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Wie Tennisass Novak Djokovic vom Bösewicht zum Liebling der Massen wurde

epa10411174 Novak Djokovic of Serbia celebrates winning against Roberto Carballes Baena of Spain during their first round match at the 2023 Australian Open tennis tournament at Melbourne Park in Melbo ...
Gab sich bei seiner Rückkehr nach Melbourne keine Blösse: Novak Djokovic.Bild: keystone

So wurde Djokovic vom Posterboy der Impfgegner zum Liebling der Massen

Ein Jahr nach seiner Abschiebung aus Australien feiert Rekordsieger Novak Djokovic in Melbourne eine triumphale Rückkehr. Wie der Serbe innerhalb eines Jahres vom Buhmann zum Liebling der Massen wurde.
17.01.2023, 19:03
Simon Häring, Melbourne / ch media
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Seine Rückkehr warf schon Wochen zuvor ihre Schatten voraus, denn lange war nicht sicher, ob Novak Djokovic überhaupt noch einmal als Tennisspieler nach Australien zurückkehren würde. Vor einem Jahr war der Serbe abgeschoben worden, weil er nicht gegen das Coronavirus geimpft ist. Damit einher ging eine dreijährige Einreisesperre. Kurz vor dem Jahreswechsel wurde der neunfache Australian-Open-Sieger dann begnadigt. Ohnehin sind sämtliche Reiserestriktionen aufgehoben.

Zwar war die Frage beantwortet, ob Djokovic wieder nach Australien wird reisen können. Nicht aber, wie die Bevölkerung auf ihn reagieren würde. Während 263 Tagen war Melbourne im Lockdown – länger als jede andere Stadt der Welt. Familien waren getrennt, Grenzen geschlossen. Menschen konnten nicht von ihren sterbenden Angehörigen Abschied nehmen, sie verpassten Geburten und Geburtstage. Entsprechend gross war der Zorn der Bevölkerung, als die Tenniskarawane mitten in einer der schlimmsten Wellen der Coronapandemie ihren «Happy Slam» durchführte.

epa09688748 (FILE) - Serbian tennis player Novak Djokovic (C) departs from the Park Hotel government detention facility before attending a court hearing at his lawyers office in Melbourne, Australia,  ...
Novak Djokovic im letzten Januar.Bild: keystone

Novak Djokovic wurde zur Symbolfigur, an der sich der Zorn entlud, weil er sich aus persönlicher Überzeugung nicht gegen das Coronavirus impfen lässt. Der Serbe glaubte damals, er könne dank einer Spezialbewilligung einreisen, die ihm die Australian Open in Person von Turnierdirektor Craig Tiley übermittelt hatten. Djokovic machte eine kürzlich durchgemachte Infektion geltend, die es ihm verunmögliche, sich impfen zu lassen.

Doch statt seiner Anhänger, die in Melbourne besonders zahlreich sind, weil hier eine grosse serbische Diaspora beheimatet ist, nahm ihn die Australian Border Force in Empfang. Djokovic musste in Abschiebungshaft und wurde nach einem aufsehenerregenden Prozess abgeschoben.

Djokovic wurde als Ikone und Posterboy für Impfgegner gebrandmarkt, der mit seiner ablehnenden Haltung gegenüber der Impfung alleine durch seine Anwesenheit in Australien soziale Unruhen provoziere. Tatsächlich versuchten entsprechende Gruppierungen Kapital aus der Geschichte zu schlagen und es kam in der Innenstadt zu Ausschreitungen.

Fans cheer outside an immigration detention hotel where Serbian tennis star Novak Djokovic is confined in Melbourne, Australia, Monday, Jan. 10, 2022. An Australian judge who will decide whether top-r ...
Vor dem Hotel, in dem sich Djokovic befand, versammelten sich viele serbische Fans.Bild: keystone

Der Fall hatte nicht nur Australien gespalten. Djokovics Anhänger sahen ihn als Opfer. Seine Kritiker stiessen sich daran, dass er als noch positiv Getesteter vor dem Abflug ein Interview gegeben und Kinder getroffen hatte. Hier, vor allem in der Heimat Serbien, Märtyrer, dort Buhmann.

