Technik sollte uns smarter machen. Viele fühlen
sich jedoch wegen ihr immer dümmer. Was läuft da falsch?
Amber Case: Wir brauchen nicht
eine smartere Technik, wir brauchen
smartere Menschen. Technik ist traditionellerweise eine Erweiterung der
menschlichen Möglichkeiten. Der Hammer ist eine Erweiterung unserer Faust, das
Messer unserer Zähne, etc. Seit der Erfindung des Buchdruckes haben wir
begonnen, auch unser Wissen auszulagern. Albert Einstein sagte einst, er müsse
seine Telefonnummer nicht auswendig kennen, dafür gebe es das Telefonbuch.
Im digitalen Zeitalter lagern wir immer mehr
Wissen aus. Ohne Smartphone sind wir hilflos geworden.
Menschen sind immer
von Technik abhängig gewesen. Ohne Feuer hätten wir nicht kochen können.
Technik hat sich mit dem Menschen entwickelt, aber die Normen haben sich
verändert. Heute besteht die Gefahr, dass die Technik unsere Leben bestimmt.
Sie strukturiert unsere Zeit: Das Meeting startet um neun, die Kinder müssen um
fünf abgeholt werden, etc. Dabei sollten wir viel mehr unstrukturierte Zeit
haben, Zeit, in der wir nachdenken oder die wir mit der Familie verbringen können.
So lautet das Versprechen der Technik.
Aber das Gegenteil
passiert. Facebook und andere soziale Medien und Unternehmen wollen uns dazu
verführen, möglichst viel Zeit bei ihnen zu verbringen.
Unser Tag hat jedoch immer noch 24 Stunden.
Irgendwann geht die Rechnung nicht mehr auf.
Es gibt einen immer
intensiveren Wettbewerb um unsere Aufmerksamkeit. Dagegen müssen wir uns
wehren, beispielsweise damit, dass wir unser Smartphone so einrichten, dass wir
nur diejenigen Botschaften empfangen, die wir auch wollen, und sagen: Ich will
meine Zeit zurück. Wir sollten aufhören, Datenspezialisten wie Halbgötter zu
behandeln. Stattdessen sollten wir von ihnen verlangen, dass sie sich auch für
Laien verständlich ausdrücken. Auch sollten wir die Grenzen der Automation
respektieren. Oft ist Automation nur lästig, beispielsweise wenn Sie die
Parkgarage nicht verlassen können, weil das Ticket verbogen ist und Sie die
Aufsicht zu Hilfe rufen müssen.
Die Digitalisierung wird die Automatisierung
weiter beschleunigen.
Wir nähern uns hier
einem Sättigungsgrad, und wir können auch Gegenreaktionen feststellen. Analoge
Dinge werden wieder populär, Vinyl-Schallplatten beispielsweise, oder
qualitativ hochstehende Möbel aus Holz. Menschen sehnen sich nach realen Dingen
und Erfahrungen. Sie wollen einander wieder persönlich gegenüberstehen.
Dummerweise werden in einer zunehmend
digitalisierten Welt die analogen Erfahrungen für den Mittelstand unbezahlbar.
Es gibt einen Rocksong
mit dem Text: «Ich habe die Zukunft gesehen – und ich kann sie mir nicht
leisten.» Ich mache mir tatsächlich Sorgen, dass die Digitalisierung die
Ungleichheit noch weiter anwachsen lässt.
Woran denken Sie konkret?
An Bandbreite: Das
Internet der Dinge, selbstgelenkte Autos etc. werden den Kampf um Bandbreite
massiv verschärfen. Wenn die Menschen sich in einem selbstgelenkten Auto ein
Video streamen lassen, dann wird das für Netflix sehr teuer werden.
Gibt es keine Möglichkeit, die analoge und die
digitale Welt so miteinander zu verbinden, dass auch gewöhnliche Menschen sich
das leisten können?
Solange die
Unternehmen gezwungen sind, ihre Profite zu maximieren, wird es schwierig sein.
