Für Carlos Alcaraz gehen gleich zwei Kindheitsträume in Erfülllung. Im Final der US Open besiegt er den Norweger Casper Ruud mit 6:4, 2:6, 7:6 und 6:3 und gewinnt sein erstes Grand-Slam-Turnier. Zugleich verdrängt der Spanier den Vorjahressieger, Daniil Medwedew, von der Spitze der Weltrangliste. Mit 19 Jahren und 4 Monaten ist er fast anderthalb Jahre jünger als Lleyton Hewitt, der bisher die jüngste Nummer 1 der Welt war.
Als er im Frühling auf dem Weg zum Turniersieg in Madrid der Reihe nach Rafael Nadal, Novak Djokovic und Alexander Zverev bezwungen hatte, formulierte Alcaraz seine Erfolgsformel, die ihm sein Grossvater mit auf den Weg gegeben hatte: «Cabeza, corazon, cojones» – «Kopf, Herz, Eier». Dieses Motto begleite ihn, sagte der Spanier.
In New York, im Arthur-Ashe-Stadion, vor 24'000 Zuschauern, auf der grössten Bühne im Tennis, stellte Alcaraz mehrfach unter Beweis, dass er diese Losung längst verinnerlicht hat. Sein Viertelfinal gegen Jannik Sinner endete erst um 02.50 Uhr Ortszeit – nach 05:15 Stunden Spielzeit. Im Halbfinal gegen den Amerikaner Frances Tiafoe verwandelte er den Matchball kurz vor Mitternacht – nach 4:22 Stunden im fünften Satz. Und schon im Achtelfinal hatte der 19-Jährige über die volle Distanz gehen müssen. 13 Stunden und 28 Minuten stand er insgesamt auf dem Platz.
Casper Ruud, der im Final der French Open Rafael Nadal unterlegen war und mit einem Sieg seinerseits zur Nummer 1 der Welt geworden wäre, verlangte Alcaraz alles ab. Nach verlorenem Startsatz dominierte er den zweiten Durchgang.
Im dritten Satz machte der 24-Jährige erst einen Breakrückstand wett und liess beim Stand von 6:5 als Rückschläger zwei Satzbälle ungenutzt. Die Vorentscheidung führte Alcaraz mit dem mit 7:1 gewonnen Tiebreak herbei. Zuvor hatte er alle seine vier Tiebreaks im Turnierverlauf verloren.
Im vierten Satz gelang der neuen Nummer 1 der Welt das einzige Break zum 4:2.
Das Tennis hat immer wieder Figuren hervorgebracht, die schnell zu Stars der Zukunft hochgejubelt wurden und dann plötzlich in der breiten Masse des höchst kompetitiven Sports abtauchten. Doch das jüngste Tennis-Wunderkind bestätigte die Vorschusslorbeeren, die ihm seit seinem erstaunlichen Viertelfinalvorstoss bei den letztjährigen US Open vorauseilen. 2022 gewann Alcaraz die meisten Matches (60) und die meisten Turniere (5), darunter die Masters-Turniere in Miami und Madrid.
Alcaraz verblüfft mit variantenreichem Spiel, das an Roger Federer erinnert, einer Leidenschaft und Intensität, wie sie Rafael Nadal an den Tag legt, und einer Athletik, wie sie nur Novak Djokovic auszeichnet.
Viel wichtiger: Alcaraz zieht die Massen in ihren Bann. Nicht nur in seiner Heimat El Palmar im Südwesten Spaniens, wo in der Nacht auf Montag Tausende Menschen auf Marktplätzen und in Geschäften feierten. Sondern überall auf der Welt. Weil Alcaraz authentisch und unverbraucht ist, weil er mit jugendlichem Übermut spielt und zugleich abgebrüht wie einer, der seit Jahren auf diesen Bühnen auftritt.
Wie er nach spektakulären Ballwechseln die Faust ballt und das Publikum dazu auffordert, noch mehr Lärm zu machen. Oder wie er auch seinen Gegnern nach gelungenen Aktionen applaudiert und nach verlorenen Ballwechseln lächelt.
Alcaraz ist 19-jährig, hat keine Tattoos, und trägt einen fast biederen Haarschnitt. Äusserlichkeiten, so scheint es, bedeuten ihm nichts. Alles, was für ihn zählt, spielt sich auf dem und rund um den Tennisplatz ab.
Er vereinigt Selbstbewusstsein und Demut zugleich auf sich. Den Erfolg hat er Talent und Arbeitsethos zu verdanken, aber auch seinem familiär geprägten Umfeld. Sein Trainer ist der Spanier Juan Carlos Ferrero. Der 42-jährige stammt aus der Generation um Roger Federer. 2003 gewann er die French Open und führte während sieben Wochen selber die Weltrangliste an.
Ferrero hatte zuvor einmal für kurze Zeit den Deutschen Alexander Zverev betreut. Die Trennung verlief unschön und nicht ohne laute Nebengeräusche. Der Spanier warf Zverev fehlende Disziplin vor, der Deutsche sprach von Respektlosigkeit.
Schlagworte, die nach Alcaraz' Erfolgen in neuem Licht erscheinen, baut Ferreros Arbeit doch genau auf diesen Werten auf: Disziplin, Respekt, Demut. Fünf Jahre nach dem Zwist ist Zverev zwar Olympiasieger, auf seinen ersten Grand-Slam-Titel wartet der 25-jährige Deutsche aber noch immer.
Zukunft und Gegenwart gehören Carlos Alcaraz. Mit seiner Leidenschaft und Arbeitsmoral erinnert er an Rafael Nadal.
Dieser sagte vor einem halben Jahr nach einem hinreissenden Duell in Indian Wells: «Es sieht so aus, als sei Carlos bescheiden genug, um hart an sich zu arbeiten und um zu verstehen, dass es nur einen Weg gibt, um ein grosser Champion zu werden – das ist, ständig an sich zu arbeiten. Ich habe kaum Zweifel, dass er ein Grosser werden wird – er ist es eigentlich jetzt schon.»
Nur wenig später ist Carlos Alcaraz oben angekommen. Als Grand-Slam-Sieger, als jüngste Nummer 1 in der Geschichte des Männertennis. Mit Hirn, Herz und Eiern. (aargauerzeitung.ch)
Ein bärenstarker Ruud verliert in 4 - wobei der dritte Satz entscheidend war.
Begeisternd: Alcaraz spielt immer Vorwärts-Tennis. Es gibt kein abwartendes Verteidigen, kein Kalkulieren. Er will den Winner, den Punkt und die Dominanz im Ballwechsel.
Dieses Match war ein Gedicht!
Schön, dass eine neue Generation den Lead übernimmt. Freue mich auf mehr spannendes Tennis.
Gratulation an Alcaraz.
@Nole
Könnte knapp werden mit deinen 30 Grand Slam Titeln.