
Ein Bauer in der Region von Chmelnyzkyj in der Westukraine bestellt sein Feld. Bild: keystone
Analyse
Der Krieg in der Ukraine stellt eine alte Frage neu: Wie sinnvoll ist das Spekulieren mit Getreide?

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Die Ukraine und Russland gehören zu den wichtigsten Getreide-Exporteuren der Welt. Rund 30 Prozent aller Ausfuhren von Weizen, Mais und Gerste gehen auf das Konto der beiden Länder (>> Diese Länder sind am meisten von ukrainischem und russischem Weizen abhängig). Putins Krieg stellt diese Exporte infrage. Erschwerend kommt dazu, dass in China die letzte Ernte wegen Überschwemmungen schlecht ausgefallen ist. In Indien hat derweil eine Rekordhitze zu massiven Ausfällen geführt.
All dies hat zu einer Preisexplosion auf den Getreidemärkten geführt. Weizen beispielsweise kostet mehr als 50 Prozent mehr als zu Beginn des Jahres. Die Leidtragenden dieser Preisexplosion sind einmal mehr die Ärmsten dieser Welt. Uno-Generalsekretär António Guterres warnt bereits vor einer «globalen Nahrungsknappheit» und erklärt, bis zu 1,6 Milliarden Menschen seien von Hunger bedroht.

Aussähen trotz Krieg: Ein Weizenfeld in der West-Ukraine.Bild: keystone
Einmal mehr gerät in dieser Situation auch die Rolle der Finanzmärkte ins Visier. Ist, wer in Nahrungsmittel investiert, ein skrupelloser Spekulant, der sich auf Kosten hungernder Kinder bereichert? Oder sind es gerade diese Investitionen, welche die Märkte liquid halten und damit Hunger verhindern? Die Antwort auf diese Fragen ist zwiespältig.
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Spekulation mit Nahrungsmittel ist fast so alt wie die Agrarwirtschaft selbst, und sie ist grundsätzlich sinnvoll. Mit den Derivaten, dem Recht auf den Kauf, respektive den Verkauf eines bestimmten Produkts wie Getreide, werden für relativ stabile Preise für Bauern und Händler gesorgt und damit auch eine verlässliche Versorgung sichergestellt.
Im Zuge der Deregulierung der Finanzmärkte in den Achtzigerjahren begannen die Derivate jedoch ein Eigenleben zu entwickeln. Vor dieser Deregulierung betrug der Anteil der Spekulation an den Getreidemärkten rund 20 Prozent. Danach stieg er auf rund 80 Prozent.
Als 2007/08 wegen anhaltender Dürre weltweit die Getreideernten schlecht ausfielen und sich in den folgenden Jahren wie derzeit eine Hungerkatastrophe abzeichnete, kam eine heftige Diskussion über die Rolle der Spekulation in Gang. Dabei gab es eine überraschende Entwicklung.

Hat in ein Wespennetz gestochen: Paul Krugman.Bild: EPA/ANA-MPA
Ausgerechnet Nobelpreisträger und «New-York-Times»-Kolumnist Paul Krugman bezeichnet die Spekulation damals als irrelevant, respektive als «spekulativen Blödsinn». Dabei gilt Krugman als ein Vertreter der progressiven, «linken» Ökonomen.
Die Derivate seien nichts anderes als Wetten auf die Zukunft, so Krugman. Es sei damit ein Null-Summen-Spiel, welches die Teilnehmer untereinander austragen würden. Die Auswirkungen auf die realen Preise seien «null, zero, nada». Diese würden nämlich an den sogenannten Spotmärkten bestimmt, dort, wo die realen Produkte und nicht ihre Derivate gehandelt würden.
Krugman erhielt damals namhafte Unterstützung, beispielsweise von Steffen Roth von der Universität Köln. Auch er erklärte: «Die Menge der physisch vorhandenen und erhältlichen landwirtschaftlichen Produkte wird von den Aktivitäten der Spekulanten nicht beeinflusst.» Und ein Future (ein Anrecht, Getreide zu einem bestimmten Preis zu erwerben) lege einzig fest, wer der Eigentümer der Ernte im Sommer sein werde, «aber nicht, wie gross die Ernte ausfallen wird».
Mit seiner Spekulativen-Blödsinn-These hatte Krugman jedoch in ein Wespennest gestochen. Seine Kritiker waren zahlreich. Ihre Argumente lassen sich wie folgt zusammenfassen:
- Krugman sei ein Theoretiker, der keine Ahnung von der Realität habe.
- Die überwiegende Mehrheit des spekulativen Geldes, das in Nahrungsmittel fliesst, tue dies über Indexfonds, welche nur als Käufer auftreten und damit die Preise in die Höhe trieben.
- Nicht die Spotmärkte, sondern die Märkte der Futures würden die wahre Situation abbilden, und die Markteilnehmer würden sich an ihnen orientieren. Höhere Future-Preise würden auch die Preise des bereits in Silos gelagerten Getreides in die Höhe treiben.
An dieser Situation hat sich bei heute nichts geändert. So erklärt etwa Olivier De Schutter, zuständig für den Welthunger bei der Uno, gegenüber dem «Lighthouse Report», einem Non-Profit-Journalisten-Netzwerk: «Es ist extrem frustrierend und eine Tragödie, dass sich in den letzten 15 Jahren nichts geändert hat und wieder die gleichen Argumente auftauchen.»
Inzwischen fordern selbst die Spekulations-Befürworter, dass man gegen die grossen Agrarfonds vorgehen müsse. Einer davon ist Lukas Kornher vom Institut für Ernährungswirtschaft an der Universität in Bonn. Gegenüber der deutschen TV-Station ARD sprach er sich dafür aus, die Anzahl dieser Fonds in Krisenzeiten zu beschränken. «Dafür gibt es schon Regeln», so Kornher. «Diese müssen aber noch besser überwacht und durchgesetzt werden.»
Den Spekulanten allein die Schuld an einer möglichen Hungerkatastrophe in die Schuhe schieben zu wollen, ist jedoch zu kurz gesprungen: Rund 70 Prozent des weltweit produzierten Getreides wird für die Viehzucht verwendet. Und landet später als Steaks auf den Tellern.
Zahlen und Fakten zum Hunger
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Zahlen und Fakten zum Hunger
quelle: x02850 / jorge dan lopez
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