Es war eine der vielen Randgeschichten im vergangenen Jahr, nachdem Roger Federer in einem mitreissenden Final Rafael Nadal bezwungen hatte: die Siegerrede. Federer wählte Worte, die viele als Abschied verstanden hatten, weil er für einmal auf die Floskel «bis im nächsten Jahr» verzichtet hatte.
Später stellte er klar: «Ich dachte, es sei eine Möglichkeit, mich einmal bei so vielen Leuten zu bedanken. Ich spüre, dass ich noch viel Tennis in mir habe.» Aber Federer sagte auch, seine Karriere gehe nicht unendlich weiter. Und sollte er sich wieder verletzen, wisse er nicht, was geschehe. Sein Ende könne nah sein.
Doch es fällt schwer, sich Tennis ohne ihn vorzustellen. Federers Geschichte ist untrennbar mit dem Sport verbunden, in dem er fast jeden wichtigen Rekord hält, aber auch umgekehrt. Mats Wilander sagt: «Er ist viel wichtiger, als viele glauben. Wenn Roger aufhört, wird das ein trauriger Tag.» Goran Ivanisevic sagt: «Die Menschen sehen lieber Roger schlecht spielen als jemand anderen gut.»
Für das gestrige Spiel wurden auf dem Schwarzmarkt Preise von gegen 900 Franken bezahlt. Beim anderen Halbfinal waren es nicht einmal 300, obwohl diese Tickets auch für die Frauen-Halbfinals Gültigkeit hatten.
Die Geschichte des Spiels gegen den fast 15 Jahre jüngeren Hyeon Chung (ATP 58) ist schnell erzählt. Nach ausgeglichenem Start baute der Südkoreaner zunehmend ab und musste beim Stand von 6:1, 5:2 für Federer wegen einer Blase am Fuss aufgeben. «Ich wusste, dass er Probleme hat. Er ist in den vergangenen Tagen in der Kabine nur noch gehumpelt. Wer seine Füsse gesehen hat, sagte, es sei unglaublich, dass er überhaupt noch spielte.» Er hätte sich ein normales Ende gewünscht, das schon, sagte Federer. «Aber ich sage mir auch: Je schneller, desto besser. Ich bin einfach glücklich, dass ich im Final bin.»
Eine Stunde ging das Spektakel, das nie eines war. Alleine das Vorprogramm aus Anlass des australischen Nationalfeiertags hatte länger gedauert. Andernorts hätte das vielleicht für ein Pfeifkonzert gesorgt. Aber nicht, wenn Roger Federer auf dem Platz steht. Beliebt ist er überall auf der Welt, doch mit Australien verbindet ihn mehr.
Der Ursprung liegt in der Geschichte, die er immer wieder gerne erzählt. Jene, wonach sein Vater Robert, ein technischer Kaufmann, einst ein Angebot eines Chemieunternehmens hatte und mit seiner Familie fast ausgewandert wäre. Als Federer mit 13 Jahren erfahren habe, dass sie doch in der Schweiz bleiben würden, sei er in Tränen ausgebrochen.
Statt nach Sydney oder Melbourne ging Federer zwei Jahre später nach Ecublens, ins nationale Leistungszentrum. Berührungspunkte mit Australien gab es aber immer wieder. Sein erster Förderer im TC Old Boys Basel war mit Peter Carter ein Australier. «Er lehrte mich, vor jeder Person Respekt zu haben – egal, ob diese berühmt ist oder nicht», sagte er einmal. «Er war es, der mich am meisten geprägt hat. Mit ihm feilte ich an Aufschlag, Vorhand, Rückhand, Netzspiel.» Carter starb 2002 bei einem Autounfall in den Flitterwochen in Südafrika. Seither lädt Federer dessen Eltern Bob und Diana jedes Jahr auf seine Kosten nach Melbourne ein.
Von 2005 bis 2007 war mit Tony Roche ein anderer Australier sein Trainer. «Er hatte grossen Einfluss auf meinen Respekt vor der Geschichte des Sports.» Er liebe die Spieler jener Generation «Mit Roy Emerson habe ich in Gstaad sogar einmal eine Kuh gemolken.» Australien ist für mich ein Lebensgefühl. Darum wird dieses Land für mich auch immer so etwas wie ein zweites Zuhause sein.»
Bis heute ist Australien Schauplatz grosser Emotionen geblieben. 2004 gewann er sein zweites Major-Turnier und wurde danach erstmals die Nummer 1 der Welt. 2006 brach er bei der Siegerehrung in Tränen aus, als Rod Laver ihm die Trophäe überreichte.
Wenn Federer morgen Sonntag (ab 9.30 Uhr, im watson-Liveticker) zum zehnten Mal auf den Kroaten Marin Cilic (29), den er zuletzt im Wimbledon-Final in drei Sätzen besiegt hat, trifft, sind die Sympathien klar verteilt. Das liegt auch an der Geschichte, die Federer gestern erzählt. Im November hätten er und Cilic gleichzeitig auf den Malediven Ferien gemacht. Irgendwann habe der Kroate ihm geschrieben und sie hätten sich für ein Training getroffen, «ohne Trainer, nur er und ich. Das war toll.» Danach hätten sie ein paar Drinks gehabt, er habe Cilics Verlobte kennen gelernt und «den Mann hinter dem Tennisspieler».
Andere behalten diese Geschichten lieber für sich, Federer nicht. Er sieht sich selber als Botschafter für das Tennis. Er sagt: «Es interessiert die Menschen, was du denkst und fühlst. Wenn sie zum Beispiel Schuhe von dir kaufen können, gibt ihnen dies das Gefühl, etwas von dir zu bekommen.» In Melbourne sind seine Schuhe mit der Silhouette der Flinders Street Station bestickt. Bis 1997 war die Anlage nach dem Wahrzeichen der Stadt benannt. Die meisten Spieler wissen das nicht, er schon.
Und doch hofft Federer, dass das Modell bald Ausschussware ist. Über der Station prangt nämlich eine 5 für die Anzahl der in Melbourne bisher gewonnenen Titel.