70 (!) Punkte erzielten die Miami Dolphins beim Sieg gegen die Denver Broncos am 3. Spieltag. Zwei Teams haben so viele Punkte nicht einmal nach fünf Partien aufs Scoreboard gebracht. Die rekordträchtige Dolphins-Offense steht hingegen bereits bei 181 Zählern und erzielte mit 2568 Yards mehr Raumgewinn als je ein NFL-Team in seinen ersten fünf Saisonspielen. Der Architekt des Erfolgs ist dabei Mike McDaniel.
Der 40-jährige Trainer übernahm den Job in Florida vor der letzten Saison und hauchte der Offense und vor allem Quarterback Tua Tagovailoa schnell neues Leben ein. Bald verschwanden die Zweifel an den Fähigkeiten des 25-jährigen Hawaiianers, der unter dem neuen Trainer in völlig neue Sphären vorstiess und auch in diesem Jahr zu den besten Passgebern der Liga gehört.
Dabei tritt McDaniel mit seinem kreativen Play-Calling in die Fussstapfen seines langjährigen Mentors Kyle Shanahan. Zuletzt arbeitete McDaniel, der zeitweise mit Alkoholismus zu kämpfen hatte, aber gemäss eigener Aussage seit 2016 trocken ist, in San Francisco vier Jahre unter Shanahan. Nun könnte er sich mit dem 43-Jährigen um die Auszeichnung als bester Trainer des Jahres duellieren.
Ein wichtiges Erfolgsrezept in Miami ist auch die Geschwindigkeit der Offensivspieler. In Tyreek Hill haben die Dolphins den schnellsten Passempfänger der NFL, und auch die Runningbacks De'Von Achane und Raheem Mostert sowie Hills Receiver-Kollege Jaylen Waddle stehen in der Liste der höchsten gemessenen Geschwindigkeiten mit dem Ball in der laufenden Saison.
Dennoch konnten einige Gegner einen Schwachpunkt bei den Dolphins ausmachen. So konzentrierten sich die Buffalo Bills beim 48:20-Erfolg gegen Miami auf die Mitte des Feldes, wo Tagovailoa am liebsten hinwirft, und hielten ihn somit in Schach. Tyreek Hill kam nur auf drei Receptions und Tagovailoa gelang lediglich ein Touchdown-Pass. Bis zu den Playoffs hat das «Genie» an der Seitenlinie aber noch Zeit, um auch dafür eine Lösung zu finden.
Die Aussichten für seine NFL-Karriere waren nicht gerade rosig, als Brock Purdy im Draft 2022 an allerletzter Stelle ausgewählt und ihm damit der unrühmliche Name «Mr. Irrelevant» zuteilwurde. Doch nachdem sich Jimmy Garoppolo verletzt hatte, mutierte der eigentliche Ersatz-Quarterback bei San Francisco zum Überraschungsmann.
Purdy glänzte sofort und führte die 49ers zu acht Siegen in Serie, bevor er sich im Halbfinal früh verletzte. Dennoch hatte er zu diesem Zeitpunkt längst Geschichte geschrieben: Noch nie zuvor war einem «Mr. Irrelevant» überhaupt ein erfolgreicher Passversuch gelungen. Dennoch war die Skepsis vor dieser Saison gross – was auch mit der im Spiel gegen die Philadelphia Eagles erlittenen Ellbogenverletzung zu tun hatte.
Nach wenigen Wochen in der neuen Saison lässt sich jedoch sagen: Die Zweifel waren völlig unbegründet. Der 23-Jährige warf bereits neun Touchdown-Pässe und ist noch ohne Interception. Dabei brilliert Purdy mit seiner Genauigkeit und der Fähigkeit, die Verteidigung früh zu lesen und stets den richtigen Mitspieler anzuvisieren. Dies stellte er zuletzt beim dominanten 42:10-Sieg über die Dallas Cowboys unter Beweis. Damit ist Purdy auch nach zwölf Spielen, in denen er von Anfang bis Ende auf dem Feld stand, ungeschlagen.
These three throws from Brock Purdy on the same drive (one called back) were on the money, down the field, hitting his receivers in stride for YAC.
— Akash Anavarathan (@akashanav) October 9, 2023
Each of them could've been Purdy's best throw of the night. pic.twitter.com/O9YNwo80Jv
Obwohl er natürlich von dem hervorragenden Coaching Kyle Shanahans und Mitspielern wie Christian McCaffrey oder George Kittle profitiert, sagt der frühere NFL-Quarterback und heutige Experte Robert Griffin III über Purdy: «Er schwimmt nicht nur mit, er zeigt selbst grossartige Spielzüge.» Für viele Fans ist wie für den Experten Peter King klar, dass er deshalb einer der Top-Kandidaten für die Auszeichnung des wertvollsten Spielers ist. Und damit aus «Mr. Irrelevant» bald schon «MVPurdy» werden könnte.
