Er schrieb Schweizer Fussballgeschichte – und wird von Chelsea wenig später entlassen
«Die letzten Leistungen und Resultate waren nicht gut genug.» Mit diesen Worten entliess Chelsea seinen Trainer Roberto Di Matteo am 21. November 2012. Die Vereinsführung um Besitzer Roman Abramowitsch traute dem Schweiz-Italiener die Wende in der wichtigen Phase, in der das Weiterkommen in der Champions League sowie der Anschluss an die Spitze der Premier League auf dem Spiel standen, nicht mehr zu.
Damit endete für den in Schaffhausen geborenen Di Matteo eine verrückte Achterbahnfahrt während seiner gut acht Monate als Trainer der Blues. Chelsea bedankte sich «für alles, was er für den Klub getan hat» und erklärte: «Wir werden seinen riesigen Beitrag zur Geschichte des Vereins nie vergessen.»
Di Matteo war im Sommer 2011 als Co-Trainer von André Villas-Boas an die Stamford Bridge zurückgekehrt, zwischen 1996 und 2002 hatte er bereits für die Blues gespielt und unter anderem zweimal den FA-Cup sowie einmal den Europacup der Cupsieger gewonnen. Im März 2012 übernahm er dann nach der Entlassung des Portugiesen als Interimstrainer. Die ersten vier Spiele nach dem Trainerwechsel gewann Chelsea allesamt, im Champions-League-Achtelfinal wurde eine 1:3-Niederlage aus dem Hinspiel dank eines 4:1-Heimsiegs nach Verlängerung gegen Napoli noch gedreht und der Grundstein für den bis dahin grössten Erfolg der Vereinsgeschichte gelegt.
In der Premier League holte Chelsea in elf Spielen unter Di Matteo 18 Punkte und verbesserte sich immerhin noch vom fünften auf den vierten Platz. Im FA Cup marschierten die Blues gegen Birmingham City (2:0), Leicester City (5:2), Tottenham (5:1) und Liverpool im Final (2:1) zum Titel. Das Meisterstück lieferte das Team um Legenden wie Frank Lampard, John Terry, Didier Drogba und Petr Cech aber in der Königsklasse.
Messi und Co. verzweifelten an Chelseas Abwehrriegel
Nach der Wende gegen Napoli setzte sich Chelsea dank zwei knappen Siegen auch gegen Benfica durch. Im Halbfinal wartete dann Titelverteidiger FC Barcelona, der in der Vorsaison auch spanischer Meister geworden war. Gegen das übermächtig erscheinende Barça setzte Di Matteos Chelsea vor allem auf die Defensive und lange Bälle auf Sturmbulle Didier Drogba, der im Hinspiel an der Stamford Bridge mit dem einzigen Torschuss der Gastgeber für den 1:0-Sieg sorgte. Das Konzept ging voll auf, Barça fand trotz 19 zu 4 Schüssen und 72 Prozent Ballbesitz kaum ein Durchkommen gegen Chelseas Abwehrrecken Terry, Gary Cahill und Branislav Ivanovic.
Tor: 45.+2 Drogba 1:0.
Chelsea: Cech; Cole, Terry, Cahill, Ivanovic; Meireles, Mikel, Lampard; Ramires (88. Bosingwa), Mata (74. Kalou); Drogba.
FC Barcelona: Valdes; Adriano, Mascherano, Puyol, Alves; Iniesta, Busquets, Xavi (87. Cuenca); Fabregas (78. Thiago), Messi; Sanchez (66. Pedro).
FC Barcelona – Chelsea 2:2 (2:1)
Tore: 35. Busquets 1:0. 43. Iniesta 2:0. 45.+1 Ramires 2:1. 92. Torres 2:2.
FC Barcelona: Valdes; Mascherano, Piqué (26. Alves), Puyol; Iniesta, Busquets, Xavi; Fabregas (74. Keita), Messi, Cuenca (68. Tello); Sanchez.
Chelsea: Cech; Cole, Terry, Cahill (12. Bosingwa), Ivanovic; Meireles, Mikel; Ramires, Lampard, Mata (58. Kalou); Drogba (80. Torres).
