Sport
Kommentar

Boykott? Wie du selber bestimmen kannst, ob du die Fussball-WM verfolgst

IMAGO / MiS

24.10.2022, Weihnachtsplätzchen zum Ausstechen werden erstellt, der Mürbeteig auf der Küchenplatte ist mit Mehl unterlegt. Mit Buchstaben-Förmchen wurde das Wort WM 2022 ausgestochen. Die ...
Die Fussball-WM in Katar wird die erste sein, während der es Weihnachtsguetzli gibt.Bild: imago
Kommentar

Wie du selber bestimmen kannst, ob du die Fussball-WM verfolgst

Die Fussball-Weltmeisterschaft in Katar ist seit der Vergabe vor zwölf Jahren maximal umstritten. Warum wir trotzdem umfassend berichten – und wie wir einen Boykott trotzdem möglich machen.
07.11.2022, 11:1708.11.2022, 22:43
Ralf Meile
Mehr «Sport»

Soll man die Fussball-WM in Katar verfolgen? Soll darüber berichtet werden?

Für einige Anhänger des beliebtesten Sports der Welt sind das dieser Tage die grossen Fragen. Das Sündenregister des Veranstalterlands ist lang.

Es ist nicht die Aufgabe eines Mediums, bei möglicherweise unliebsamen Themen den Kopf in den Sand zu stecken, ganz im Gegenteil. watson wird daher ausführlich über die Weltmeisterschaften berichten.

Leiden und Leichen pflastern den Weg

Wir werden in den nächsten Tagen und Wochen nicht nur herrliche Tore zeigen, über verletzte Superstars und umstrittene Schiedsrichter-Entscheide schreiben. Sondern auch über jene Seiten der WM, die die lokalen Veranstalter und der Weltverband FIFA weniger gern im Rampenlicht sehen.

Schon die Vergabe des Turniers am 2. Dezember 2010 war höchst umstritten. Vieles deutet darauf hin, dass sich Katar den Zuschlag mit Schmiergeld erkauft hat.

Seither wurden Stadien aus dem Boden gestampft, Hotels gebaut, Strassen angelegt. Ein kleines, aber stinkreiches Land putzte sich fein heraus. Durch den Einsatz ausländischer Arbeiter, die in Katar in allen Belangen als Menschen zweiter Klasse behandelt werden. Gastarbeiter kamen ums Leben und dieser Blutzoll ist der grösste Kritikpunkt am Turnier: Leiden und Leichen pflastern den Weg.

05.01.2017, Vorschau zur Fussball Weltmeisterschaft 2022 in Katar. Das Khalifa International FIFA-Stadium westlich von Doha, im Aspire Park, ein Stadion der FIFA-Fussball-WM 2022. Das Stadion ist noch ...
Im Khalifa International Stadium wird die Dachkonstruktion befestigt.Bild: imago sportfotodienst

Aus westlicher Sicht vorsintflutlich

Nicht nur die Situation dieser Arbeiter widerspricht unseren westlichen Werten. Um die Rechte der Frauen steht es ebenso schlecht, und der Umgang mit LGBTQ+-Menschen ist in den Augen der westlichen Welt vorsintflutlich. Homosexuelle Handlungen stehen in Katar unter Strafe.

Kritisch ist die Situation der Fan-Unterkünfte. Im Grossraum Doha hat es nicht für alle Anhänger Platz, so dass jeden Tag dutzende Maschinen aus den 70 Flugminuten entfernten Städten Dubai und Abu Dhabi nach Doha fliegen. Und das in Zeiten des Klimawandels. Dass die WM-Stadien heruntergekühlt werden, während anderswo eifrig Strom gespart werden muss, erscheint ebenfalls fragwürdig.

Angesichts all dieser Probleme rücken die fehlende Fussballkultur des kleinen Landes und der ungewöhnliche Termin der WM in den Hintergrund. Ausnahmsweise findet sie im europäischen Winter statt und nicht wie sonst immer im Sommer.

epa10255152 People gather at the new Flag Plaza in Doha, Qatar, 20 October 2022, 30 days to go until the opening ceremony of the FIFA World Cup Qatar 2022 on 20 November 2022. EPA/NOUSHAD THEKKAYIL
Ein Passant beim Flag Plaza in Doha, wo auch Flaggen von nicht für die WM qualifizierten Nationen wehen.Bild: keystone

Was stimmt?

Die diskutablen Begleitumstände können und dürfen nicht ausgeblendet werden. Aber die Wahrheitsfindung ist schwierig. So relativierte in einem Artikel in der NZZ ein langjähriger Sicherheits-Zuständiger auf Katars Baustellen die Zahl der Todesopfer. Tenor: Tatsächlich sei vieles nicht gut in Katar, aber die Angabe von mehreren tausend gestorbenen Gastarbeitern sei deutlich zu hoch. Was stimmt?

Bei den Vorbehalten gegenüber Katar dürfte in Westeuropa bei manchem Kritiker Skepsis gegenüber dem Islam mitschwingen. Die Gastgeber der letzten Fussball-WM (Russland 2018) und der letzten Olympischen Spiele (China 2022) zählen ganz sicher auch nicht zu Ländern, in denen Menschen- und Homosexuellenrechte einen besonders hohen Stellenwert haben. Dafür wurden sie wie Katar kritisiert, aber niemals im gleichen Ausmass.

