2024 war ein Jahr der Superlative. Tadej Pogacar gewann das Double Tour de France und Giro d'Italia, und er krönte seine Saison in Zürich mit dem erstmaligen Gewinn des WM-Titels. Dazu triumphierte er in zahlreichen weiteren Rennen, unter anderem bei Lüttich–Bastogne–Lüttich und an der Lombardei-Rundfahrt. Wie um alles in der Welt soll so eine Saison noch zu toppen sein?
«Wir Menschen verbessern uns doch ständig, nicht nur im Sport», sagte Pogacar zum Jahreswechsel in einem Interview mit CH Media. Auf die Frage, in welchen Bereichen er bei sich noch das meiste Potenzial für Entwicklung sehe, gab der 26-Jährige zu: «Ich glaube, es handelt sich nur um kleine Details, allerdings in allen Gebieten: Auf dem Velo, abseits des Velos, Training, Ernährung, Schlafen, was auch immer.»
Seit 2024 trainiert Javier Sola Pogacar – mit intensiveren Intervallen und Erfolg. Sola meinte gegenüber dem Magazin «Tour», so grosse Änderungen seien dies gar nicht gewesen: «Er hatte ja schon eine gute Basis.»
Der Trainer liess Pogacar mehr Krafttraining absolvieren – wichtig, um während Stunden die optimale Position auf dem Velo halten zu können – und er betonte die Wichtigkeit von Trainings bei Temperaturen von 35 Grad und mehr, bei hoher Luftfeuchtigkeit. Diese Hitzetrainings in Kombination mit Höhentraining führe dazu, dass sich mehr rote Blutkörperchen bilden, aber auch das Volumen des Blutplasmas zunehme. Pogacar trainierte deshalb gemäss der NZZ vor der Tour de France im Höhentrainingslager in einer Sauna.
Beim Krafttraining sei vielleicht noch ein wenig Luft vorhanden, sagte Jeroen Swart, Sportwissenschaftler im Dienste des Teams UAE-Emirates. «Aber ansonsten sehe ich kaum Defizite bei ihm. Es wäre auch schon gut, wenn wir einfach das Niveau von der letzten Saison halten könnten.»
Das Training ist die Basis für die Erfolge – aber Tadej Pogacar zeichnet daneben vor allem seine offensive Fahrweise aus, im Fussball würde man von «Spielfreude» sprechen. Seine Alleingänge, etwa die rund 100 Kilometer auf dem Weg zum Regenbogentrikot, sind schon jetzt legendär. Die Gegner, allen voran Jumbo-Visma von Jonas Vingegaard, setzten auf die Stärke des Teams.
Vielleicht hat sich UAE-Emirates in dieser Hinsicht verbessert. Wobei es für die sportlichen Leiter vermutlich gar nicht so einfach ist, einem «Mustang» wie Pogacar viele taktische Vorschriften zu machen. «Ich denke, Radfahren ist eine der freiesten Sportarten, wenn es um Taktik geht», meint der instinktiv handelnde Slowene. «Man muss auch viel improvisieren, weil es so viele Optionen gibt. Man kann in der Teambesprechung zuvor zehn Stunden reden und wird es doch nicht hinbekommen, alle Optionen vorauszusehen. Und das macht den Radsport zu einem wirklich offenen Rennsport.»
Gerade diesen Teil des Sports, dass er so unvorhersehbar sei, möge er besonders. Wobei zuletzt der Eindruck entstand, dass der Radsport im Gegenteil vorhersehbar wurde: Stand Pogacar an der Startlinie, gewann er.
Die Velos der italienischen Traditionsmarke Colnago schnitten in Tests in den letzten Jahren jeweils schlecht ab. Rein vom Material her hatte Tadej Pogacar einen Nachteil, wenn er an der Startlinie eines Rennens stand.
Nun warteten die Ingenieure nach eigenen Angaben mit einem grossen Wurf auf. Gegenüber dem Vorgängermodell soll das neue Velo massiv Watt sparen: im Windkanal 20 Watt, unter Wettkampfbedingungen immer noch zwischen 5 und 15 Watt. Eingesparte Watt bedeuten, dass ein Fahrer bei gleicher Geschwindigkeit weniger Energie aufwenden muss.
Das neue Velo des Slowenen ist ein Aero-Modell, das konsequent auf Windschnittigkeit ausgelegt ist. «Für Pogacar ist es ein Vorteil bei seinen langen Solofluchten, wenn er allein im Wind fährt», erläuterte Chefdesigner Torgny Fjeldskaar gegenüber der NZZ.
Mit rund 60 Millionen Euro Budget zählt UAE zu den drei finanzkräftigsten Teams der World Tour. Mit dem vielen Geld werden nicht nur die Fahrer bezahlt (Pogacar als absoluter Branchenleader soll laut der «Gazzetta dello Sport» für sechs Jahre 50 Millionen Euro erhalten).