Bemerkungen: 37. Rote Karte gegen John Terry (Chelsea). 49. Lionel Messi (Barcelona) vergibt Penalty.
Im Rückspiel präsentierte sich ein ähnliches Bild, doch nahm diese Partie zunächst einen anderen Lauf. Pep Guardiolas Barcelona um Lionel Messi nutzte seine Überlegenheit diesmal und ging im Camp Nou 2:0 in Führung, zwischen den beiden Toren flog Chelsea-Captain Terry für eine Tätlichkeit vom Platz. Doch die Blues steckten nicht auf, Ramires verkürzte noch vor der Pause. Kurz danach scheiterte Messi per Penalty an der Latte, wodurch Chelsea aufgrund der Auswärtstorregel im Vorteil blieb. Diesen verteidigte es gegen alle Anstürme der Katalanen, in der Nachspielzeit traf Fernando Torres gar noch zum 2:2-Endstand. Zum zweiten Mal nach 2007/08 stand Chelsea im Final der Champions League.
«Wir haben gegen das beste Team der Welt gespielt», sagte Di Matteo danach und sprach davon, dass sich sein Team «allen im Fussball vorstellbaren Schwierigkeiten» stellen musste. «Aber wir haben irgendwo stets noch Reserven gefunden. Wie wir gespielt und verteidigt haben, hat unseren Willen gezeigt, den Final zu erreichen», so der Schweiz-Italiener, der in seiner aktiven Karriere das Trikot der Azzurri trug.
Drogba und Cech als Helden von München
In diesem wartete am 19. Mai in München dann Bayern München, das als Favorit ins «Finale Dahoam» ging. Chelsea war sich die Rolle als Aussenseiter aber gewohnt. Di Matteo nahm einige Änderungen gegen die über die Flügel gefährlicheren Münchner vor – auch weil neben Captain Terry unter anderem Ramires und Ivanovic gesperrt fehlten. So stellte Di Matteo den nominellen Aussenverteidiger Ryan Bertrand auf dem Flügel auf, auch wegen der Offensivgefahr von Bayerns Philipp Lahm.
Wieder igelte sich Chelsea in der eigenen Hälfte ein, überliess Bayern zu knapp zwei Dritteln den Ball und setzte auf Konter. «Der Plan war klar: ihnen keinen Raum zum Spielen zu lassen», erklärte Chelsea-Goalie Petr Cech später. Das sei zwar nicht schön anzusehen, «aber es funktioniert». Und das tat es auch im Final. Bayern kam zwar auf 23 Schüsse und damit 17 mehr als Chelsea, jedoch gingen nur sechs aufs Tor, mehrere gute Chancen liessen die Münchner aus.
So hatten die Blues den Gegner lange im Griff – dann traf Thomas Müller in der 83. Minute nach einer Flanke von Toni Kroos per Kopf. «Das war das Ende», dachte Frank Lampard. Doch die Gäste hatten noch einen Pfeil im Köcher: Fünf Minuten später glich Didier Drogba nach einer Ecke ebenfalls per Kopf aus. Die Partie ging in die Verlängerung.
Tore: 83. Müller 1:0. 88. Drogba 1:1.
Penaltyschiessen: Lahm 1:0, Mata -; Gomez 2:0, Luiz 2:1; Neuer 3:1, Lampard 3:2; Olic -; Cole 3:3; Schweinsteiger -; Drogba 3:4.
Bayern München: Neuer; Contento, Tymoschtschuk, Boateng, Lahm; Kroos, Schweinsteiger; Ribéry (96. Olic), Müller (87. van Buyten), Robben; Gomez.
Chelsea: Cech; Cole, Cahill, Luiz, Bosingwa; Lampard, Mikel; Bertrand (73. Malouda), Mata, Kalou (84. Torres); Drogba.
Bemerkungen: 95. Robben (Bayern) vergibt Penalty.