Alles vergeben und vergessen, wenn man Novak Djokovic ein Jahr später in Australien sieht. Die Pandemie ist auch hier in Vergessenheit geraten – und die meisten Zuschauer haben Djokovic in Melbourne längst wieder ins Herz geschlossen. Mit neun Titeln ist er der Rekordsieger, seit 2018 hat er auf dem fünften Kontinent nicht mehr verloren. Und gewinnt er erneut den Titel, zieht er mit 22 Grand-Slam-Titeln nicht nur mit dem Titelverteidiger Rafael Nadal gleich, sondern wird auch wieder die Nummer 1 der Welt.

«Dankbar für Liebe und Unterstützung»

Djokovics erstaunlich schnelle Wandlung vom Buhmann und Posterboy der Impfgegner zum fast uneingeschränkten Liebling der Massen hat auch mit seinem bedachten Handeln zu tun. Nie äusserte er Groll, immer zeigte er sich versöhnlich. Er habe sich gefreut, nach Australien zurückzukehren und Tennis zu spielen. «Denn das ist es, was ich will, am besten kann und auch im letzten Jahr tun wollte», sagte Djokovic nach seinem souveränen 6:3, 6:4, 6:0-Auftaktsieg gegen den Spanier Roberto Carballes Baena.

«Es war sehr emotional für mich. Ich wusste nicht, welchen Empfang ich bekommen würde. Wie es sein würde nach allem, was im letzten Jahr vorgefallen war», sinnierte Djokovic schon im Vorfeld. «Deshalb bin ich umso dankbarer für die Liebe und Unterstützung, die ich hier erfahre.»

Novak Djokovic of Serbia reacts after defeating Roberto Carballes Baena of Spain in their first round match at the Australian Open tennis championship in Melbourne, Australia, Wednesday, Jan. 18, 2023 ...
Novak Djokovic nach seinem Sieg gegen Carballes Baena.Bild: keystone

Dass sich Djokovic ein Jahr nach dem Visumsdesaster grosser Beliebtheit erfreut, dürfte auch dem Umstand geschuldet sein, dass mit dem Rücktritt von Roger Federer ins Bewusstsein gerückt ist, welch ausserordentliche Ära des Männertennis sich dem Ende zuneigt, die der Serbe massgeblich mitgeprägt hat. Sein grösster Rivale, Rafael Nadal, verlor sechs seiner letzten acht Einzel und meinte halb amüsiert, halb genervt, er werde ständig nach dem Zeitpunkt seines Rücktritts gefragt, wenn er verliere.

Und der vierte Grosse dieser Ära, der Schotte Andy Murray, sagte, er sei nur eine grössere Verletzung vom Karriereende entfernt. Novak Djokovic hingegen wirkt derzeit so unantastbar wie zu seinen besten Zeiten und so fit wie ein Mittzwanziger. Und solang Djokovic spielt, solang er noch Rekorde bricht, so lang lebt auch die Erinnerung an diese Ära weiter. (aargauerzeitung.ch)

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Noch ist der Schatten der «Alten» zu gross: Novak Djokovic heisst der Turnier-Sieger – zum zehnten Mal bereits.
quelle: keystone / fazry ismail
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79 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Gulasch
17.01.2023 20:37registriert März 2014
Djokovic ist zwar ein genialer und einzigartiger Sportler, aber niemals Liebling der Massen...
16923
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International anerkannter Experte für ALLES
17.01.2023 21:05registriert Juli 2021
Welche Massen?

Schnittmenge aller Menschen mit schlechtem Gedächtnis, Tennisinteresse und Verachtung aller im Gesundheitswesen arbeitenden Personen?

Djokovic ist niemals ein Liebling, sorry.
12525
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Harry Zimm
17.01.2023 20:24registriert Juli 2016
Das geht heute aber rassig mit dem Vergessen. Flatterhafte Welt, in der wir leben…
12021
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Was für eine Parade! Bobrovsky der Baumeister von Floridas Triumph
Was du hier findest? Aussergewöhnliche Tore, kuriose Szenen, Memes, Bilder, Videos und alles, das zu gut ist, um es nicht zu zeigen. Lauter Dinge, die wir ohne viele Worte in unseren Sport-Chats mit den Kollegen teilen – und damit auch mit dir. Chat-Futter eben.
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