Soll man die Fussball-WM in Katar verfolgen? Soll darüber berichtet werden?
Für einige Anhänger des beliebtesten Sports der Welt sind das dieser Tage die grossen Fragen. Das Sündenregister des Veranstalterlands ist lang.
Es ist nicht die Aufgabe eines Mediums, bei möglicherweise unliebsamen Themen den Kopf in den Sand zu stecken, ganz im Gegenteil. watson wird daher ausführlich über die Weltmeisterschaften berichten.
Wir werden in den nächsten Tagen und Wochen nicht nur herrliche Tore zeigen, über verletzte Superstars und umstrittene Schiedsrichter-Entscheide schreiben. Sondern auch über jene Seiten der WM, die die lokalen Veranstalter und der Weltverband FIFA weniger gern im Rampenlicht sehen.
Schon die Vergabe des Turniers am 2. Dezember 2010 war höchst umstritten. Vieles deutet darauf hin, dass sich Katar den Zuschlag mit Schmiergeld erkauft hat.
Seither wurden Stadien aus dem Boden gestampft, Hotels gebaut, Strassen angelegt. Ein kleines, aber stinkreiches Land putzte sich fein heraus. Durch den Einsatz ausländischer Arbeiter, die in Katar in allen Belangen als Menschen zweiter Klasse behandelt werden. Gastarbeiter kamen ums Leben und dieser Blutzoll ist der grösste Kritikpunkt am Turnier: Leiden und Leichen pflastern den Weg.
Nicht nur die Situation dieser Arbeiter widerspricht unseren westlichen Werten. Um die Rechte der Frauen steht es ebenso schlecht, und der Umgang mit LGBTQ+-Menschen ist in den Augen der westlichen Welt vorsintflutlich. Homosexuelle Handlungen stehen in Katar unter Strafe.
Kritisch ist die Situation der Fan-Unterkünfte. Im Grossraum Doha hat es nicht für alle Anhänger Platz, so dass jeden Tag dutzende Maschinen aus den 70 Flugminuten entfernten Städten Dubai und Abu Dhabi nach Doha fliegen. Und das in Zeiten des Klimawandels. Dass die WM-Stadien heruntergekühlt werden, während anderswo eifrig Strom gespart werden muss, erscheint ebenfalls fragwürdig.
Angesichts all dieser Probleme rücken die fehlende Fussballkultur des kleinen Landes und der ungewöhnliche Termin der WM in den Hintergrund. Ausnahmsweise findet sie im europäischen Winter statt und nicht wie sonst immer im Sommer.
Die diskutablen Begleitumstände können und dürfen nicht ausgeblendet werden. Aber die Wahrheitsfindung ist schwierig. So relativierte in einem Artikel in der NZZ ein langjähriger Sicherheits-Zuständiger auf Katars Baustellen die Zahl der Todesopfer. Tenor: Tatsächlich sei vieles nicht gut in Katar, aber die Angabe von mehreren tausend gestorbenen Gastarbeitern sei deutlich zu hoch. Was stimmt?
Bei den Vorbehalten gegenüber Katar dürfte in Westeuropa bei manchem Kritiker Skepsis gegenüber dem Islam mitschwingen. Die Gastgeber der letzten Fussball-WM (Russland 2018) und der letzten Olympischen Spiele (China 2022) zählen ganz sicher auch nicht zu Ländern, in denen Menschen- und Homosexuellenrechte einen besonders hohen Stellenwert haben. Dafür wurden sie wie Katar kritisiert, aber niemals im gleichen Ausmass.
Dass hierzulande Eishallen und Hallenbäder geheizt werden, ist in normalen Wintern kein Thema. Dass in Katar Stadien gekühlt werden, schon? Wenn Katar mit Geldscheinen gewedelt hat, um das Turnier zu erhalten, dann nicht als einziges Land. Aber mit den dicksten Bündeln. Geld spielt keine Rolle beim Bestreben Katars, das Land durch Sportswashing zu einem international als wichtig anerkannten Staat zu machen.
Whataboutism? Nein. Es geht keineswegs darum, Katar in Schutz zu nehmen. Aber darum, darauf hinzuweisen, dass manch einer, der vermeintlich sauber ist, in Tat und Wahrheit selber Dreck am Stecken hat.
Wenn FIFA-Präsident Gianni Infantino wieder und wieder repetiert, dass diese WM die beste überhaupt sein werde, kann man darüber bloss den Kopf schütteln. Doch auch dieses Turnier wird Dramen erleben, Überraschungsteams, Favoritenstürze, Traumtore und Freudentränen. Sportlich ist die Ausgangslage offen, der ganz klare Titelanwärter ist nicht auszumachen.
Wichtig wird es sein, auch nach dem Final am 18. Dezember die Entwicklungen in Katar zu verfolgen. Werden Gastarbeiter mehr Rechte erhalten? Müssen sich Homosexuelle weniger verstecken? Dürfen sich Frauen freier fühlen?
Diese Fragen sind wichtiger als die Frage, ob die WM nun die beste überhaupt sein wird. Auch da werden die Medien gefragt sein, genau hinzuschauen. User, Leserinnen und Zuschauer sind aufgefordert, sich auch dann dafür zu interessieren, wenn keine Fussball-WM mehr bevorsteht. Ansonsten haben die kleinen Fortschritte, die im Vorfeld des Turniers unter westlichem Druck gemacht wurden, nicht viel gebracht. Den Kopf auf Durchzug zu stellen und Katar zu ignorieren, kann jedenfalls nicht die Lösung sein.
Solltest du trotz allem zu denjenigen gehören, die das Turnier boykottieren möchten, dann bist du bei watson gut aufgehoben. Wir bieten dir während der Weltmeisterschaft die Gelegenheit, diesen Button zu drücken:
Wählst du die Option «Weg damit», verschwindet die Fussball-WM aus deinem Blickfeld. Zumindest hier bei uns.
„Kritisch ist die Situation der Fan-Unterkünfte. Im Grossraum Doha hat es nicht für alle Anhänger Platz, so dass jeden Tag dutzende Maschinen aus den 70 Flugminuten entfernten Städten Dubai und Abu Dhabi nach Doha fliegen. Und das in Zeiten des Klimawandels. Dass die WM-Stadien heruntergekühlt werden, während anderswo eifrig Strom gespart werden muss, erscheint ebenfalls fragwürdig“