Im April nutzten die Carolina Panthers den ersten Pick im NFL-Draft für Bryce Young, ein halbes Jahr später würden sie ihre Auswahl wohl gerne rückgängig machen. Denn während der mit 1,78 m für einen Quarterback kleingewachsene Young noch grosse Probleme hat und seine ersten vier Spiele als Football-Profi allesamt verlor, glänzt C. J. Stroud bei den Houston Texans als starker Passgeber und Leader.
Der 22-Jährige wurde im Draft direkt nach Young an zweiter Stelle ausgewählt und stellt diesen bisher klar in den Schatten. Zwar konnten die Texans nur zwei von bisher fünf Spielen gewinnen, doch blieb Stroud dabei mehrheitlich fehlerfrei und setzte seine Passempfänger immer wieder schön in Szene. Nach 186 Passversuchen ist er noch immer ohne Interception, was einen neuen Rekord für einen NFL-Neuling darstellt. In Houston scheint unter dem neuen Trainerstab um Head Coach DeMeco Ryans ein neues Quarterback-Juwel heranzureifen.
Is there anything more beautiful than CJ Stroud’s ball placement? 😍 pic.twitter.com/1iBcFOhOzD
— JR’s Rankings 🌰🅾️⭕️ (@jrs_rankings) October 9, 2023
Eigentlich begann die Saison für die Dallas Cowboys hervorragend. 40:0 wurden die New York Giants im eigenen Stadion bezwungen, danach schlug «America's Team» auch die New York Jets deutlich 30:10. Doch aus den letzten drei Partien resultierten dann zwei Niederlagen, eine schockierende gegen den krassen Aussenseiter Arizona und eine krachende gegen San Francisco. Spätestens jetzt ist klar: Auch in diesem Jahr gehört Dallas nicht zu den absoluten Spitzenteams.
Denn während die Defensive mehrheitlich glänzt, hat die Offensive nach dem Abgang von Offensiv-Koordinator Kellen Moore zu den Los Angeles Chargers erneut grosse Probleme. Cheftrainer Mike McCarthy, der das Play-Calling übernommen hat, stellte sich bisher nicht als grosser Kreativkopf heraus. Und Quarterback Dak Prescott scheint seinem Versprechen, in dieser Saison weniger als zehn Interceptions zu werfen, ebenfalls nicht gerecht zu werden.
Prescotts erst fünf Touchdown-Pässen stehen vier Interceptions gegenüber, im Quarterback-Rating steht er auf Platz 20. Doch auch McCarthy muss sich an die Nase fassen, wie er nach der «demütigenden» Niederlage gegen San Francisco erzählte: «Ich habe keinen guten Job gemacht.» Insgesamt erzielte die Cowboys-Offense erst neun Touchdowns, im Vergleich zum letzten Jahr ist sie in allen Belangen schlechter geworden. Wollen die Cowboys nach 28 Jahren wieder einmal einen Titel gewinnen, müssen McCarthy, Prescott und Co. sich also deutlich steigern.
Die Zeiten, in denen man die New England Patriots als fixen Playoff-Teilnehmer einrechnen konnte, endeten mit dem Weggang von Tom Brady im Jahr 2020. Doch selbst danach schaffte es der legendäre Trainer Bill Belichick stets ein kompetitives Team aufs Feld zu bringen, das Chancen auf die Teilnahme an der K.o.-Phase hatte. Dies ist nun aber ebenfalls vorbei. Die Patriots gleichen in dieser Saison vor allem aufgrund der schwachen Offensive um Quarterback Mac Jones einem Scheiterhaufen.
Jones wird nicht mehr lange der Starting Quarterback eines NFL-Teams sein, doch fehlt es dem sechsfachen Super-Bowl-Champion auch sonst an Talent in der Offensive. Da Belichick neben seiner Rolle als Trainer auch GM (also der Sportchef) ist, hat auch er das zu verantworten. Seine Herangehensweise scheint in dieser Hinsicht jedoch aus der Zeit gefallen, noch immer priorisiert er in einer immer offensiv-lastigeren NFL die Defensive.
Zuletzt steckte das Team aus Foxborough die beiden höchsten Pleiten in der Ära Belichick ein. Nach der 3:38-Niederlage in Dallas wurde New England im eigenen Stadion von New Orleans 34:0 gedemütigt. Damit steht Belichick als Cheftrainer ohne Tom Brady bei einer Bilanz von 72 Siegen und 79 Niederlagen. Für viele Experten scheint ein Ende von Belichick als Trainer der Patriots deshalb immer wahrscheinlicher. Denn das erfolgreichste NFL-Team der Neuzeit ist endgültig am Tiefpunkt angelangt.