Orgasmen auf Knopfdruck und Liebe per Touchscreen-Wischer nach rechts. Technologische Entwicklungen beeinflussen unser Leben. Sie dringen ein bis in die intimsten Sphären unseres Daseins: In die Liebe und die Sexualität. Die Überlappung von Realität und Virtualität ist denn auch die Ausgangslage der neuen Netflix-Dokureihe «Hot Girls Wanted: Turned On».
Die Auseinandersetzung begann vor rund zwei Jahren. Der für sich alleinstehende Dokumentar Film «Hot Girls Wanted» produziert von Rashida Jones und gedreht durch Jill Bauer und Ronna Gradus portätierte junge Highschool-Abgängerinnen, die ihre ersten Schritte in der Sexindustrie wagten. In der Aussicht auf viel Geld sahen die jungen Frauen eine Befreiung. Es holte sie raus aus ihren kleinen Dörfer im US-amerikanischen Hinterland, wo sie sich durch Einöde und konservative Haltungen eingesperrt fühlten. Ihr Ausbruch führte sie aber in eine andere Form der Unterdrückung. In eine Industrie, in der ihre Körper Verbrauchsware sind und in der ein «Nein» aus ihrem Munde nicht ernstgenommen wird.
Nun, zwei Jahre später, erhält der damals sehr erfolgreiche Dok-Film ein Spin-Off in Form einer sechs Episoden langen Serie namens «Turned on». Darin wird unter anderem dargelegt, wie Weiblichkeit, beziehungsweise weibliche Sichtweisen, in der Sexindustrie gehandhabt werden, wer sich der Männerdomäne ergibt und wie man auf feministische Weise rebellieren kann.
Für Jones sei das Aufmerksammachen auf diese Thematik schon lange ein grosses Anliegen. «Mich interessiert weibliche Sexualität verglichen mit der Sexualisierung von Frauen», sagt die 41-jährige gegenüber der österreichischen Nachrichtenagentur «APA». Ihre Ausgangslage erklärt sie weiter: «Die einzige Möglichkeit, um heutzutage sexy zu sein, ist zu signalisieren, dass man Sex mit jemandem will. Und zwar in einer ganz bestimmten Art und Weise, die von Pornografie vorgegeben wird. Daran müssen wir arbeiten.»
Die Serie wendet sich nicht per se gegen Pornografie oder neue technische Entwicklungen, wie Live-Chats oder Dating- und Sex-Plattformen. Kritisiert wird hauptsächlich der Fakt, dass die Inhalte von Mainstream-Pornos frei und in keinster Weise kontextualisiert im Internet herumschwirren. Die schwedische Porno-Ressigeurin Erika Lust, die während der ersten Episode porträtiert wird, kommentiert das so:
An dieser Stelle zitiert die Serie drei amerikanische Studien, die behaupten,
Erika Lust hat sich deshalb entschieden, Pornos aus einer weiblichen Perspektive zu drehen.
Jones, die Macherin der Serie kommentiert jene Studien im Interview mit dem Online-Portal «Variety» ebenfalls mit einem aktivistischen Mut:
Das Projekt wird von feministisch eingestellten Gruppierungen wohlwollend aufgenommen und dafür gelobt, dass es einen wichtigen Diskurs am Leben hält. Die Pornoindustrie hingegen sieht in der Serie einen Dolchstoss und streut deshalb harsche Kritik.
Angefangen bei einem Twitter-Streit, steigern sich Vertreter der Branche und die Filmemacher in ein mediales Furioso.
Ausgelöst wurde jener Wortwechsel von der Darstellerin Gia Paige, die in der vierten Episode auftritt und von der angeblich gegen ihren Willen ihr amtlicher Name veröffentlicht wurde. Ihren Vorwürfen folgten mehrere Frauen und Männer, die vereinzelt in den Episoden von «Turned on» auftreten seien und sich ebenfalls darüber ausliessen, dass die Film-Crew die Darsteller nicht zureichend über ihr Vorhaben informiert haben.
.@hotgirlswanted BECAUSE I DO. THANKS FOR KEEPING YOUR WORD. SNAKES.
— Baeelzebub (@GiaPaige) 23. April 2017
Was sehr dramatisch tönt, spielte der Free Speech Coalition (FSC), einem Verband, der sich für die Liberalisierung der US-amerikanischen Pornoindustrie einsetzt, als Kritikpunkt direkt in die Hände. In einem offenen Brief an Netflix und an die Produzenten der Serie schreibt sie Folgendes:
«Es ist sehr ironisch – und verstörend – dass sich Filmemacher, die sich eigentlich wohlwollend für Arbeitende in der Pornobranche einsetzten wollen, die Haltung vertreten, diese Leute müssen von ihnen ‹gerettet› werden. Wir müssen nicht gerettet oder gar zensiert werden! Die Gesellschaft muss liberalisiert werden. Das fängt an bei besserem Aufklärungsunterricht in den Schulen. [...] Wären ihre Intentionen aufrichtig, hätten sie sie Darstellenden zureichend informiert. Es scheint als würden sie vor allem zu Gunsten ihres eigenen Erfolgs agieren. Wer sind hier nun die Ausbeuter? [...] Wir fordern von Netflix, dass die Serie sofort aus dem Umlauf gezogen wird, bevor noch mehr Schaden angerichtet wird.»
In einem Exklusiv-Interview mit dem amerikanischen Online-Magazin «Variety» behaupten die Macher, Jill Bauer und Ronna Gradus, dass stets nach einer für Dok-Filme standardisierten Vorgehensweise agiert wurde. Alle in der Serie gezeigten Personen hätten laut Bauer eine Einverständniserklärung unterzeichnet. Weiter analysiert ihre Arebeitsparterin Rona Gradus:
Neben der FSC äusserte sich auch der Gratis-Porno-Riese «xHamster» kritischen gegenüber dem neuen Serien-Format. In einem Blog-Eintrag schreibt das Management, dass es sowohl Netflix, wie auch der Produzentin Rashida Jones, rote Regenschirme (Symbol für die Rechte von Sexarbeiterinnen) und das Buch «Playing The Whore: The Work of Sex Work» zusenden wird. Des Weiteren verlangt xHamster von Jones, falls diese wirklich etwas erreichen wolle, die gesamten Einnahmen des Films an eine Stiftung für Prostituierte zu spenden.
Die Kritikpunkte der beiden Institutionen wirken sehr scheinheilig. Die FSC, die sich hier so wohlwollend für das Wohl der Branchen-Arbeiter und Arbeiterinnen einsetzt, kämpft handkehrum schon seit Jahren gegen das Gesetzt einer Kondompflicht zur Risikosenkung von Geschlechtkrankheiten. Und xHamster, als einer der grössten Gratis-Porno-Anbieter, verhindert das etablieren fairer Löhne für Darstellenden. Besonders geschmacklos ist aber, dass auf der xHamster-Webseite ein «Hot Girls Wanted»-Tag existiert, auf dem Pronoclips der verschieden Frauen, die im Dokfilm aus 2015 zu sehen waren, gesammelt sind.