 Tage nach seiner Knie-Operation im Zuge des Viertelfinal-Forfaits am French Open aufgrund einer Meniskus-Verletzung nicht hundertprozentig fit wirkte, aber stark genug war, um zum sechsten Mal in Folge und zum zehnten Mal in seiner Karriere in den Wimbledon-Final einzuziehen, anerkannte: «Allen Respekt für Carlos. Er spielte perfektes Tennis und ist der absolut verdiente Sieger.»
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Anders als beim epischen Fünfsatz-Sieg vor einem Jahr, als er nach 27 Minuten 0:5 in Rückstand lag, und anders als in drei der letzten vier Spiele auf dem Weg in den Final, in denen er den ersten Satz abgab, bekundete Alcaraz in der Neuauflage des Finalduells mit Djokovic keine Anlaufschwierigkeiten. Der French-Open-Sieger begann gleich mit einem Break, legte mit einem zweiten zum 4:1 nach und führte nach 41 Minuten mit 1:0 Sätzen. Auch in der Folge fand Djokovic kaum Mittel gegen Alcaraz' breites Schlagrepertoire, dessen druckvolles, variables Spiel und bestechende Bein- und Defensivarbeit, die bisweilen wie eine Vereinigung der Stärken von Roger Federer, Rafael Nadal und Djokovic anmutet.
Mit dem erneuten Sieg über Djokovic gelang Alcaraz als erst sechstem Spieler das seltene Kunststück, im selben Jahr auf dem French-Open-Sand von Paris und dem Rasen von Wimbledon zu triumphieren. «Nur ganz grosse Champions haben das geschafft», sagte Alcaraz, um anzufügen: «Als solchen sehe ich mich noch nicht. Dazu habe ich noch einen langen Weg zu gehen.»
Der Weg bis zur Stufe mit Federer, Nadal und Djokovic mag noch lang sein. Die Richtung stimmt aber: Die einzigen Spieler, die vor Alcaraz mit 21 Jahren vier Grand-Slam-Titel errungen hatten, waren Björn Borg und Boris Becker. Und mit vier Siegen in seinen ersten vier Grand-Slam-Finals wandelt der mit allen Werkzeugen für zahlreiche weitere Erfolge ausgestattete Alcaraz in dieser Rubrik in den Spuren von Federer. Federer hatte zwischen 2003 und 2006 seine ersten sieben Finals gewonnen, ehe er am French Open in Nadal seinen Meister fand.
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Rekordmann Djokovic seinerseits verpasste durch die Niederlage, weitere Tennis-Geschichte zu schreiben. Er bleibt bei 24 Titeln und ist damit weiter gleichauf mit der Australierin Margaret Court. Und: In Wimbledon liegt er mit sieben Titeln nach wie vor einen Triumph hinter Federer.