Es war November, er stand im Konfettiregen, im Blitzlichtgewitter der Fotografen, vereint mit dem Pokal für seinen bisher grössten Sieg – beim Final der acht Jahresbesten, nach Siegen gegen Roger Federer und Novak Djokovic. Es war der Höhepunkt in der noch jungen Karriere des Alexander Zverev.
Und zugleich der Tiefpunkt.
Denn hinter der glitzernden Fassade bröckelte das Fundament, das ihn zum globalen Gesicht der Tennis-Zukunft gemacht hatte, gelegt von einem gewissen Patricio Apey, einem Chilenen, einst Spieler, dann Trainer von Gabriela Sabatini, später Manager von Andy Murray, inzwischen 80-jährig und ein intimer Kenner der Szene. Einer, der mit allen Wassern gewaschen ist.
Apey verfolgte konsequent die Strategie, Zverev als globale Marke zu positionieren, für den heimischen Markt zeigte er nur wenig Interesse. Zverev entfremdete sich schleichend von der Heimat. Zuhause wird Russisch gesprochen, seinen Wohnsitz hat er in Monte Carlo, der Fitnesstrainer, Jez Green, ist ein Brite, der Manager war Chilene. War. Denn im März eskalierte, was schon in London gegärt haben muss. Zverev trennte sich von Apey.
Seither stehen die beiden Parteien in einem offenen Konflikt. Zu den Gründen, die zum Bruch geführt haben, schweigen sich beide Seiten aus. Die Entflechtung der Interessen und die Auflösung des bis 2023 laufenden Vertrags ist ein Fall für die Juristen. Und wird der Fall vor einem Londoner Gericht verhandelt, wird er auch langwierig. Denn freie Termine gibt es dort erst im nächsten Jahr. Es geht um Millionenbeträge, aber auch um verletzte Eitelkeiten.
Alexander Zverev scheiterte zuletzt im Sommer in Wimbledon in der Startrunde. Es war der Tag, an dem all das Ungemach der letzten Monate kulminierte. Da war nicht nur der Konflikt mit dem Ex-Manager. Da war auch die Trennung von der Freundin. Im Frühjahr lag Trainer-Vater Alexander senior ein paar Tage im Spital und konnte nicht reisen. Und Zverevs zweiter Trainer, der knorrige Ivan Lendl, verfolgte das Geschehen lieber aus der Ferne, offiziell wegen einer Pollenallergie.
Und plötzlich war der Rundumbetreute ganz auf sich alleine gestellt. Nur selten konnte er kaschieren, wie sehr ihn diese Disharmonie im Umfeld beschäftigte. In der Jahreswertung belegt Zverev zwar den zehnten Platz, doch er gewann nur einen Titel, im Mai in Genf. Auch dort bekundete er Mühe. Seine vier Siege kamen gegen Konkurrenten zustande, die im Ranking Positionen zwischen 75 und 92 belegten.
Umfeld und Spiel – alles war ausser Balance geraten. Zuletzt in Cincinnati unterliefen ihm in einem Spiel 20 Doppelfehler. «Ich bin zwei Meter gross – das ist eigentlich unmöglich. So wird es schwierig. Egal, gegen wen. Ich muss jetzt einfach mein Spiel wieder auf die Reihe bekommen», sagte er und zeigte sich dabei überraschend selbstkritisch.
Die letzten Monate haben ihn geprägt. Es ist wahrlich ein Stahlbad, durch das Alexander Zverev in den letzten Monaten gegangen ist. Noch vor zwei Monaten, bei der Niederlage in Wimbledon, moniert Zverev, «er» mache ihm das Leben schwer. «Er» wolle ihn fertig machen. Man könne sich nicht vorstellen, was «er» wieder gemacht habe. Aber er, Zverev, dürfe nicht darüber sprechen. Über «ihn». Er nahm den Namen nie in den Mund. Aber es war klar, wen er meinte: Patricio Apey.
Seither ist viel passiert. Zverev trennte sich von Ivan Lendl, der «lieber mit seinem Welpen spielte und golfte». Und kurz vor den US Open bestätigte er, was schon seit Monaten als ausgemacht galt. Ab sofort ist Zverev Kunde bei der Agentur Team 8, bei der Roger Federer als Mitinhaber firmiert. Er wird auch von dessen Manager Tony Godsick persönlich betreut. Ihm obliegt es ab sofort, den Zwist mit Apey zu lösen. Nun scheint Zverev langsam wieder Boden unter den Füssen zu finden. Es ist Warmwasser im Stahlbad. «Jetzt kann sich jemand um mich kümmern, und ich habe mehr Zeit für mich selber.» Für das Tennis. Für die US Open. Für den grossen Durchbruch.
Bei seiner imposanten Statur von zwei Metern, seinem spitzbübischen Lächeln, dem selbstbewussten Gang, geht allzu gerne vergessen, dass Alexander Zverev erst 22-jährig ist. Ein junger Mann, der zwar einmal mit wunderbar süffisantem Humor auftritt, gewinnend, reflektiert. Ein anderes Mal dafür umso unnahbarer, dünnhäutig, manchmal abschätzig in seinen Äusserungen, arrogant wirkend. Und dass vieles wohl auch Ausdruck von Unsicherheit ist.
Auch auf dem Platz ist er ein Mann mit zwei Gesichtern. Er hat drei Masters-Titel gewonnen und im November den Jahresfinal, er war die Nummer 3 der Welt, aber bei den Grand-Slam-Turnieren kam er nie weiter als in die Viertelfinals. Ein Makel in einer Karriere, die so verlief, als wäre sie am Reissbrett entstanden.
Zum engsten Favoritenkreis gehört Alexander Zverev bei den US Open erstmals seit vielen Jahre nicht mehr. Die Rolle behagt ihm, wie er sagt. Von seiner Ankündigung Anfang Jahr, den Durchbruch bei einem Grand-Slam-Turnier bei den US Open schaffen zu wollen, hat er inzwischen längst Abstand gewonnen. «Ich muss zuerst mein Spiel wieder finden. Es war in den letzten Monaten nicht da, wo ich es gerne gehabt hätte.»
Dafür hat Zverev erstmals seit Monaten wieder festen Boden unter den Füssen. Vielleicht ist es ja genau diese Konstellation, die ihm in New York den grossen Coup ermöglicht. Bei Roger Federer war es ganz ähnlich. Der war 2003 in Roland Garros beim Grand-Slam-Turnier vor seinem ersten Triumph in Wimbledon ebenfalls in der Startrunde gescheitert. Es wäre ein Höhepunkt, der seinen Ursprung an einem Tiefpunkt hatte.
scheinenden Alexander Zverev. Bravo, weiter so.
Obwohl ich persönlich kein Zverev-Fan bin, wünsche ich ihm, dass er nun zu alter Stärke zurückfindet und wieder konkurrenzfähig wird.