Und in dieser kam es für Chelsea zu einem weiteren Schreckmoment: Nach einem Foul von Drogba an Franck Ribéry trat Arjen Robben aus elf Metern gegen Blues-Goalie Cech an – dieser parierte den unplatzierten Flachschuss aber. So ging der Final um Europas Thron ins Penaltyschiessen, wie schon vier Jahre zuvor, als Chelsea sich Manchester United geschlagen geben musste.
Dort startete Chelsea denkbar schlecht, nach Lahms sicherem Treffer scheiterte Juan Mata an Bayern-Goalie Manuel Neuer, der wenig später selbst erfolgreich zum Penalty antrat. Weil auch Teamkollege Mario Gomez sowie aufseiten von Chelsea David Luiz und Frank Lampard verwandelten, stand es nach je drei Schützen 3:2 für die Münchner. Dann wurde Cech aber wieder zum Penaltykiller – und zwar gleich doppelt. Sowohl gegen Ivica Olic als auch gegen Bastian Schweinsteiger parierte er. Dazwischen blieb Ashley Cole cool, womit Didier Drogba den Sieg in den Füssen hatte. Diese Chance liess sich der damals 34-jährige Ivorer in seinem letzten Spiel für den Londoner Klub nicht entgehen. Chelsea war zum ersten Mal in seiner Geschichte Champions-League-Sieger!
Auf der Tribüne, wo die Pokalübergabe stattfand, wurde das Team von Besitzer Abramowitsch empfangen. Der Moment, in dem dieser von Trainer Di Matteo mit den Worten «I won it!» («Ich habe es gewonnen!») umarmt wurde, ist legendär. «Ich werde heute eine grosse Party feiern», sagte Di Matteo im Anschluss in einem Interview, um die Frage nach seiner Zukunft zu umgehen.
Chelsea wollte trotz des Triumphs lieber Guardiola
Zu dem Zeitpunkt war nämlich noch unklar, ob Interimstrainer Di Matteo vom Klub zur permanenten Lösung gemacht würde. Chelsea bemühte sich intensiv um Guardiola, der nach seinem Rücktritt bei Barça aber eine Pause machen wollte. Trotz des Erfolgs in der Champions League hatte der Klub seine Zweifel, als er Di Matteo einen Dreijahresvertrag unterschrieben liess. Obwohl selbst John Terry schwärmte: «Robbie verdient grosse Anerkennung für das, was er uns gebracht hat.»
In der neuen Saison hatte Chelsea aber Probleme. Im europäischen Supercup wurde der Champions-League-Sieger von Atlético Madrid mit 4:1 gedemütigt. Nach zwölf Spieltagen standen die Blues in der Premier League zwar auf Platz 3, doch in der Königsklasse stand in der fünften Runde bereits ein Endspiel an. Bei einer Niederlage bei Juventus wäre das Ausscheiden so gut wie besiegelt. Und nach der 0:3-Pleite in Turin und dem gleichzeitigen Sieg von Schachtar Donezk war das Scheitern der Titelverteidigung Tatsache.
Also wurde Di Matteo am 21. November 2012 ein knappes halbes Jahr nach dem grössten Triumph der Vereinsgeschichte entlassen und durch Rafael Benítez ersetzt. Der führte Chelsea nach dem Abstieg in den zweithöchsten europäischen Wettbewerb zum Europa-League-Titel.
Di Matteo übernahm erst im Oktober 2014 seinen nächsten Job, wurde Ende Saison nach dem 6. Platz in der Bundesliga bei Schalke 04 aber wieder entlassen. Danach durfte er sich lediglich noch einige Monate beim damaligen Zweitligisten Aston Villa versuchen. Seit Oktober 2016 heuerte er nirgends mehr als Trainer an. Und so bleibt der Frühsommerabend in München das grosse Highlight in der Trainerkarriere des 34-fachen italienischen Nationalspielers.
Auch Jahre später verbindet der dramatische Sieg im Champions-League-Final die damaligen Helden. «Es ist immer ein grossartiges Gefühl und mit vielen Emotionen verbunden, diese Spieler wiederzusehen», erklärte Di Matteo nach einem Spiel des Legendenteams, das er als Trainer betreute, und fügte an: «So eine Trophäe zu gewinnen, verbindet einen für den Rest des Lebens.»
