Ein Vierteljahrhundert. Das ist eine lange Zeit. Seit 1998 und dem Weltmeistertitel von Oscar Camenzind warten die Velo-Fans hierzulande auf dessen Nachfolger.
Am Sonntag wird das begehrte Regenbogen-Trikot beim Strassenrennen der Männer in Glasgow ein weiteres Mal vergeben. Erst drei Schweizer haben sich auf der Siegerliste der globalen Titelkämpfe verewigt. Neben Camenzind sind es Ferdy Kübler (1951) und Hans Knecht (1946).
Höchste Zeit, dass sich dieser Umstand ändert, findet etwa auch Marc Hirschi, der sagt: «Ich will Weltmeister werden.» Der 24-jährige Berner schnupperte vor drei Jahren bei der WM im italienischen Imola bereits am grossen Coup. Damals musste er sich dem Franzosen Julian Alaphilippe und dem Belgier Wout van Aert geschlagen geben, schnappte sich jedoch sensationell Bronze.
2020: Das war das Jahr von Hirschis Durchbruch. Mit einem Etappensieg an der Tour de France, dem Triumph des Klassikers Flèche Wallonne, einem zweiten Rang bei Lüttich–Bastogne–Lüttich und eben WM-Bronze hatte er einen kometenhaften Aufstieg erlebt.
Doch im Anschluss musste der Profi von UAE Emirates einige Rückschläge hinnehmen. So kämpfte er etwa mit Materialproblemen, einer schmerzenden Hüfte und beklagte mehrere Stürze. Bei einem solchen erlitt er im Februar dieses Jahres einen Bruch im Unterarm.
Die Pechsträhne scheint überwunden. Der 24-Jährige entschied in diesem Jahr die Ungarn-Rundfahrt, den Giro dell’Appennino, die Schweizer Strassenmeisterschaften und Ende Juli ein Eintagesrennen im Baskenland für sich. «Die Tendenz ist definitiv aufsteigend», meint Hirschi. Der Berner hat im Juli ein dreiwöchiges Trainingslager in Andorra bestritten und hofft nun, dass sich der Aufwand auszahlt.
Zusammen mit Mauro Schmid wird Hirschi die Schweizer Equipe (Stefan Küng, Stefan Bissegger, Silvan Dillier und Fabian Lienhard sind die weiteren Fahrer) am Sonntag anführen. Das Rennen startet in der schottischen Hauptstadt Edinburgh und endet nach 271,1 Kilometern mit rund 3600 Höhenmetern in Glasgow.
Zwar muss das Peloton nur einen langen Anstieg in der ersten Rennhälfte überwinden, doch danach wartet das Herzstück der Strecke. In Glasgow müssen die Profis gleich zehn Mal einen 14,3 Kilometer langen Rundkurs absolvieren. Dieser hat es aufgrund der vielen Richtungsänderungen, dem stetigen Auf und Ab in sich. Spätestens dort wird sich wohl ein Ausscheidungsrennen ergeben.
Damit rechnet auch Hirschi. «Es wird wichtig sein, von Beginn weg vorne dabei zu sein. Die Positionskämpfe werden entscheidend. Es ist eine Strecke, bei der man pokern muss. Es gilt entweder alles oder nichts.»
Strassen-Nationaltrainer Michael Albasini pflichtet seinem Schützling bei. «Diese lange Distanz wird nicht allen guttun. Für viele wird es wohl nach 200 Kilometern eng». Der 42-jährige Ex-Profi hat seine Equipe auf mehrere Szenarien eingestellt. Regen könnte das Rennen zusätzlich erschweren. Mit zwei geschützten Fahrern will er für die Konkurrenz möglichst unvorhersehbar agieren. Mit Stefan Küng hat er zudem noch ein weiteres Ass im Ärmel. «Wir können uns noch nicht in die Karten blicken lassen», sagt Albasini schmunzelnd.
Was jedoch klar ist, sind die Erwartungen. «Wir sind hier, um das Rennen zu gewinnen. Von einem Top-Ten-Ergebnis können wir uns nicht kaufen. Wir sind sicher nicht die Topfavoriten, aber wir planen es so, dass wir den Weltmeister stellen», so Albasini.
Marc Hirschi will Oscar Camenzind beerben. Sobald er aufs Velo steigt, wird er dabei an seinen an der Tour de Suisse verstorbenen Teamkollegen Gino Mäder denken. «Er ist immer präsent. Das wird auch immer so bleiben, aber das ist auch schön. Das gibt mir zusätzliche Motivation, speziell für den Sonntag.»