Als Stan Wawrinka 2015 die Sandsaison in Angriff nahm, gab es viele, die ihn für die weisse Hose mit wildem, rotbraunem Karomuster belächelten. Doch dann spielte sich der Romand in einen Rausch, besiegte erst in Rom Rafael Nadal und gewann danach in Paris seinen zweiten Grand-Slam-Titel. Seither hängt die Modesünde im Museum von Roland Garros.
Seither sind acht Jahre verstrichen und Wawrinka kämpft nach mehreren gesundheitlichen Rückschlägen um den Anschluss an die Weltspitze. Doch den Humor hat der 38-Jährige nicht verloren. Als er am Freitag über die Anlage flaniert, trägt er eine bordeauxrote Hose mit Karomuster. Darauf angesprochen, sagt er: «Ich komme gerade aus dem Schwimmbad.»
Was natürlich nicht stimmt. Schon seit Tagen bereitet er sich in Paris auf die French Open vor, später am Abend trainierte er anderthalb Stunden mit dem Italiener Jannik Sinner, einem Anwärter auf den Turniersieg. Auf das Heimturnier in Genf hat Wawrinka verzichtet. Er sagt: «Ich bin nicht einfach hier, um es zu geniessen, sondern weil ich den Wettkampf und das Duell liebe. Und weil ich fühle, dass ich wieder jeden bezwingen kann.»
Keine Selbstverständlichkeit angesichts der Leidenszeit, die hinter ihm liegt. Mehrfach musste er sich wegen eines Knorpelschadens am Knie operieren lassen, dann zwei Mal am Fuss. Zwischen März 2021 und März 2022 konnte Wawrinka keine Turniere bestreiten, fiel in ein tiefes Loch.
Dass er seit Ende Februar wieder den Top 100 der Weltrangliste angehört, erfüllt Stan Wawrinka mit Genugtuung. Er sei stolz auf sich, auf das, was er in seinem Leben erreicht habe, vor allem nach dem, was er durchgemacht habe. Er lebe schon lange mit der Gewissheit, dass Verletzungen, die seine Karriere beenden können, wie ein Damoklesschwert über ihm schweben. Wawrinka sagt: «Ich habe diesem Sport alles gegeben und meinen Körper ans Limit gebracht. Deshalb will ich es auch geniessen, so gut es geht.»
Doch wenn er auf den Platz gehe, sei der Gedanke, dass es in Paris eine Derniere sein könnte, weiter weg als im Vorjahr. «Was mich antreibt, ist die Herausforderung, mich weiter zu verbessern, mich mit den Besten zu messen und dieses Gefühl vollends auszukosten», sagt der dreifache Grand-Slam-Sieger zum Balanceakt zwischen Genuss und Verbissenheit.
Wawrinka geht diesen mit Demut an. Bei kleineren Turnieren gelingen ihm regelmässig Siege, auch mehrere in Folge. Im letzten Herbst besiegte er in Metz Daniil Medwedew und erreichte den Halbfinal, in Basel und zuletzt im Februar in Marseille stand er im Viertelfinal. Nur etwas fehlt ihm noch seit der Rückkehr vor anderthalb Jahren: ein Sieg im Hauptfeld eines Grand-Slam-Turniers. In Paris sind die Weichen dazu gestellt. Wawrinka trifft auf den Spanier Albert Ramos-Vinolas (35, ATP 66), gegen den er alle sieben bisherigen Duelle gewonnen hat. Und das ohne Glückshose. (aargauerzeitung.ch)