2015 wechselte er aus der 2. Bundesliga von RB Leipzig zum grossen FC Bayern München. Damals konnte man noch nicht absehen, was ihm für eine Weltkarriere bevorstehen würde. Joshua Kimmich konnte es anfangs selbst nicht glauben, dass der Rekordmeister ihn wollte. Als er vom Interesse der Bayern hörte, sagte er zu seinem Berater: «Mach keine Spässe mit mir!»
Für viele Aussenstehende schien dieser Wechsel ebenso unglaublich wie für Kimmich selbst. Doch Bayerns damaliger Trainer Pep Guardiola sah in dem damals 20-Jährigen einen Spieler, der «absolut alles» verkörpere, «was ein Fussballer braucht».
Mit seiner Prophezeiung sollte der Spanier recht behalten. Kimmich kam bereits in seinem ersten Jahr in München unter Guardiola auf wettbewerbsübergreifende 36 Pflichtspieleinsätze. Folgerichtig wurde er von Jogi Löw auch direkt ins Kader zur WM 2016 in Frankreich berufen. Wo er ab dem dritten Gruppenspiel gegen Nordirland als Rechtsverteidiger auflief.
Ein Jahr zuvor spielte er noch gegen den SV Sandhausen und Erzgebirge Aue, bei der EM stand er im Halbfinal 90 Minuten gegen Spieler wie Paul Pogba und Antoine Griezmann auf dem Feld.
Seither ist Kimmich aus dem DFB-Team nicht mehr wegzudenken und ist es gewohnt, Woche für Woche gegen Top-Spieler anzutreten. Der 27-Jährige zählt zu den wenigen Spielern, die seit der EM in Frankreich bei jedem Turnier inklusive Confederations-Cup-Sieg 2017 in Russland im Aufgebot des deutschen Nationalteams standen.
Kimmich wurde zu Beginn sowohl beim FC Bayern als auch in der Nationalmannschaft lange als Nachfolger von Philipp Lahm gesehen. Dies deshalb, weil er regelmässig auf der Position des Rechtsverteidigers zum Einsatz kam, obwohl seine Lieblingsposition das zentrale Mittelfeld ist.
Beim FC Bayern legte er diese Rolle mit der Ankunft von Benjamin Pavard ab und rückte ins zentrale Mittelfeld, im DFB-Dress musste sich Kimmich allerdings bei der paneuropäischen EM im letzten Jahr nochmals mit der rechten Aussenbahn anfreunden. Dem Weltmeister von 2014 mangelt es an Alternativen auf der rechten Abwehrseite. Kimmich war mit seiner Rolle damals nicht zufrieden und die Aufstellung Löws war für viele ein Grund für das vorzeitige Ausscheiden der deutschen Mannschaft. Auch Ex-Bundestrainer Berti Vogts war einer derjenigen, die Kimmich lieber im Mittelfeld gesehen hätten: «Für mich ist klar, dass er als zentraler Spieler am besten zur Geltung kommt».
Doch Hansi Flick setzte Kimmich in München schon vermehrt gemeinsam mit Leon Goretzka auf der «Sechs» ein und in Flicks bevorzugtem 4-2-3-1 System kam der 7-fache deutsche Meister bislang im Nationalteam immer als defensiver Mittelfeldspieler zum Einsatz.
Auf dieser Position kommen die Stärken Kimmichs viel mehr zur Geltung. Kimmich ist der Leader im deutschen Team, wie es beispielsweise Bastian Schweinsteiger bei der WM 2014 war. Zusammen mit seinem Bayern-Kollegen Goretzka bildet er eine der besten zentralen Mittelfeldachsen der Fussballwelt.
Kimmich ist ein Mentalitätsspieler im zentralen Mittelfeld, welchen man beim viermaligen Weltmeister bei den letzten beiden grossen Turnieren vermisst hat. Er vereint die technischen Fähigkeiten eines Toni Kroos und die Kampfbereitschaft eines Bastian Schweinsteigers.
Er ist ein Spieler, der die Verantwortung nicht scheut, im Gegenteil, er wächst mit seinen Aufgaben. Bislang durfte Kimmich die DFB-Elf viermal als Kapitän auf den Platz führen, keines dieser Spiele ging verloren. Kimmich ist ein Lautsprecher auf dem Platz, er ist der verlängerte Arm des Trainers und sein Ehrgeiz ist schier unbändig.
Genau diese Attribute machten den deutschen Fussball jahrelang erfolgreich. Eine Mannschaft, in der jeder Spieler bereit ist, für den anderen zu kämpfen. Spieler, die an ihren Aufgaben wachsen und im Verlauf des Turniers immer besser werden. Aber dennoch auch eine feine Technik mitbringen. Deutschland galt nicht umsonst stets als «Turniermannschaft».
So erreichte Deutschland mit dem absoluten Leader Michael Ballack 2002 bereits überraschend den WM-Final, verlor diesen zwar ohne den gesperrten Ballack, doch damals wuchs die Mannschaft über sich hinaus, um überhaupt erst so weit zu kommen. 12 Jahre später war es dann Schweinsteiger, der im WM-Endspiel in Rio als Leader voranging und gegen Argentinien wohl auch noch sein letztes Hemd auf dem Platz gelassen hätte, um den Titel nach Deutschland zu holen.
Und ebendiese Rolle des Leaders scheint wie für Joshua Kimmich gemacht zu sein. Er vereint die Spielanlage eines Ballacks und Schweinsteigers in sich. Kimmich kann sowohl Kampf als auch feine Klinge und genau darauf wird es ankommen, wenn das DFB-Team in Katar Grosses erreichen will. Nach dem Rücktritt von Toni Kroos nach der EM 2021 ist der Weg nun frei für Kimmich, auch in der Nationalmannschaft zu zeigen, wozu er in der Lage ist.