Dass hierzulande Eishallen und Hallenbäder geheizt werden, ist in normalen Wintern kein Thema. Dass in Katar Stadien gekühlt werden, schon? Wenn Katar mit Geldscheinen gewedelt hat, um das Turnier zu erhalten, dann nicht als einziges Land. Aber mit den dicksten Bündeln. Geld spielt keine Rolle beim Bestreben Katars, das Land durch Sportswashing zu einem international als wichtig anerkannten Staat zu machen.

Whataboutism? Nein. Es geht keineswegs darum, Katar in Schutz zu nehmen. Aber darum, darauf hinzuweisen, dass manch einer, der vermeintlich sauber ist, in Tat und Wahrheit selber Dreck am Stecken hat.

Fokus nach der WM nicht verlieren

Wenn FIFA-Präsident Gianni Infantino wieder und wieder repetiert, dass diese WM die beste überhaupt sein werde, kann man darüber bloss den Kopf schütteln. Doch auch dieses Turnier wird Dramen erleben, Überraschungsteams, Favoritenstürze, Traumtore und Freudentränen. Sportlich ist die Ausgangslage offen, der ganz klare Titelanwärter ist nicht auszumachen.

FIFA President Gianni Infantino, left, and Emir of Qatar Sheikh Tamim bin Hamad Al Thani leave the stage before the 2022 soccer World Cup draw at the Doha Exhibition and Convention Center in Doha, Qat ...
FIFA-Präsident Gianni Infantino (links) und Tamim bin Hamad Al Thani, der Emir von Katar.Bild: keystone

Wichtig wird es sein, auch nach dem Final am 18. Dezember die Entwicklungen in Katar zu verfolgen. Werden Gastarbeiter mehr Rechte erhalten? Müssen sich Homosexuelle weniger verstecken? Dürfen sich Frauen freier fühlen?

Diese Fragen sind wichtiger als die Frage, ob die WM nun die beste überhaupt sein wird. Auch da werden die Medien gefragt sein, genau hinzuschauen. User, Leserinnen und Zuschauer sind aufgefordert, sich auch dann dafür zu interessieren, wenn keine Fussball-WM mehr bevorsteht. Ansonsten haben die kleinen Fortschritte, die im Vorfeld des Turniers unter westlichem Druck gemacht wurden, nicht viel gebracht. Den Kopf auf Durchzug zu stellen und Katar zu ignorieren, kann jedenfalls nicht die Lösung sein.

Solltest du trotz allem zu denjenigen gehören, die das Turnier boykottieren möchten, dann bist du bei watson gut aufgehoben. Wir bieten dir während der Weltmeisterschaft die Gelegenheit, diesen Button zu drücken:

WM-Aus-Button

Wählst du die Option «Weg damit», verschwindet die Fussball-WM aus deinem Blickfeld. Zumindest hier bei uns.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das offizielle Poster der WM 2022 und seine Vorgänger
1 / 25
Das offizielle Poster der WM 2022 und seine Vorgänger
WM 2022 in Katar – die einheimische Künstlerin Bouthayna Al Muftah hat acht Plakate entworfen, dieses ist das Hauptmotiv. Es zeigt nebst einem Fussball das traditionell in Katar getragene Kopftuch.
quelle: fifa / fifa
Auf Facebook teilenAuf X teilen
So kühlt Katar das Stadion der Leichtathletik-WM
Video: srf
Das könnte dich auch noch interessieren:
Hast du technische Probleme?
Wir sind nur eine E-Mail entfernt. Schreib uns dein Problem einfach auf support@watson.ch und wir melden uns schnellstmöglich bei dir.
138 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
HARPHYIE
07.11.2022 11:26registriert Mai 2020
Egal wie man es freht und wendet! Der Anlass ist mit allen Facetten einfach ein Hohn und Spott jeglicher Werte......ob westlich oder nicht!!!!
18217
Melden
Zum Kommentar
avatar
desarts
07.11.2022 11:36registriert August 2022
da bekomme ich Katarrh 🙈

„Kritisch ist die Situation der Fan-Unterkünfte. Im Grossraum Doha hat es nicht für alle Anhänger Platz, so dass jeden Tag dutzende Maschinen aus den 70 Flugminuten entfernten Städten Dubai und Abu Dhabi nach Doha fliegen. Und das in Zeiten des Klimawandels. Dass die WM-Stadien heruntergekühlt werden, während anderswo eifrig Strom gespart werden muss, erscheint ebenfalls fragwürdig“
9516
Melden
Zum Kommentar
avatar
IronHamster
07.11.2022 12:58registriert Juli 2021
Wenn ich "weg damit" wähle, erhalte ich die berichte über die menschenrechtsverletzungen usw auch nicht mehr? Oder kann ich nur die sportberichtung sperren und die weiteren artikel dennoch lesen?
373
Melden
Zum Kommentar
138
Schlotterbecks Verletzungsschock und Zauberpässe – das lief in der Champions League
BVB-Verteidiger Nico Schlotterbeck zog sich beim gestrigen Spiel gegen Barcelona eine unschöne Verletzung zu, schien aber Glück im Unglück zu haben. Diese Geschichten schrieb die Champions League am Mittwochabend.

Beim Spiel zwischen Borussia Dortmund und dem FC Barcelona schien sich Nico Schlotterbeck in der letzten Aktion des Spiels eine schwere Verletzung zugezogen zu haben. Nach einem Kopfballversuch landete der Verteidiger vom BVB sehr unglücklich und sein Fuss knickte etwa 90 Grad nach innen.

Zur Story