Bereits am Freitag. 68 Jahre nach der Premiere in Amsterdam wird die Tour de France am 1. Juli zum 24. Mal ausserhalb von Frankreich lanciert. Dänemark ist erstmals Schauplatz des Grand Départ. Der Startschuss für die 109. Ausgabe der Frankreich-Rundfahrt fällt für die 176 gemeldeten Fahrer der 22 Teams mit einem 13,2 km langen Einzelzeitfahren in Kopenhagen.
Copenhagen dressed up for le Grand Départ 💛
— Tour de France™ (@LeTour) June 28, 2022
Copenhague habillé aux couleurs du Tour de France pour le Grand Départ 💛#TDF2022 #LeTourDK
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Die dänische Hauptstadt gilt als velofreundlichste Stadt weltweit, fast die Hälfte aller Fahrten zur Arbeit und Schule werden mit dem Zweirad zurückgelegt. Das Startprogramm in Dänemark komplettieren zwei Flachetappen, bevor am Montag der erste Ruhetag und der Transfer nach Dünkirchen folgt.
Der fiese Wind entlang der dänischen Küste, extrem enge Strassen, ein kurzer, aber heftiger Anstieg kurz vor dem Ziel und etliche Kopfsteinpflaster-Passagen – die Kursführung der ersten Etappen nach dem Zeitfahren bereitet vielen Fahrern Kopfzerbrechen. «Die erste Woche macht mir Angst. Es wird ums Überleben gehen», erklärte Vorjahressieger Tadej Pogacar gegenüber der «Gazzetta dello Sport» gar etwas martialisch. Der Hintergrund: Auch der Slowene weiss, dass man die Tour in der ersten Woche nicht gewinnen, aber sehr wohl verlieren kann.
Auch Ex-Profi Jens Voigt ist wenig begeistert vom Tour-Auftakt in Dänemark. «Es ist superspannend und aufregend für die Zuschauer, aber diese erste Woche ist so nah am Gladiatorentum, wie es nur geht», erklärt der zweifache Tour-Etappensieger bei Eurosport. «Wir sind nur noch einen Schritt davon entfernt, dass es in der Arena wirklich um Leben und Tod geht.»
Die absichtlich auf Spektakel ausgelegte Kursführung werde für grosse Hektik und als Folge davon für viele Stürze im Feld sorgen, prognostiziert Voigt. «Die erste Woche wird extrem wichtig und stressig. Jeder weiss das und entsprechend wollen alle Fahrer immer an dieser einen wichtigen Kurve vorne sein – aber das geht nicht, da ist eben nur Platz für 20 Fahrer. Darum erwarte ich, dass die erste Tour-Woche auch von vielen Stürzen geprägt sein wird.»
Diese Crashes würden von den Veranstaltern billigend in Kauf genommen, beklagt Voigt weiter: «Ich nehme mal ein Beispiel aus einer anderen Sportart: Das ist, als ob man bei einem Fussballspiel plötzlich mitten im Match den ganzen Platz einölen würde: Denn dann wird es spannender, die rutschen mehr – wer würde das machen? Kein Mensch!»
Nach den schwierigen ersten Etappen in Dänemark wartet kurz nach dem ersten Ruhetag gleich die nächste knifflige Aufgabe auf die Fahrer. Das 157 km kurze Teilstück von Lille nach Arenberg ist gespickt mit elf Kopfsteinpflaster-Sektoren und gleicht einem brutalen Frühjahrsklassiker.
Bereits eine Woche nach Tour-Start kommt es zur ersten von insgesamt fünf Bergankünften, und die hat es gleich in sich: Die Schlusssteigung nach La Super Planche des Belles Filles ist sieben Kilometer lang und weist eine durchschnittliche Steigung von 8,7 Prozent auf. Richtig happig wird es ganz zum Schluss: Auf Pogacar und seine Konkurrenten wartet eine 24 Prozent steile Rampe.
Einen Tag nach der ersten Bergankunft macht das bedeutendste Radrennen der Welt zum ersten Mal seit sechs Jahren in der Schweiz Halt. Lausanne ist am 9. Juli das Etappenziel, bevor es eine Nacht später von Aigle aus, wo sich der Sitz des Internationalen Radsportverbandes befindet, weiter in Richtung Alpen geht.
