Sie wirken müde, mitunter fahrig, als sie den Medien Red und Antwort stehen: Finanzministerin Karin Keller-Sutter, Nationalbankpräsident Thomas Jordan und Marlene Amstad, Präsidentin der Finanzmarktaufsicht (Finma). Daneben sitzen Bundespräsident Alain Berset, UBS-Präsident Colm Kelleher und Axel Lehmann, der letzte Präsident in der 167-jährigen Geschichte der Credit Suisse.
Mehrmals blickt sich die illustre Runde auf kritische Fragen der Medien ratlos an, sucht Hilfe bei den Fachleuten in der ersten Reihe. Die Sache ist komplex. In den Stunden davor wurde nichts anderes als die Übernahme der CS durch die UBS besiegelt. Es ist Sonntagabend, der 19. März 2023, die Beteiligten im Medienzentrum des Bundes haben die vielleicht dramatischsten Tage ihrer Karrieren hinter sich.
Seit Mittwoch, dem 15. März, ist öffentlich bekannt, dass die Credit Suisse am Abgrund steht und Hilfe der Nationalbank braucht. Die zweitgrösste Schweizer Bank ist systemrelevant, in der Schweiz sowieso, aber auch weltweit. Kollabiert sie, droht eine weltweite Finanzkrise.
Während fünf Tagen haben Keller-Sutter, Jordan und Amstad mit den Bankern gerungen: um Hunderte Milliarden Franken von Bund und Nationalbank als Sicherheit. Und um den Preis der Credit Suisse, die bei Kunden und Geschäftsbanken infolge zahlreicher Skandale, Führungswechseln und undurchschaubarer Risikogeschäfte jegliches Vertrauen verloren hat.
Möglicherweise ist es der Erschöpfung geschuldet, dass nach dieser Schlacht auch Fehler passieren. So rechnet Thomas Jordan am Sonntagabend vor, dass Bund und SNB in dem Deal zusammen mit 200 Milliarden Franken engagiert sein sollen. Hinzu kommen 9 Milliarden Franken Verlustgarantien vom Bund für die UBS.
Die Medien addieren. Die NZZ wird später auf ihrer Frontseite titeln: «Die 209-Milliarden-Franken-Wette».
Doch diese Summe ist zu tief gegriffen. Thomas Jordan hat bei seinen 200 Milliarden etwas «vergessen». Recherchen der «Schweiz am Wochenende» zeigen: In Jordans Rechnung fehlen 50 Milliarden Franken - sogenannte zusätzliche Liquiditätshilfe (ELA+) gegen Konkursprivileg. Dies bestätigt die Nationalbank auf Anfrage.
Will heissen: Die Schweiz ist eine 259-Milliarden-Wette eingegangen.
Eine unfassbare Summe. Das bisher teuerste Infrastrukturprojekt in der Geschichte der Schweiz, die Neue Eisenbahn-Alpentransversale NEAT, hat 24 Milliarden Franken verschlungen.
259 statt 209 Milliarden Franken: Es ist nicht die einzige Falschinformation. Schon am Mittwoch wird nicht die ganze Wahrheit kommuniziert. Erst teilten Finma und SNB mit, die Credit Suisse werde im Bedarfsfall Liquidität von der SNB erhalten. Wenige Stunden später ist es so weit. Die CS gibt bekannt: «Die Credit Suisse nimmt die Möglichkeit wahr [...], eine kurzfristige Liquiditätsfazilität bis zu CHF 50 Mia. von der SNB aufzunehmen, die durch hochwertige Aktiven vollständig besichert sind.»
Falsch - was den letzten Punkt betrifft. Recherchen im Umfeld der Nationalbank zeigen: Diese 50 Milliarden sind keineswegs komplett durch hochwertige Aktiven besichert. Mehrere Milliarden fehlen. Die CS war schlicht nicht imstande, genügend solcher sicherer Aktiven wie Hypotheken, Wertpapiere beizubringen.
Es sind die Communiqués von Finma und SNB sowie von der CS in der Nacht auf Donnerstag, die der Öffentlichkeit das ganze Ausmass der Krise bewusst machen. Am Sitz des Finanzdepartements, dem ehemaligen Hotel Bernerhof in Bern, dräut diese Einsicht mehrere Stunden früher. Nachdem in der Vorwoche in Kalifornien die Silicon Valley Bank kollabiert ist und weitere Regionalbanken in den USA am Abgrund stehen, ist die Bankenwelt in Aufruhr.
Es braucht nur noch diesen einen Satz eines hohen Vertreters der Saudi National Bank, dass man keine weiteren Milliarden in die Credit Suisse einschiessen werde. Und der Sturm ist perfekt. Geschäftsbanken gehen auf Distanz zur CS, der Abfluss von Kundengeldern in Milliardenhöhe ist nicht mehr zu stoppen.
Das Epizentrum der Krise, die in Kalifornien ihren Anfang nahm, verlagert sich in die Schweiz - nach Bern und an den Paradeplatz in Zürich. Und die Schockwellen sind viel grösser als davor. Die CS ist doppelt so gross wie die Silicon Valley Bank.
