Er hat sechs Turniere gewonnen, war nie in den Top Ten der Welt und ist aktuell die Nummer 93 der ATP-Weltrangliste. Ein herausragender, aber keiner der allergrössten Tennisspieler. Doch Nick Kyrgios wird ohnehin von niemandem auf nackte Zahlen reduziert.
Wenn Kyrgios spielt, ist das Spektakel oft nicht weit. Der Australier schwankt zwischen Genie und Wahnsinn und lässt keinen Anhänger kalt. Auch deshalb nicht, weil er, zwischen fantastischen Schlägen und unverständlichen Aussetzern auf dem Tennisplatz, neben dem Court selten ein Blatt vor den Mund nimmt. So sagte er einst über Novak Djokovic: «Seine Jubelgesten nach einem Sieg sind zum Fremdschämen. Novak will krankhaft so beliebt sein wie Roger Federer. Er ist besessen davon, von allen geliebt zu werden.»
Während der Coronavirus-Pandemie machte sich der 26-Jährige dann erst recht einen Namen als scharfer Kritiker Djokovics. Das fing schon an, als es noch gar keine Impfungen gab. Kyrgios verurteilte den Serben für dessen desaströse Adria-Tour und dafür, dass er danach die Verantwortung von sich wies. Vor einem Jahr bei den Australian Open bat Djokovic dann für sich und die Tenniskollegen um Lockerungen bei den strengen Quarantäneregeln des Landes. Kyrgios bezeichnete den «Djoker» daraufhin als «Dummkopf». Der Serbe werde nie der grösste Tennisspieler aller Zeiten sein, egal wie viele Grand Slams er noch gewinne.
Nun sitzt der mutmasslich ungeimpfte Novak Djokovic im Park Hotel im Melbourner Stadtteil Carlton und wartet darauf, ob sein Rekurs angenommen wird. Scheitert er, muss er Australien spätestens am Montag verlassen. Nichts wird dann vorderhand mit dem 21. Grand-Slam-Titel, durch den er sich von seinen Dauer-Rivalen Roger Federer und Rafael Nadal abheben würde.
Und während ausserhalb Serbiens gefühlt die ganze Welt auf Djokovic herumhackt, der mit einer Ausnahmebewilligung nach Australien einzureisen hoffte, kommt nun Support von unerwarteter Seite. Denn ausgerechnet Nick Kyrgios springt ihm bei.
«Ich bin auf jeden Fall dafür, dass Massnahmen ergriffen werden», leitet Kyrgios sein Statement ein, das er am Freitagmorgen (Schweizer Zeit) absetzt. Er habe sich aus Rücksicht auf andere und auf die Gesundheit seiner Mutter impfen lassen, schreibt er weiter. «Aber wie wir mit Novaks Situation umgehen, ist schlecht, wirklich schlecht. All diese Memes und Schlagzeilen. Er ist einer unserer grossen Champions, aber letzten Endes ist er ein Mensch. Macht es besser.»
Look I definitely believe in taking action, I got vaccinated because of others and for my mums health, but how we are handling Novak’s situation is bad, really bad. Like these memes, headlines, this is one of our great champions but at the end of the day, he is human. Do better.
— Nicholas Kyrgios (@NickKyrgios) January 7, 2022
Vielleicht ändert diese Aussage etwas an Djokovics Meinung über Kyrgios. «Er hat in der Vergangenheit bewiesen, dass er jeden Gegner schlagen kann», sagte der Serbe während des Streits der beiden vor einem Jahr, «aber neben dem Platz habe ich nicht viel Respekt für ihn.»
Er befürwortet ja die Haltung von Djokovic nicht, sondern äussert sich klar gegen die Presse welche jetzt auf Djokovic einprügelt. Auf dem Pausenplatz ist doch das Nachtreten auf den am Boden liegenden auch verpönt, in der Presse und den Kommentarspalten jedoch sehr verbreitet.
Er ist wie Jesus, Spartakus und Wasser zur gleichen Zeit.