Die Königsetappe führt am französischen Nationalfeiertag, dem 14. Juli, von Briançon hinauf zum finalen Anstieg nach Alpe d'Huez. Das Teilstück ist 165,5 km lang und beinhaltet über 4500 Höhenmeter. Dabei geht es auch über den Galibier-Pass, mit 2642 Metern über Meer das Dach der diesjährigen Tour.
Die Bergankunft auf die Alpe d'Huez ist legendär: Der 13,8 km lange Schlussanstieg beinhaltet 21 Kehren, zu bewältigen ist ein Höhenunterschied von 1090 Metern mit einer durchschnittlichen Steigung von 7,9 Prozent. Zum 31. Mal geht es die legendäre Rampe hoch, bei der letzten Austragung 2018 gewann der Brite Geraint Thomas.
Die letzte Bergetappe hat es noch einmal so richtig in sich – vor allem die letzten 80 Kilometer in den Pyrenäen werden zur «Hölle». Erst wartet der Col d'Aubisque (1709 m), dann der Col de Spandelles (1378 m) und zum Schluss geht es zum fünften Mal in der Tour-Geschichte zur Skidestination Hautacam hoch. Der Anstieg gleicht einer zweiten Alpe d'Huez – nur, dass es auf den letzten Kilometern deutlich steiler ist. Letzter Sieger in Hautacam war 2014 der Italiener Vincenzo Nibali.
Die Entscheidung um den Gesamtsieg dürfte aber erst am vorletzten Tag mit dem zweiten Zeitfahren über 40,7 km fallen. Unvergessen ist die Ausgabe von 2020, als Primoz Roglic seinen scheinbar komfortablen Vorsprung beim abschliessenden Kampf gegen die Uhr doch noch gegen Landsmann Tadej Pogacar verspielte und mit Rang 2 vorliebnehmen musste.
Eigentlich gibt es nur einen Top-Favoriten: Tadej Pogacar strebt an der Tour de France seinen dritten Gesamtsieg in Folge an. Der 23-jährige Slowene hat in dieser Saison bereits zehn Siege auf dem Konto. Zuletzt triumphierte der Ausnahmekönner überlegen an der Slowenien-Rundfahrt. Der kletterstarke Allrounder, der auch bei den Klassikern im Frühjahr ganz vorne mitmischen konnte, fuhr der Konkurrenz in den entscheidenden Momenten spielend leicht davon.
Praktisch nicht von seiner Seite wich sein Teamkollege Rafal Majka. Der erfahrene und vielseitig befähigte Pole dürfte an der Tour de France so etwas wie Pogacars Edelhelfer in allen Lagen sein. Im Duell Mann gegen Mann reicht dem Slowenen aktuell keiner das Wasser.
Das ist man sich auch bei Jumbo-Visma bewusst. Deshalb schickt die niederländische Equipe mit Pogacars Landsmann Primoz Roglic und dem Dänen Jonas Vingegaard gleich eine Doppelspitze ins Rennen, die aktuell im Peloton ihresgleichen sucht. Nach dem Motto: Zwei sind mehr als ein Pogacar. Zuletzt dominierten Roglic und Vingegaard das Geschehen an der Dauphiné-Rundfahrt, die sie auf den Rängen 1 und 2 abschlossen.
Sogar mit einer Dreierspitze tritt Ineos Grenadiers zur 109. Ausgabe der «Grande Boucle» an: Geraint Thomas, jüngst Gewinner der Tour de Suisse und 2018 Sieger der Tour de France, Daniel Martinez und der zuletzt an Corona erkrankte Adam Yates fahren auf die Gesamtwertung.
Ja, und zwar vier Stück. Stefan Küng, Stefan Bissegger, Silvan Dillier und der nachnominierte Marc Hirschi haben keine Ambitionen aufs Gesamtklassement, werden vor allem versuchen, hin und wieder Akzente zu setzen. Zum Beispiel gleich zu Beginn beim ersten Einzelzeitfahren: Stefan Küng und Stefan Bissegger haben in ihrer Spezialdisziplin die Chance, sich den grossen Traum vom begehrten Maillot Jaune zu verwirklichen. Der letzte Schweizer im Gelben Trikot war 2015 Fabian Cancellara.
