Als Donald Trump am vergangenen Donnerstag erfuhr, dass sich der südkoreanische Sicherheitsberater Chung Eui-yong im Weissen Haus aufhielt, bat er ihn zu sich ins Oval Office und erfuhr dabei, dass Kim Jong Un sich gerne mit ihm treffen würde. Der US-Präsident fackelte nicht lange und sagte auf der Stelle zu.
Einmal mehr hatte Trump alle überrumpelt: seine Mitarbeiter, seinen Aussenminister und die Welt. Aus dem Bauch heraus hatte er entschieden, sich mit dem nordkoreanischen Diktator an einen Tisch zu setzen, getreu seinem Motto: «Ich allein kann es richten.»
Das sei ein viel zu riskantes Unterfangen, wurde Trump sofort kritisiert. Verständlich. Bisher hat der Präsident weder eine erkennbare geopolitische Strategie erkennen lassen, noch kann er sich auf einen fähigen Stab stützen.
Aussenminister Rex Tillerson gilt als Nullnummer, und ein Drittel der Stabsstellen in seinem Amt sind nicht besetzt. Die Tatsache, dass sich Trump und Kim regelmässig beschimpfen, spricht ebenfalls nicht für ein solches Treffen.
Andererseits kann Trump zu Recht darauf hinweisen, dass die Bemühungen seiner Vorgänger nicht eben erfolgreich waren. Seit 1992 verhandeln die USA mit Nordkorea. Sie konnten dabei nicht verhindern, dass Nordkorea zu einer Atommacht wurde, und es gelang auch nicht, das skrupellose Regime zu destabilisieren. Viel desolater kann die Situation so gesehen nicht mehr werden.
Am 25. Juni 1950 fielen nordkoreanische Truppen in Südkorea ein, eroberten innert vier Tagen die Hauptstadt Seoul und brachten die südkoreanischen Truppen an den Rand einer Niederlage. Die UNO erteilte daraufhin einer internationalen Streitmacht unter amerikanischer Führung ein Mandat, einzugreifen.
Dank grosser Luftüberlegenheit konnte General Douglas MacArthur die Nordkoreaner bald wieder hinter die Grenze, den ominösen 38. Breitengrad, zurückdrängen. Daraufhin wurde er übermütig und stiess bis zur chinesischen Grenze vor in der Annahme, die ausgepowerte Steinzeit-Armee von Mao Zedong würde es auf keinen Fall wagen, die modern ausgerüsteten US-Truppen anzugreifen.
Das war ein verhängnisvoller Irrtum. Die Chinesen warfen rund 300’000 Soldaten in den Krieg und brachten den Amerikanern schwere Verluste bei. MacArthur wurde seines Amtes enthoben. Der Krieg dauerte noch drei Jahre weiter, forderte grosse Opfer und endete in einem Waffenstillstand, der heute noch gültig ist.
Seit diesem Krieg gilt es als gesetzt, dass Peking es niemals akzeptieren werde, dass das kommunistische Regime gestürzt und Korea unter US-Oberaufsicht vereinigt wird. Amerikanische Truppen an der eigenen Grenze seien ein absolutes No-Go, so die gängige Doktrin. Daher würden die Chinesen die US-Bemühungen, das Kim-Regime zu stürzen auch nur halbherzig unterstützen.
Diese Doktrin ist möglicherweise von der Realität überholt worden. In einem Essay in «Foreign Affairs» stellte die Politologin Oriana Skylar Mastro kürzlich fest, dass China Nordkorea nicht mehr aus der Patsche helfen würde, und nannte dafür drei Gründe.
Gemäss Mastro sind Kim und Xi alles andere als beste Freunde. «Der chinesische Präsident hat Kim noch nie getroffen. Gemäss chinesischen Wissenschaftlern, die Zugang zu den höchsten Kreisen der Partei haben, verachtet er das nordkoreanische Regime.»
Die chinesische Bevölkerung verspürt ebenfalls keine Liebe zum Nachbarn. «Der chinesische Wissenschaftler Zhu Feng hat in ‹Foreign Affairs› erklärt, dass es sehr populär wäre, das nordkoreanische Regime fallenzulassen», schreibt Mastro.
Die chinesische Armee sei nicht mehr auf den nordkoreanischen Puffer gegen die US-Truppen angewiesen, lautet der zweite Punkt von Mastro. «In den letzten beiden Jahrzehnten hat die Modernisierung der Truppen, zusammen mit den geografischen Vorteilen, sicher gestellt, dass die chinesische Armee jederzeit sehr schnell grosse Teile von Nordkorea besetzen könnte, bevor US-Truppen dazu in der Lage wären.»
Schliesslich hat China überhaupt kein Interesse an einem Atomkrieg auf der koreanischen Halbinsel. Es müsste damit rechnen, selbst in grossem Umfang davon betroffen zu werden. Deshalb ist eine Wiedervereinigung der beiden Korea aus chinesischer Sicht denkbar geworden. «Selbst Xi hat sich dafür ausgesprochen, allerdings längerfristig», so Mastro.
Ob es Trump mit Hilfe von Xi gelingen wird, Kim in den Griff zu bekommen, ist fraglich. Ja, derzeit ist es noch unsicher, ob das Treffen überhaupt zustande kommen wird. Einen Versuch ist es wert. Die Lage ist so verfahren, dass selbst Trump und Kim nicht mehr viel Schaden anrichten können.