Sie ist die Spielerin des Jahres, gewann im Januar die Australian Open und hat in Paris die Chance, erstmals an die Spitze der Weltrangliste. Auf dem Weg in den Achtelfinal gab sie keinen Satz ab. Komplizierter gestaltet sich die Lage für Arina Sabalenka neben dem Platz. Das hat im Wesentlichen mit einer Frau zu tun: der ukrainischen Journalistin Daria Mescherjakowa.
Seit Turnierbeginn nimmt Mescherjakowa Sabalenka ins Kreuzverhör. Will wissen, weshalb sie den Krieg in der Ukraine nicht verurteilt, bei dem ihre Heimat Belarus Russland als Juniorpartner dient und die Stationierung von Atomwaffen toleriert. Weshalb sie 2020 einen Unterstützungsbrief für den Präsidenten Alexander Lukaschenko unterschrieben haben soll, der als «letzter Diktator Europas» gilt und zu diesem Zeitpunkt Proteste gegen die mutmasslich gefälschten Wahlresultate gewaltsam niederschlagen liess.
Obwohl sie in Florida lebt und trainiert, lässt Alexander Lukaschenko keine Gelegenheit aus, daran zu erinnern, dass Sabalenka aus Belarus stammt. Nach ihrem Sieg in Melbourne hat er ihr öffentlich zugeprostet. Ob sie mit oder ohne Nationalflagge spiele, wie es seit Kriegsbeginn üblich ist: Die Welt wisse sehr genau, woher sie komme, sie sei der Stolz des Landes.
Daria Mescherjakowa sagt: «Sie sollen sich nicht mehr hinter ihren Lügen verstecken können. Alles, was wir von den russischen und belarussischen Tennisprofis wissen möchten, ist: Auf welcher Seite stehen sie in diesem Krieg?» So formulierte es auch Marta Kostyuk, die Ukrainerin, gegen die Sabalenka in der ersten Runde gewann und die sie danach verbal angriff, als sie sagte: «Die Frage sollte nicht lauten, wie sie über den Krieg denken. Er ist da, seit 15 Monaten. Die Frage sollte lauten: Wer soll ihn gewinnen?»
Nach ihrem zweiten Sieg wollte Mescherjakowa von Sabalenka wissen, weshalb sie Lukaschenko unterstütze und weshalb sie den Krieg nicht verurteile. Sabalenkas Antwort: «Ich beantworte ihre Fragen nicht mehr.»
Der Ukraine-Krieg hält das Tennis, ja den Weltsport seit Monaten in einer Geiselhaft und stellt ihn vor eine Zerreissprobe. Das hat nicht zuletzt damit zu tun, dass Erfolge im Sport in Russland eine identitätsstiftende Wirkung haben und einen Grundpfeiler der Staatspropaganda darstellen. Zudem sind internationale Sportverbände mit russischen Funktionären durchsetzt.
Anderthalb Jahre nach Kriegsausbruch bemüht sich der Sport, diesen zu normalisieren. Athletinnen und Athleten trügen keine Verantwortung und ein friedliches Auskommen zwischen jenen aus Aggressorländern, die man bequemerweise als «neutral» erklärt und den Betroffenen sei möglich.
Eine Haltung, die Iga Swiatek, die aktuelle Nummer 1, kritisierte: «In der Ukraine hat sich nichts geändert. Die Städte sind weiter unter Beschuss, viele Athleten kämpfen im Krieg und sterben. Es bricht mir das Herz.»
Doch der Ukraine-Krieg ist nicht das einzige politische Thema, das sich im Tennis, diesem globalen Sport, Bahn bricht. Novak Djokovic nutzte in Paris die Bühne, um der Welt mitzuteilen, was er von der Unabhängigkeit des Kosovo hält: nichts. Auf die Kameralinse schrieb er: «Kosovo ist das Herz Serbiens. Stoppt die Gewalt!» Kosovo hatte sich 2008 abgespalten, Serbien anerkennt das nicht und betrachtet das Territorium als serbische Provinz.
Die Organisatoren reagierten mit grossen Worten, mahnten, Sport und Politik seien zu trennen. Doch Massnahmen ergreifen sie nicht. Niemand hat ein Interesse, niemand hat den Mut, den grössten Publikumsmagneten des Sports auszuschliessen. Zudem fehlt eine reglementarische Grundlage.
Wenn im Tennis eines der vier Grand-Slam-Turniere ausgetragen wird, spiegelt sich darin immer auch der Verlauf der Weltgeschichte, rücken soziale, wirtschaftliche und politische Brennpunkte in den Vordergrund.
Bei den Australian Open machten Aktivisten auf das Schicksal von Peng Shuai aufmerksam. Die ehemalige chinesische Tennisspielerin ist seit über anderthalb Jahren aus der Öffentlichkeit verschwunden. Im November 2021 hatte die 37-Jährige einen ehemaligen hochrangigen Funktionär der kommunistischen Partei beschuldigt, sie sexuell missbraucht zu haben.
Und der Russe Karen Kachanov, der in Melbourne im Halbfinal stand, hatte zuvor «Keep believing until the very end. Artsakh, hold on!» auf die Kameralinse geschrieben. Kachanov ist Russe mit armenischen Wurzeln. Bei Artsakh handelte es sich um die Region Bergkarabach. Die Enklave im Südkaukasus zwischen Armenien und Aserbaidschan ist umkämpft, wird überwiegend von Armeniern bevölkert, der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen bezeichnet Bergkarabach aber als aserbaidschanisches Gebiet.
Der Tennisverband Aserbaidschans forderte daraufhin in einem Schreiben harte Sanktionen gegen Kachanov. Dieser habe die schöne Tradition der liebevollen Botschaften auf der Kameralinse «für seine dreckigen Pläne missbraucht». Kachanov sagte nach seinem Halbfinalvorstoss, er wisse nichts von diesem Brief und sei bisher auch nicht aufgefordert worden, die Botschaften, die er seit Turnierbeginn platziere, künftig zu unterlassen.
Das ist das inzwischen übliche Drehbuch, das sich immer wiederholt: Politische Botschaft, helle Aufregung, Organisatoren, die darum bitten, Sport und Politik zu trennen, Politiker, die verurteile und versuchen, daraus Kapital zu schlagen. Nur Konsequenzen gibt es keine. Niemals.
Kriegen und Konflikten begegnet der Weltsport nicht nur mit Ohnmacht, sondern auch mit Ignoranz. Weil er nicht begreifen will, dass er ein Teil der Gesellschaft ist, der sich auch abseits der Arenen abspielt. Er durchdringt jeden Lebensbereich, ist Machtinstrument, Projektionsfläche und Spiegel der Geschichte. Sich auf die immer gleichen Argumente zurückzuziehen, wird auf Dauer keine Lösung sein. Und Spannungen weiter verschärfen. (aargauerzeitung.ch)
Was soll sich eine Belarussin gegen die Krieg aussprechen? Wir wissen nicht wie sich dies auf ihre Verwandtschaft auswirken könnte. Da würde ich mich auch nicht zu weit vorwagen.
Dass aber ein Kachanov oder allen voran mit seiner Rolle; Djokovic folgenlos aktiv die sportliche Bühne für ihre Provokationen nutzen dürfen geht absolut nicht. Da erwarte ich konsequente und postwendende Folgen!