Während Bissegger erst zum zweiten Mal nach seiner Premiere im letzten Jahr an der Tour de France teilnimmt, ist es für Küng bereits die sechste Teilnahme. Schon 2017, als er als Tour-Debütant beim Prolog in Düsseldorf hinter dem späteren Tour-Gewinner Geraint Thomas Zweiter geworden war, hatte er am grossen Sieg geschnuppert.
Höchstens sporadisch Ausgang erhalten wird auch Silvan Dillier. Der 31-jährige Aargauer nimmt bei seiner dritten Tour-Teilnahme im Team von Superstar Mathieu van der Poel eine Helferrolle ein. Vor allem auf dem flachen und hügeligen Terrain setzt Alpecin-Deceuninck – auch als Unterstützung für den sprintstarken Belgier Jasper Philipsen – auf Dilliers Dienste.
Marc Hirschi wird zum dritten Mal in Folge beim wichtigsten Etappenrennen des Jahres teilnehmen. Ursprünglich gehörte der Berner nicht zum achtköpfigen UAE-Emirates-Kader rund um den zweifachen Titelverteidiger Tadej Pogacar. Dem 23-Jährigen war ein positiver Corona-Test während der Tour de Suisse in die Quere gekommen. Nun kam ihm zugute, dass sein italienischer Teamkollege Trentin vom derzeit herrschenden Corona-Chaos erfasst wurde.
Unfortunately Matteo Trentin tested positive for Covid-19 and won't start this years Tour de France.
— @UAE-TeamEmirates (@TeamEmiratesUAE) June 29, 2022
Though disappointed he feels well and is not displaying any symptoms at this point.
Marc Hirschi will step-up to take his place in the team. #letourdk #letour pic.twitter.com/8VbhcIIPk3
Im letzten Jahr war Hirschi am zweiten Triumph des Slowenen Pogacar beteiligt gewesen, bei seinem Grand-Tour-Debüt 2020 in Frankreich überzeugte er mit einem Etappensieg in Sarran und der Auszeichnung zum kämpferischsten Fahrer.
Nicht dabei sind Gino Mäder und Michael Schär. Mäder wurde nach seinem positiven Corona-Test an der Tour de Suisse entgegen erster Planungen von seinem Team nicht ins Tour-Aufgebot berufen. Dem 35-jährigen Luzerner Schär, der mit seiner 12. Teilnahme alleiniger Schweizer Rekordhalter geworden wäre, wurden im französischen Team AG2R einheimische Fahrer vorgezogen.
Die Angst vor positiven Corona-Fällen beherrscht nach den zahlreichen Fällen an der Tour de Suisse auch die Tour de France. Der Weltverband UCI hat kurz vor dem Start prompt die Regeln zu Tests und Ausschlüssen geändert. Trotz zahlreicher positiver Fälle in den vergangenen Wochen wurden die Bestimmungen allerdings nicht verschärft, sondern gelockert.
Vor Beginn und an zwei Ruhetagen müssen nun bei allen Fahrern und Teammitgliedern nur noch Antigenschnelltests statt PCR-Tests durchgeführt werden. Auch die gefürchtete Regel, dass eine Mannschaft aus dem Rennen genommen wird, sobald zwei Fahrer positiv getestet werden, entfällt.
All the key figures you need to know ahead of this year's Grand Départ ⬇️#TDF2022 pic.twitter.com/yjEIUklYS0
— Tour de France™ (@LeTour) June 24, 2022
Ein positiver Schnelltest muss durch einen PCR-Test bestätigt werden, bedeutet jedoch nicht – auch dies ist neu – zwangsläufig das Aus für den betreffenden Fahrer. In Ausnahmefällen können der Chefarzt der UCI sowie der Covid-Arzt des Organisators ASO beschliessen, dass ein Fahrer weiterfahren darf. Voraussetzung dafür ist, dass die infizierte Person nicht ansteckend ist und das Coronavirus übertragen kann.
Neben den verpflichtenden Tests vor und während des Rennens gab die UCI dringende Empfehlungen aus. Diese beinhalten, dass sich alle Fahrer und Teammitglieder möglichst täglich einem Schnelltest unterziehen sollen.
Mit Material der Nachrichtenagentur Keystone-SDA.