Wer wird eine billigere Cloud zur Verfügung stellen, als dies etwa Amazon
derzeit tut? Derzeit haben wir immer noch so viele billige Ressourcen, dass wir
damit verschwenderisch umgehen können.
Das Internet der Dinge wird es Hackern
erlauben, über alltägliche Dinge wie die Strassenbeleuchtung in unsere
Sicherheitssysteme einzudringen.
Deshalb müssen wir
umdenken. Wir brauchen dezentrale Versorgungsketten und wir müssen mehr rezyklieren
und uns an der Natur orientieren. Unternehmen sollten nicht in existenzielle
Gefahr geraten, nur weil sie gehackt werden. Das ist heute jedoch oft der Fall,
weil sie so aufgebaut sind, dass alles zusammenbricht, wenn ein Teil ausfällt.
Was wäre die Alternative?
Unternehmen sollten
wie Zwiebeln aufgebaut sein, mit verschiedenen Schichten. Sie sollten Daten untereinander
austauschen und sie sollten transparent sein.
Dann reden wir jedoch von einer radikal anderen
Wirtschaftsordnung.
Das müssen wir auch.
Wir haben ja auch die Industrialisierung mit der Zentralisierung der Ressourcen
überstanden. Jetzt müssen wir das Gegenteil organisieren, eine
Dezentralisierung.
Kann das in kleinen Schritten erreicht werden
oder braucht es dazu einen gewaltigen Schock?
Es wird passieren, was
passieren wird – aber es muss passieren. Die derzeitige Entwicklung kann nicht
mehr so weitergehen. Wir leben zunehmend in einer Pseudo-Realität. Die Menschen
aus dem Silicon Valley reisen heute nach Südamerika, um das wahre Leben zu finden,
um wieder so etwas wie menschliche Gefühle zu erleben. Niemand will sich mit
Soylent Green ernähren (einer Art Kunstfood, Anm. d. Red.). Wir sind nicht Roboter.
Aber wir sind immer häufiger von Robotern und
Computern umgeben.
Wenn wir mit ihnen
zusammenarbeiten, ist das okay. Aber die Vorstellung, sich auf einen
Computer zu laden und virtuell weiterzuleben, ist absurd. Zudem gäbe es viel
zu wenig Bandbreite, wollten sich alle Menschen auf einen Laptop laden.
Und was ist mit der Superintelligenz, die wir
dank der künstlichen Intelligenz erreichen sollen?
Die haben wir bereits.
Computer besiegen Menschen im Schach und im Go. Das bedeutet jedoch nicht, dass
es sinnvoll ist, dass sie auch Musik komponieren.
Tun sie aber.
Warum wollen wir das?
Warum soll ich ein Konzert besuchen, in dem Computer musizieren? Wir müssen nicht alles
digitalisieren. Wir haben auch immer noch Bargeld, obwohl es mittlerweile
Bitcoins und andere Kryptowährungen gibt. Wir brauchen nicht mehr Virtualität,
wir brauchen wieder mehr Sinn.
Sie plädieren für eine ruhige Technologie. Müssen
wir natürlicher werden, wenn wir von der Technik profitieren wollen?
Wir brauchen eine
dezentralisierte Wirtschaft, welche die Ressourcen schont, und wir sollten die
spezifischen Eigenheiten von Regionen und Ländern bewahren. Im Weinbau werden
heute beispielsweise Techniken wieder verwendet, die mehr als 1000 Jahre alt
sind, um zu verhindern, dass alle Weine gleich schmecken. Vergessen wir nicht: Wir
sind Menschen, wir müssen Nahrung essen und Wasser trinken, wir müssen an einem
Ort wohnen.
Gibt es eine Grenze der Automatisierung?
Wenn wir alles
automatisieren und super effizient machen wollen, dann haben wir am Schluss
verängstigte und deprimierte Menschen. Ineffizienz kann gelegentlich sehr
lustvoll sein. Warum erhalten wir uns also nicht die eine oder andere
Herausforderung und Unsicherheit? Lasst uns nicht vergessen, was es bedeutet,
ein Mensch zu sein – und lasst uns mehr Zeit als Mensch verbringen.