Noch vor drei Wochen war fraglich, ob Rafael Nadal bei den French Open wird spielen können. Nun, zwei Tage nach seinem 36. Geburtstag, nahm er nach einem Dreisatzsieg gegen den Norweger Casper Ruud zum 14. Mal die Coupe des Mousquetaires in Empfang. Sein 22. Grand-Slam-Titel.
Nadal riss die Arme in die Höhe, schlug die Hände vors Gesicht und sagte später, was alle hören wollten: «Ich weiss nicht, was die Zukunft bringt, aber ich werde weiter kämpfen.» Und versuchen, auch im nächsten Jahr wieder in Paris anzutreten, wo man dem spanischen Rekordsieger schon zu Lebzeiten ein drei Meter hohes Denkmal aus Stahl erstellt hat.
Sicher ist das nicht. Jeden von Nadals Auftritten umwehte ein Hauch von Endgültigkeit, die er selber befeuerte. Auffallend oft sagte er, dass es sein letzter Auftritt in Paris sein könnte. Die spanische Sportzeitung Marca hatte berichtet, Nadal werde nach dem Turnier wohl seinen Rücktritt verkünden – unabhängig vom Ausgang des Finals. Zudem weile Roger Federer in der Stadt. Sein einstiger Rivale, der längst zum Freund geworden war, werde im Fall eines Nadal-Sieges den Pokal überreichen. Nichts davon traf ein.
Und doch stehen Rafael Nadal Tage bevor, die ihn zur Erkenntnis führen könnten, dass es an der Zeit ist, seine Karriere zu beenden.
Denn in Paris liess sich Rafael Nadal vor allen sieben Spielen den linken Fuss von seinem mitgereisten Leibarzt Angel Ruiz-Cotorro betäuben, um die chronischen Schmerzen auszuhalten. Müller-Weiss-Syndrom heisst die degenerative Knochenkrankheit, die bei Nadal zu einer Deformierung des Kahnbeins im Mittelfuss führte. Vor dem Turnier hatte Nadal gesagt: «Ich bin nicht verletzt. Ich bin ein Spieler, der mit einer Verletzung lebt.» Und das seit 2005. Denn bereits damals wurde Nadal die Diagnose gestellt.
Seit bald zwei Jahrzehnten bereitet ihm der Fuss Albträume. Das zermürbt. In Rom sagte Nadal: «Irgendwann kommt der Moment, an dem mein Kopf sagen wird: ‹Nun reicht es.› Die ständigen Schmerzen rauben einem alle Freude. Nicht nur am Tennis, am ganzen Leben. Und mein Problem ist, dass es in meinem Leben zu viele Tage gibt, an denen ich mit Schmerzen leben muss.» Oft könne er nur mit Schmerzmitteln trainieren. Dazu ist Nadal nicht mehr bereit. Nach dem French-Open-Sieg sagte er deutlich:
Die Verletzungen, die Nadal daneben immer wieder zu Pausen gezwungen haben, umfasst praktisch das gesamte Spektrum der Anatomie. Mal war es das Knie, mal der Rücken, mal das Handgelenk, und immer: der linke Fuss. Gleich neun Grand-Slam-Turniere verpasste er. Umso bemerkenswerter ist, dass Nadal seit 17 Jahren (!) zu den Top Ten der Weltrangliste gehört.
Doch trotz seiner Triumphe stellt sich Nadal Frage: zu welchem Preis? Er sagt: «Ich würde einen neuen Fuss jedem Titel vorziehen. Mein Leben ist mir wichtiger als jede Trophäe.» Zeit seiner Karriere ist er immer wieder vom eigenen Körper gestoppt worden. Doch zuletzt häuften sich selbst für seine Verhältnisse die Pausen. In der vergangenen Saison bestritt er nach den French Open Anfang Juni nur noch ein Turnier und zwei Partien.
Es ist müssig, darüber zu debattieren, ob Rafael Nadal noch mehr Titel gewonnen hätte, wäre er nicht so oft verletzt gewesen. Denn es gibt auch eine andere Lesart: Dass er so erfolgreich war, weil es ihm gelang, jedes Spiel mit der Haltung zu bestreiten, dass es sein letztes sein könnte. Einst sagte er: «Ich liebe den Wettkampf, nicht nur im Tennis, sondern überall im Leben. Vielleicht liebe ich es mehr, zu kämpfen, als zu gewinnen.» Diese Leidenschaft, die Leidensfähigkeit, die Demut und der Wille haben Nadal zu einem der erfolgreichsten Spieler der Geschichte gemacht.
In Paris presste Nadal die Zitrone bis zum letzten Tropfen aus: Félix Auger-Aliassime zwang er nach fünf Sätzen in die Knie, besiegte danach Novak Djokovic. Im Halbfinal leistete er erbitterten Widerstand gegen Alexander Zverev, bis dieser aufgeben musste. Und am Ende gewann er auch den 14. Final auf dem Court Philippe Chatrier. Er bleibt der König von Paris.
Zum ersten Mal in seiner Karriere hat Nadal die ersten zwei Grand-Slam-Turniere des Jahres gewonnen. In Wimbledon, wo er 2008 und 2010 triumphiert hatte, wolle er antreten, notfalls mit Schmerzmitteln. Aber nicht mehr mit betäubtem Fuss. Wenn das der Massstab ist, wenn Nadal bei dieser Haltung bleibt, dann wird er vielleicht tatsächlich nicht nach Paris zurückkehren. Dann war es kein Au revoir, sondern ein Adieu. (aargauerzeitung.ch)
Vor paar Jahren mochte ich ihn 0, lag wahrscheinlich an der sportlichen Rivalität zu Federer. Aber jetzt, mit etwas "Abstand" dazu: Wahnsinniger Kämpfer, riesen Sportsmann und eine, finde ich, verdammt attraktive Spielweise!
Was ich allerdings nicht glaube, ist, dass er seine Karriere für einen gesunden Fuss eintauschen würde.