Zuletzt investierte die Equipe etwa in die künstliche Intelligenz. Performance-Direktor Swart beschrieb eine auf den Namen «Anna» getaufte KI, welche die zahlreichen Daten, die in Trainings, beim Schlaf oder in den Rennen erhoben werden, zusammenfasst und Hinweise für Verbesserungen geben kann.
«Wir müssen nun lernen, die richtigen Fragen zu stellen», sagte Jeroen Swart. Der Südafrikaner gab gegenüber dem Fachmagazin ein Beispiel. Die künstliche Intelligenz habe das 3D-Profil einer Tour-Etappe erstellt, welche sich das Team dann auf Datenbrillen anschaute. «Wir haben Dinge gesehen, die uns beim normalen Videostudium oder der normalen Auswertung von Daten entgangen wären.»
Keinen besonders guten Leumund hat Pogacars Teamdirektor. Der Tessiner Mauro Gianetti, Vize-Weltmeister 1996, hatte als Profi und später als Manager mit Doping zu tun. Tour-de-France-Direktor Christian Prudhomme nannte Gianetti auch schon einen «Mann von schlechtem Ruf». Zu diesen Geschichten möchte sich der Sieger von Lüttich–Bastogne–Lüttich 1995 seit längerer Zeit nicht mehr äussern.
Worüber er lieber spricht, ist sein Jahrhunderttalent. Als 20-Jähriger unterschrieb Pogacar seinen ersten Vertrag bei UAE-Emirates, er sei ein «unglaubliches Talent» gewesen, erinnerte sich Gianetti. «So etwas ist heutzutage schon sehr früh an den Leistungsdaten erkennbar.»
Der Deutsche Nils Politt erlebt Pogacar als Teamkollege aus nächster Nähe. «Ich sehe ihn tagtäglich», sagte er gegenüber der Zeitschrift «Tour». Er beschrieb den Slowenen bezüglich Talent und Spritzigkeit als «Ausnahmefall». Politt über gemeinsame Trainingslager: «Jeder, der mal was versucht im Training, ist dabei schon hart am Zapfhahn. Und er hat da Spass am Radfahren. Und dabei merkt man, dass er einfach immer diese zehn, fünfzehn Prozent mehr hat.»
Bis Ende 2030 band sich Pogacar bei der letzten Vertragsverlängerung an die arabische Equipe: «Ich fühle mich in diesem Team einfach sehr wohl.»
Im vergangenen Sommer war Jonas Vingegaard von Sturzfolgen des Frühlings gezeichnet nicht in der Lage, Pogacar an der Tour de France ernsthaft zu fordern. Nun greift der Däne wieder an, er strebt 2025 nach dem Double Tour/Vuelta.
Der Triumph an der Frankreich-Rundfahrt ist auch das oberste Saisonziel von Remco Evenepoel, dem letztjährigen Drittplatzierten. Der Doppel-Olympiasieger aus Belgien hatte im Dezember einen schweren Trainingssturz zu beklagen, er will im April in den Rennbetrieb einsteigen. Primoz Roglic, Pogacars slowenischer Landsmann, hat den Giro d'Italia und die Tour de France im Visier.
Anzeichen einer Sättigung sind bei Tadej Pogacar nicht zu erkennen. Mit zwei Etappen- und dem Gesamtsieg an der UAE-Tour ist der Rennauftakt ins Jahr 2025 perfekt geglückt. «Endlich habe ich das Regenbogentrikot und es fühlt sich unwirklich an, jeden Tag damit zu fahren», sagte er.
Nun steht am Samstag das «halbe Gravelrennen» Strade Bianche auf dem Programm, in der Toskana gewann Pogacar schon 2022 und 2024. Im letzten Jahr hatte er eine Soloflucht angekündigt und tatsächlich nach 80 Kilometern alleine an der Spitze triumphiert.
Am 22. März steht das erste Monument des Jahres auf dem Kalender: Mailand–Sanremo. Dieses Datum hat sich Tadej Pogacar dick angestrichen: Das Rennen, das viele Kenner als das am schwierigsten zu gewinnende bezeichnen, weil so viele Fahrertypen für den Sieg in Frage kommen, möchte er gewinnen.
«Das ist definitiv eines der Ziele der Saison», kündigte er an. Und mit Blick auf die Ränge 5, 4 und 3 in den letzten drei Jahren meinte er: «Dem ersten Platz komme ich langsam immer näher.» Und vielleicht ist 2025 auch schon «irgendwann», denn «irgendwann» will Pogacar beim epischen Kopfsteinklassiker Paris – Roubaix gewinnen.
2024 war perfekt. 2025 kann unmöglich noch besser werden. Eigentlich …