Einen einfachen Pass spielt Harry Maguire genau in die Füsse von Gegenspieler Jamal Musiala, wenige Sekunden später fällt der englische Innenverteidiger den Deutschen mit seinem ungestümen Einsteigen. Den resultierenden Penalty verwandelte Ilkay Gündogan zur Führung in der Nations-League-Partie. Nach dem Spiel entschuldigte sich Maguire bei den Fans: «Fehler sind Teil des Spiels, es tut mir leid.» Doch für viele Engländerinnen und Engländer bestärkte dies nur ihre Meinung: Harry Maguire hat im Nationalteam nichts zu suchen.
Der 29-Jährige wird bereits lange belächelt und verhöhnt. Auf Youtube sind Zusammenschnitte seiner schlimmsten Fehler zu finden. Die heissen zum Beispiel: «Weshalb Rangnick (damaliger Trainer) Harry Maguire rauswerfen sollte.» Maguire wurde zum Sündenbock für den ausbleibenden Erfolg bei Manchester United gemacht. Und er trug mit immer wiederkehrenden Fehlern vor Gegentoren seinen Teil dazu bei. Die Erwartungen aufgrund der Ablösesumme von 87 Millionen Euro, welche die «Red Devils» 2019 an Leicester bezahlten, machten es Maguire noch schwerer, wirklich zu überzeugen.
Dies sei nicht gerecht, sagte der frühere italienische Nationalspieler Giorgio Chiellini in einem Interview mit der «Times»: «Nur weil sie so viel Geld für ihn bezahlt haben, muss er in jedem Spiel der Beste der Welt sein? Das ist nicht richtig.» Es sei nicht der Fehler von Maguire, dass sein Preis so hoch war. Der Marktwert hänge von vielen Aspekten ab, die man nicht kontrollieren könne. «Ich bin traurig, dass Maguire in dieser Situation ist. Denn er ist ein guter Spieler», sagte der 38-Jährige.
Das sieht auch Englands Nationaltrainer Gareth Southgate so, wie er gemäss «Eurosport» sagt: «Harry ist wichtig für uns. Wir sollten uns alle einen Maguire wünschen, der regelmässig und mit Selbstvertrauen spielt.» Denn Maguire sei einer der Spieler, die den «Three Lions» die besten Chancen auf einen Sieg geben würden. Southgate baut fast in jedem Spiel, in dem Maguire zur Verfügung steht, auf den 1,94-Meter-Hünen. An der EM war der Verteidiger eine wichtige Stütze auf dem Weg in den Final und hatte grossen Anteil daran, dass England im ganzen Turnier nur einen Treffer aus dem Spiel heraus kassierte.
Dass Maguire ein hervorragender Verteidiger sein kann, bewies er in der Vergangenheit zur Genüge. Nicht umsonst ist er der teuerste Verteidiger der Geschichte. Maguire wurde in Sheffield geboren und dort begann er auch mit dem Sport: «Meine Reise als Fussballer begann mit meinen Brüdern im Garten und von dort ging es weiter.» Mit elf wechselte er in die Jugendabteilung von Sheffield United, wo er im Alter von 17 Jahren in der zweithöchsten englischen Liga debütierte.
Lange zeigte sein Weg nur nach oben. Von Hull, wo er sich erstmals in der Premier League als Stammspieler etablierte, wechselte er im Sommer 2017 zu Leicester. Zwei Jahre später kam der Transfer nach Manchester. Als er gehört habe, dass United interessiert sei, wusste er sofort, wohin er wechseln wolle. «Es war ein Kindheitstraum, im Old Trafford und im Wembley zu spielen», erzählte Maguire im Gespräch mit «Pro Direct Soccer».
Seit der damalige Leicester-Profi im Oktober 2017 im englischen Nationaltrikot debütierte, sind 47 weitere Länderspiele dazu gekommen. An der WM 2018, als England bis in den Halbfinal vorstiess, war er bereits Stammspieler. Im Viertelfinal erzielte er beim 2:0-Sieg gegen Schweden den wichtigen Führungstreffer. Voraussichtlich wird Southgate auch in Katar auf Maguire setzen. Schliesslich ist dieser nach einer Verletzung rechtzeitig wieder fit geworden. Und der Respekt basiert auf Gegenseitigkeit. «Man muss ihm hoch anrechnen, wie er das Team aufgebaut hat. Er achtet dabei nicht darauf, ob man bei einem grossen oder kleinen Klub spielt», sagte der Verteidiger im letzten Sommer über Southgate.
Bei seinem Debüt war Maguire noch bei einem kleinen Klub, seit seinem Wechsel zum grossen Manchester United ist er einem anderen Druck ausgesetzt. Druck, dem er zumindest im Nationalteam bisher Stand halten konnte. Will England auch an der WM weit kommen, braucht es einen souveränen Abwehrchef Harry Maguire. Oder wie Southgate sagen würde: «Wir sollten uns alle einen Harry Maguire wünschen.»