Die Schirme sind aufgespannt, es regnet an diesem Donnerstag, 26. September, kurz vor 11 Uhr, als die Juniorinnen bei der Rad-WM die 18-prozentige Steigung zwischen Zumikon und Küsnacht erstmals bewältigen. Hier entsteht das letzte bekannte Bild der Schweizerin Muriel Furrer. Mit der Zürcherin unterwegs ist die 17-jährige Österreicherin Ramona Griesser.
Anders als bisher angenommen, war Furrer höchstwahrscheinlich auch wenige Minuten später nicht alleine auf der Strecke, als sie in einem Waldstück in einer Abfahrt beim Weiler Schmalzgrueb in einer Linkskurve stürzte, wie der «Blick» berichtete.
Demnach fuhr Furrer 400 Meter vor der mutmasslichen Unfallstelle anderthalb Sekunden hinter einem Duo, am Hinterrad einer weiteren Fahrerin. Mit leichtem Rückstand, aber mit Sichtkontakt zur Schweizerin, folgten einzeln zwei Fahrerinnen, danach ein Dreiergrüppchen. Acht Sekunden nach Furrer passierte Griesser diese Stelle. Nach vier weiteren Fahrerinnen folgten zahlreiche Begleitfahrzeuge.
Thomas Griesser ist der Vater der Tirolerin, Obmann des ASV Inzing, für den sie fährt, und verfolgte das Rennen seiner Tochter mit seiner Familie in der Steigung, in der das letzte Bild von Muriel Furrer entstand. Er sagt am Dienstag zu CH Media: «Wir sind alle geschockt. Die Mädels haben nichts mitbekommen. Wie das passieren konnte, ist für alle ein grosses Rätsel.»
Als sie um 12.06 Uhr mit 7:45 Minuten Rückstand auf die Siegerin Cat Ferguson das Ziel als 65. erreichte, ahnte Griesser nicht, welche Tragödie sich abspielt. «Es war ein sehr zähes Rennen, schon allein vom Kurs her, der sehr anspruchsvoll war und viel abverlangte. Vor allem die Abfahrten waren echt gefährlich und rutschig. Zum Glück hat es erst am Schluss richtig geregnet, die letzten 15 Kilometer haben mich aber so eingewässert, dass ich zu zittern begann», sagte sie zum österreichischen Radverband.
Seine Tochter sei schon bei vielen Juniorenrennen in Österreich und Italien gefahren, aber nirgendwo sei die Organisation so gut gewesen wie bei der WM in Zürich. Auch ein Rettungswagen sei im Konvoi unterwegs gewesen. Nur fuhr dieser offenbar mehrfach an der Unfallstelle vorbei. Wohl über eine Stunde blieb Muriel Furrer unbemerkt und schwer verletzt im Unterholz liegen, bevor sie von einem Angehörigen der Streckensicherheit entdeckt wurde, wie die Kantonspolizei Zürich am Montag mitteilte.
Wie konnte es sein, dass Furrer nicht schneller gefunden wurde? Ein Augenschein auf der kurvigen Strecke zeigt, dass in der Waldpassage wenige Sekunden Rückstand ausreichen, um eine vorausfahrende Fahrerin aus den Augen zu verlieren. Und die Stelle, wo der Unfall mutmasslich passierte, liegt in dichtem Wald. Es scheint vorstellbar, dass Blätter und Baumstämme die Sicht auf die gestürzte Fahrerin erschwerten. TV-Aufnahmen zeigen allerdings, dass sich unweit der vermuteten Unfallstelle Zivilschützer aufhielten.
WM-Rennleiter Olivier Senn sagt, innert Minuten nach dem Eingang der Unfallmeldung seien Arzt und Rettungswagen vor Ort gewesen und habe die Erstversorgung begonnen. Weil Furrer zuerst transportfähig gemacht werden musste, konnte sie erst um 13.32 Uhr ins Universitätsspital Zürich geflogen werden – fast zweieinhalb Stunden nach ihrem Sturz.
Ramona Griesser ist bereits im Hotel, als sie erfährt, dass eine Fahrerin im gleichen Rennen schwer gestürzt ist, wie ihr Vater sagt. Anders als direkt nach der Zieldurchfahrt geäussert, habe seine Tochter die Bedingungen als nicht besonders gefährlich eingestuft, sagt er vier Tage nach Furrers Tod.
Er sagt: «Es hat halt geregnet. Aber wir haben mit Ramona geredet und sie hat auch die Abfahrt als nicht besonders gefährlich empfunden.» Die Organisatoren nimmt er in Schutz und sagt: «Als Papa kann ich nur sagen: Aus unserer Sicht war es absolut top organisiert, auch die Streckenposten.»
Ramona Griesser erfährt am Dienstag durch ihren Trainer, dass sie wohl eine der Letzten gewesen ist, die Muriel Furrer lebend gesehen hat und ist entsprechend niedergeschlagen, wie ihr Vater am Abend mitteilt. Auch deshalb, weil sie keine genaueren Angaben zum Unfallhergang machen kann. Von den Behörden ist sie dazu bisher nicht befragt worden.
Olivier Senn sagte, die Abfahrt sei vor dem letzten Wochenende rund 1500 Mal passiert worden. «Wir hatten nie eine negative Rückmeldung zu dieser Passage. Und meines Wissens nur einen einzigen Sturz. Leider einen sehr tragischen.» Die Strecke beinhalte keine Risiken über dem üblichen Mass. Die Aufklärung dürfte Wochen, wenn nicht Monate dauern und wird durch den Umstand erschwert, dass es weder Fernsehbilder noch Zeugen gebe.
Am Freitag, 27. September, rund 24 Stunden nach ihrem Sturz, teilte der Radweltverband UCI mit, dass Furrer an den Folgen ihres Schädel-Hirn-Traumas gestorben sei, das sie erlitten habe.
Ramona Griesser ist bereits auf dem Heimweg nach Österreich, als sie von Furrers Tod erfährt. (aargauerzeitung.ch)