Am Ende brechen alle Dämme. Und gerät Lionel Messi in den Fokus des Fotografen Santi Garcés. Dieser hält einen ikonischen Moment fest: Wie Messi die wundersame Aufholjagd des FC Barcelona feiert.
«Wir haben schon viele Bilder von Messi im Camp Nou gesehen, aber den Ausdruck, den er in diesem Moment im Gesicht hat – das gab es noch nie», schildert Fotograf Garcés gegenüber «Cadena Ser». Er habe auch ein wenig Glück gehabt, dass ihm dieses Bild exakt so gelungen sei, sagt er weiter. «Als Messi da auf die Bande stieg, rannten wir alle zu ihm. Es war ein Gedränge, jemand hat mich angeschrien, ich hatte vielleicht zwei Sekunden Zeit und es hat genau gepasst.»
Dem Moment vorausgegangen ist eine Partie fürs Geschichtsbuch. Paris Saint-Germain war mit einem 4:0-Heimsieg und mit einer entsprechend breiten Brust nach Barcelona gereist. Die Zuversicht war begründet: Noch nie zuvor im Europacup hatte eine Mannschaft noch die Wende geschafft, das im Hinspiel so untergegangen war.
Doch in Barcelona glauben sie daran, die «Remuntada», die «Aufholjagd», schaffen zu können. Erst recht, als es schon in der dritten Minute das erste Mal im französischen Kasten klingelt. Luis Suarez macht Barças 1:0.
In der Folge entwickelt sich ein zähes Spiel, in dem immer wieder der Schiedsrichter im Mittelpunkt steht, der Deutsche Deniz Aytekin. Es macht den Eindruck, dass er in kniffligen Szenen stets pro FC Barcelona entscheidet. Die Katalanen könnten sich weder über einen Handspenalty beklagen noch über einen Platzverweis gegen Verteidiger Gerard Piqué.
Doch den Penalty – einen indiskutablen – gibt es kurz nach Wiederbeginn nicht für PSG, sondern für Barça. Lionel Messi verwandelt ihn und es steht 3:0, weil zudem der Pariser Layvin Kurzawa vor der Pause ins eigene Tor getroffen hatte.
3:0 nach 50 Minuten, Gesamtskore nur noch 3:4. Gelingt die «Remuntada» tatsächlich?
Edinson Cavani versetzt diesen Hoffnungen einen herben Dämpfer. Das 1:3 des Uruguayers in der 62. Minute, ein wuchtiger Aussenrist-Hammer, ist wegen der Auswärtstorregel doppelt wertvoll. Denn nun benötigt der FC Barcelona schon einen 6:1-Sieg, wenn er noch weiterkommen will.
Für die Nerven von einem der zahlreichen Superstars auf dem Rasen ist diese Ausgangslage zu viel. Im Frust säbelt Neymar von hinten seinen brasilianischen Landsmann Marquinhos um. Ein klarer Fall – eigentlich. Doch Schiri Aytekin zeigt Neymar nicht Rot, sondern überraschend bloss Gelb.
So darf er weitermachen und zum grossen Helden werden. Denn ausgerechnet Neymar schiesst nun zwei späte Treffer, in der 88. mit einem Freistoss von halblinks und in der 91. Minute mit einem Penalty. Das zweite Tor ist aus PSG-Sicht ein weiteres Geschenk des Refs, der nach einem Duell zwischen Marquinhos und Suarez auf den Penaltypunkt zeigt, obwohl Suarez sich nach einer kurzen Berührung äusserst theatralisch fallen lässt.
5:1 – und einige wenige Minuten bleiben Barcelona noch, um auch das nötige sechste Tor zu erzielen. Selbstredlich wird auf Pariser Seite auch diese Nachspielzeit von fünf Minuten als zu lang kritisiert.
Doch Sekunde um Sekunde verstreicht ereignislos. Es läuft schon die letzte Minute, als Neymar halbrechts, etwa 30 Meter vom Tor entfernt, noch einmal den Ball am Fuss hat. Er macht ein paar Schritte zur Mitte, dann hebt er das Spielgerät nach 94:38 Minuten mit einem gefühlvollen Chip in den Strafraum. Dort schleicht sich der eingewechselte Sergi Roberto im Rücken seines Bewachers davon. Er grätscht ins Zuspiel seines Kollegen, lenkt den Ball an Kevin Trapp vorbei ins PSG-Tor und sorgt mit dem 6:1 für die grosse Ekstase bei den 96'290 Zuschauern im Camp Nou.
«Wir werden das Spiel der Spiele machen», hatte Neymar vor dem Rückspiel versprochen. Nun strahlt der 25-jährige Matchwinner und sagt: «Das war das beste Spiel meines Lebens.» Und doch stiehlt Lionel Messi ihm wieder einmal die Show mit seinem ikonischen Torjubel. Einige Monate später ist der Brasilianer weg, für die Weltrekordablöse von 222 Millionen Euro wechselt er zu Paris Saint-Germain.
Zeitungen rund um den Globus halten sich nach dem einmaligen Abend nicht mit Superlativen zurück. «Wunder geschehen – ein Comeback für die Geschichte!», titelt die spanische «Marca». Die Kollegen von «AS» schwärmen: «Barça geht in die Geschichte ein! Mit drei Toren in den letzten sieben Minuten gelingt das Unmögliche.» Und für die Zeitung «Sport» ist «Neymar der Held einer magischen Nacht».
Derweil stellt die französische «L'Equipe» bei Paris Saint-Germain einen «historischen Schiffbruch» fest: «Drei Wochen nach dem grössten Erfolg seiner Geschichte erlebt PSG den schlimmsten aller Albträume.» Poetisch wird die NZZ, für sie ist Barcelonas 6:1-Sieg «ein Ereignis, das das Fussballfeld wie ein magisches Kraftfeld erscheinen lässt, dessen Zauber aber nur die Reserven eines Team speist, das andere dagegen lähmt. Ein Match gegen alle Wahrscheinlichkeiten.»
Für Paris Saint-Germain platzt der Traum vom Henkelpott ein weiteres Mal. Aber auch für Barcelona geht die Reise nicht weit. Im Viertelfinal verlieren die «Blaugrana» das Hinspiel erneut hoch: Gegen Juventus gibt es ein 0:3. Und im Rückspiel ist die Hoffnung auf eine zweite «Remuntada» vergeblich. Nach einem 0:0 scheidet der FC Barcelona aus der Champions League aus.
Den Titel gewinnt in dieser Saison Real Madrid. Der Erzrivale Barcelonas schlägt im Final Juventus, auch dank zwei Treffern von Cristiano Ronaldo, mit 4:1.