Im Bernerhof tritt am Mittwochmorgen, 15. März, unter der Leitung von Karin Keller-Sutter das «Lenkungsorgan Finanzkrisen» zusammen. Diesem gehören auch Thomas Jordan und Finma-Präsidentin Amstad an. Geschaffen wurde das Gremium 2011 als Reaktion auf die Finanzkrise und die UBS-Rettung 2008. Ergänzt wird es vom «Ausschuss Finanzkrisen» mit den obersten Fachleuten der drei Behörden. Für sie alle ist der Ernstfall da.
Man ist vorbereitet. Hinter den Kulissen haben das Lenkungsgremium und der Lenkungsausschuss von Bund, SNB und Finma in den letzten Monaten mehrere Handlungsoptionen ausgearbeitet für den Fall, dass die CS strauchelt. Auch im Bundesrat war die Bank mehrmals Thema - bereits im letzten Herbst.
Im Oktober sorgt ein internes Memo von CS-Chef Ulrich Körner für Aufregung, es folgen ein Twittersturm und ein Kurssturz. In dieser Phase wird der damalige Finanzminister Ueli Maurer in einer geheimen Bundesratssitzung aufgefordert, Analysen zu liefern. So kolportieren es bundesratsnahe Quellen.
Laut dem «Tages-Anzeiger» war im November sogar eine ausserordentliche Bundesratssitzung zur CS anberaumt - die dann aber nicht stattgefunden habe. Hatte Maurer kurz vor seinem Rücktritt keine Lust, sich mit dem brandheissen Dossier zu befassen? Oder traute er seinen Kolleginnen und Kollegen so wenig, dass er es tunlichst vermied, mit sensiblen Informationen ins Regierungskollegium zu gehen?
Eines begleitet sämtliche Arbeiten in Bundesbern wie ein dunkler Schatten: die Angst, dass die Vorbereitungen auf einen möglichen Crash der CS publik werden könnten. Ein solches - amtlich bestätigtes - Misstrauen würde der Bank den Todesstoss versetzen. Dem Vernehmen nach waren in der Bundesverwaltung kaum mehr als zehn Personen in die Arbeiten eingeweiht.
Unter der neuen Finanzministerin Keller-Sutter und angesichts der sich zuspitzenden Lage erfuhren die Arbeiten Anfang Jahr eine Beschleunigung. Vor etwas mehr als einem Monat habe sich alsdann der Bundesrat erneut mit dem Dossier befasst, heisst es. Dabei kamen laut gut informierten Quellen vier Szenarien zur Sprache, wie im Krisenfall mit der Credit Suisse zu verfahren wäre:
Recherchen zeigen nun, was aus Sicht des Bundes gegen die staatliche Übernahme sprach: Die Behörden hätten sämtliche schwer abschätzbaren Risiken der CS übernehmen müssen. Garantien zur Sicherstellung der Liquidität in dreistelliger Milliardenhöhe hätte es trotzdem gebraucht, um das Vertrauen in die Bank wiederherzustellen.
Zudem bestanden Zweifel, dass der Staat eine global tätige Bank überhaupt führen kann und ein Ausstieg innert nützlicher Frist möglich wäre. Und schliesslich war seinerzeit die TBTF-Gesetzgebung geschaffen worden, um staatliche Rettungsaktionen möglichst zu vermeiden.
Die zweite Variante, die Sanierung der CS mit einem Bail-in, bei dem die Gläubiger zwangsweise an der Bank beteiligt werden, hätte nach Einschätzung des Bundes die Gefahr einer internationalen Bankenkrise nicht gebannt: Trotz dieser Radikalkur wäre das Vertrauen in die CS nicht zurückgekehrt. Zudem wären auch hier Garantien nötig geworden und teure Rechtshändel mit unzufriedenen Aktionären so gut wie sicher.
Noch deutlicher verworfen wurde die Variante eines Konkurses mit einem Notfallplan, bei dem das Schweizer Geschäft abgetrennt und in einer neuen Einheit weitergeführt würde. Auch das eine Möglichkeit gemäss TBTF. Nicht nur Aktionäre und Kapitalgeber hätten Verluste erlitten, sondern auch zahlreiche Kunden, so schätzten es die Experten in Bern ein: Der Ruf des auf Vermögensverwaltung spezialisierten Finanzplatzes, bekannt für seine Stabilität, hätte dramatischen Schaden erlitten. Ein Bank-Run auf die neue Schweizer Einheit wäre wahrscheinlich.
Schon vor der Eskalation der Krise letzte Woche ist folglich klar, dass die Finanzministerin und das «Lenkungsgremium Finanzkrisen» die Übernahme der CS durch eine andere Bank als beste Lösung sehen.
Keller-Sutter, Jordan und Amstad haben also einen Plan, als sie an jenem Mittwochnachmittag von Bern in Richtung Zürich aufbrechen. Sie treffen bei der UBS Colm Kelleher. Dessen Pendant bei der CS, Axel Lehmann, weilt derweil in Saudi-Arabien. Dort belehrt er an einer Podiumsdiskussion Politiker und erklärt zweimal, Staatshilfe sei für seine Bank kein Thema. In Bern verlautet aus mehreren Quellen, die Verantwortlichen der Credit Suisse hätten die existenzielle Bedrohung bis zuletzt nicht wahrhaben wollen.
