Eine mutmassliche Vergewaltigung. Anschliessende Nötigung und schwere Körperverletzung des weiblichen Opfers. Und mittendrin ein Anwalt, der im Ausgangsmilieu der Stadt bestens bekannt ist. Die «Rundschau» berichtete am Mittwoch über einen Vorfall, der sich Ende 2021 in Schaffhausen ereignet haben soll. Und die Polizei in ein schlechtes Licht rückt.
Es sind Szenen, die so gar nicht nach «Blos e chlini Stadt» – das Lied von Dieter Wiesmann aus 1970 gilt als informelle Hymne Schaffhausens – klingen. Die Schilderungen aus dem «Rundschau»-Beitrag erinnern mehr an einen Krimi. Im Dezember 2021 soll die 43-jährige Amateur-Musikerin Fabienne W. nach einer Party vergewaltigt worden sein. Ihr damals 15-jähriger Sohn, der ebenfalls dabei war, sagt später aus, er habe seine Mutter noch nie so erlebt, wie an dem Abend. Beide gehen davon aus, dass ihr auf der Party ein Betäubungsmittel verabreicht wurde. Dann gingen sie mit einem ihnen vor diesem Abend unbekannten Mann nach Hause. Dieser gab an, auf Fabienne W. aufpassen zu wollen, da sie betrunken sei.
Am nächsten Morgen wacht die Schaffhauserin neben dem Mann auf und erinnert sich an nichts – und doch spürt sie, dass etwas nicht stimmte, wie sie in der «Rundschau» schilderte. Sie stellt fest, dass nicht einvernehmlicher Sex mit ihr stattgefunden hatte. Die 43-Jährige schickt den Mann aus ihrer Wohnung. Später gibt dieser zu Protokoll, dass es in der Nacht dreimal zu einvernehmlichem Geschlechtsverkehr gekommen sei.
Fabienne W. erzählt einer Kollegin, die ebenfalls auf der Party war, von dem Vorfall und versucht herauszufinden, was am Abend zuvor geschah. Der mutmassliche Täter erfährt, dass herumerzählt wird, er habe Fabienne W. vergewaltigt. Und sucht Rat bei einem alten Freund, einem (vor allem im Ausgangsmilieu) stadtbekannten Anwalt. Dieser rät ihm, erstmal nichts zu tun. Vielleicht, weil er vorhatte, die Sache selbst zu regeln.
Eine Woche später erhält Fabienne W. eine Einladung zum Abendessen bei besagtem Anwalt. Sie kennt ihn nicht persönlich, geht davon aus, er interessiere sich für ihre Musik. Im Laufe dieses Abends wird Fabienne W. in der Wohnung des Anwalts von mindestens drei Männern spitalreif geprügelt. Überwachungskameras in der Wohnung zeichnen die Tat auf. Fabienne W. gibt an, der Anwalt soll versucht haben, sie zu nötigen, von einer Anzeige gegen seinen Kollegen, der sie mutmasslich vergewaltigt hatte, abzusehen.
Fabienne W. wird am nächsten Morgen in der Schaffhauser Altstadt auf der Strasse gefunden und verletzt ins Spital gebracht. Die Polizei bietet Forensiker auf. Fabienne W. klagt über Schmerzen am ganzen Körper und auch zwischen den Beinen. Und wieder erinnert sie sich an nichts, was nach dem Dessert geschah. Die Behörden erfassten ihre Verletzungen, untersuchten die Hinweise auf eine mögliche Sexualstraftat jedoch nicht weiter.
Im Zuge der Ermittlungen geht die Polizei in die Wohnung des Anwalts, welcher zu diesem Zeitpunkt nicht als Tatverdächtiger gilt. Sie hat den Auftrag, Datenträger mit möglichem Beweismaterial – also beispielsweise die Aufnahmen der Überwachungskameras – sicherzustellen. Vor Ort beschwichtigt der Anwalt, er habe keine Ahnung, was vorgefallen sei. Zudem sei der Bildschirm kaputt, auf dem die Aufnahmen angeschaut werden könnten. Die Polizeibeamten begnügen sich deshalb damit, die Aufnahmen von seinem Handy abzufilmen – ohne Ton. Stattdessen hört man auf diesen abgefilmten Aufnahmen das freundliche Geplauder der Beamten mit dem Anwalt, der langsam wieder «in Partylaune» kam, wie er sagte. Tags darauf rückte die Polizei erneut an, mit dem Auftrag, das Beweismaterial dieses Mal auch wirklich zu sichern. Doch erneut begnügten sich die Beamten mit einem vom Anwalt ausgehändigten USB-Stick.
Aus den Überwachungsaufnahmen geht hervor, dass der Anwalt keineswegs unbeteiligt war oder «keine Ahnung» hatte. Bei der Tat ist er im selben Raum und involviert. Dass er Fabienne W. genötigt habe, streitet er aber ab. Vielmehr habe Fabienne W. begonnen, zu randalieren, und man habe sie beruhigen wollen.
Auf den Aufnahmen ist auch zu sehen, wie die Männer Fabienne W. ins Schlafzimmer zerren. Erst circa acht Minuten später schleifen sie sie zurück ins Wohnzimmer, wo die Überwachungskameras sind. Sie trägt plötzlich Handschellen.
Die «Rundschau» hat den Fall mit dem renommierten Strafverteidiger Konrad Jeker besprochen. Dieser wirft den Schaffhauser Behörden kriminalistisch unhaltbares Vorgehen und Unprofessionalität vor. Er findet, die Polizei habe mehrmals ihren Auftrag nicht wahrgenommen, zum Beispiel, als man Hinweisen auf ein mögliches Sexualdelikt nicht nachgegangen sei, oder als man die Aufnahmen der Überwachungskameras mehrmals nicht sichergestellt habe.
Die Polizei, die Staatsanwaltschaft und das Justizdepartement wurden von der «Rundschau» mit den Vorwürfen konfrontiert. In einer gemeinsamen schriftlichen Stellungnahme weisen sie sämtliche Vorwürfe als haltlos und falsch zurück. Die «Rundschau» habe, gestützt auf die subjektiven Wahrnehmungen und Informationen der Privatklägerin und ihrer Anwältin, das Vorgehen der Schaffhauser Strafverfolgungsbehörden kritisiert. Die Möglichkeit der Staatsanwaltschaft, die offensichtlichen Unwahrheiten richtigzustellen, seien aufgrund des Amtsgeheimnisses stark eingeschränkt.
Fabienne W. ist traumatisiert und wütend. Sie leidet an einer post-traumatischen Belastungsstörung, habe Schlafstörungen und Stimmungsschwankungen. Früher hätte sie viele Kollegen gehabt, heute bleibe sie fast nur noch für sich. Es hätten sie nicht nur die Übergriffe traumatisiert, sondern auch das Vorgehen der Behörden, welche die Täter offensichtlich mit Samthandschuhen angefasst hätten, sagt sie.
Das Verfahren wegen Vergewaltigung wurde mittlerweile eingestellt. Dagegen hat Fabienne W. Beschwerde eingelegt. In Zusammenhang mit den schweren Misshandlungen wurde gegen die Hauptbeschuldigten noch keine Anklage erhoben. Es gilt die Unschuldsvermutung. (lzo)
Da kommt mir die kalte Kotze.
So kann man elegant Gras über die Sache wachsen lassen und die Behörden können munter weitermauscheln.