Keller-Sutter fällt die Rolle zu, dem Megadeal politisch das Terrain zu bereiten. Sie beruft noch am Mittwochabend mit Bundespräsident Alain Berset eine ausserordentliche Bundesratssitzung für Donnerstag ein. Zudem startet sie einen Telefonmarathon mit Finanzministern.
Die Gespräche mit der Amerikanerin Janet Yellen und dem Briten Jeremy Hunt - es sind mehrere in den darauffolgenden Tagen - wird sie am Sonntag an der Pressekonferenz ausdrücklich erwähnen. Kontakte gibt es auch zum deutschen Kollegen Christian Lindner und der französischen Regierung.
Die Darstellung, dass der Bund erst auf Druck aus Washington und London gehandelt habe, wird in Bern vehement bestritten. Dass die Lage der CS dramatisch war, sei ja nicht zu übersehen gewesen. Man sei selber mindestens so besorgt gewesen wie Yellen und Hunt. Viel wichtiger als solche Geplänkel: Keller-Sutter spurt in ihren Gesprächen vor, dass die Übernahme der CS durch die UBS auch von den Regulierungsbehörden in den anderen Ländern akzeptiert wird. Das gelingt innert Stunden.
Während sich in Zürich die UBS-Banker in die Bücher der CS vertiefen, um versteckte Risiken ausfindig zu machen, sorgt man in Bern dafür, Zeit zu gewinnen. Der Bundesrat tagt am Donnerstagabend in geheimer Sitzung, spricht zuhanden der SNB eine Ausfallgarantie von 100 Milliarden. Einziges Ziel: Die Bank muss es bis ins Wochenende schaffen. Dann sind für zwei Tage die Börsen geschlossen - und eine Lösung muss stehen, bis Sonntagnacht die ersten Aktienmärkte in Asien öffnen. Sonst, das ist den Beteiligten klar, bricht die CS am Montag zusammen.
Es folgen am Freitag, Samstag und Sonntag weitere Bundesratssitzungen. Kommuniziert wird nichts. Auch die Bankenvertreter schweigen. Die Öffentlichkeit erfährt trotzdem das Wichtigste - angelsächsische Medien, vor allem die «Financial Times» und die Nachrichtenagentur Bloomberg berichten im Stundentakt, als wären die Räume verwanzt. Man nimmt an, dass die Berater der Banken und ausländische Regulatoren, die laufend über die Verhandlungen informiert wurden, geleakt haben.
Störmanöver gibt es trotzdem kaum. Das Drehbuch der «Dreifaltigkeit», wie die «Financial Times» den Bundesrat, die Nationalbank und die Finma nannte, wird Kapitel um Kapital abgedreht. Andere potenzielle Käufer spielen höchstens eine Nebenrolle. So tauchen Vertreter von BlackRock, der riesigen US-Investmentgesellschaft, in Zürich auf. Doch ein konkretes Angebot legen sie nicht auf den Tisch. «Auch wenn wir das gerne gesehen hätten», wie es in Bern heisst.
Es hätte die Position der UBS in den Verhandlungen geschwächt, doch so ist sie stets am längeren Hebel. Beim Kaufpreis, bei den staatlichen Garantien, bei den Auflagen, die es in keiner Weise gab: Überall hat sie sich durchgesetzt.
Für die CS ist es ein demütigendes Schauspiel. Sie ergreift bis zuletzt jeden Strohhalm, um die Übernahme durch die UBS zum Spottpreis abzuwenden. Gemäss Recherchen weist sie am Samstag darauf hin, dass Investoren aus Saudi-Arabien und Katar 5 Milliarden bieten würden für eine Übernahme. Allerdings, und das war der Haken, hätten sie die CS dann filetiert. Die CS hätte auch eine Übernahme durch die Nationalbank lieber gesehen als eine durch die UBS.
Keller-Sutter, Amstad und Jordan wollten von Anfang an die Übernahme durch die UBS, und so kommt es. CS-Präsident Axel Lehmann verliert auf der ganzen Linie. Er beginnt sein Statement an der Pressekonferenz mit den Worten. «Es ist ein historischer und trauriger Tag für die Credit Suisse und für die Schweiz.» (aargauerzeitung.ch)
Sorry, liebe Journalisten, die Kosten von Liquiditätshilfen entspricht nicht einfach der Höhe der Fazilität. Wenn man schon den Vorwurf von Falschinformation erhebt, dann sollte man auch bei sich selbst anfangen und der Leserschaft den Unterschied zwischen direkter Staatshilfe, Garantien und Fazilitäten (teils gesichert und stets mit mehrprozentigem Zins) erklären.
Oder würden Sie behaupten, dass Ihre Hausbank Ihnen 1 Million geschenkt hat nur weil Sie dort eine Hypothek in der Höhe von 1 Million haben könnten? 🤔