Auf dem Heimflug von Helsinki wurde die Stimmung in der Air Force One immer schlechter. Der Präsident verfolgte die Berichterstattung der amerikanischen TV-Sender. Was er sah, gefiel ihm überhaupt nicht. Selbst sein Lieblingssender Fox News ging auf Distanz. Trump machte darauf das, was er immer tut: Er schnauzte seine Mitarbeiter an und jammerte über die Fake News in den Medien.
Zwei Tage später sieht die Lage noch viel schlimmer aus. George F. Will, der wohl prominenteste konservative Kommentator der USA, bezeichnet in seiner Kolumne in der «Washington Post» Trump als ein «peinliches Wrack von einem Mann».
Der ehemalige CIA-Direktor John Brennan spricht in einem Tweet von «Landesverrat», und der ehemalige FBI-Direktor James Comey fordert seine Landsleute auf, im kommenden November die Demokraten zu wählen. Der aktuelle Director of National Intelligence Dan Coats erklärt, alle Warnlampen würden leuchten und weitere Cyberattacken der Russen voraussagen.
Nicht nur in der nationalen und vermeintlich linksliberalen Presse wird der Präsident heftig kritisiert. Auch die konservativen Provinzblätter lassen keinen guten Faden an seinem Auftritt in Helsinki. So lautet etwa die Schlagzeile des «The Canton Repository» schlicht: «Verräterisch!»
Vor dem Weissen Haus wird derweil protestiert. Für den heutigen Abend sind in 60 Städten Kundgebungen angesagt. In Kommentaren und im Kongress werden konkrete Massnahmen gefordert wie Hearings, weitere Sanktionen gegen Russland und Gesetze zum Schutze des Sonderermittlers Robert Mueller.
In Trumps engerem Umfeld herrscht Frustration. Stabschef John Kelly soll gemäss «New York Times» verschiedene Personen aufgefordert haben, den Präsidenten zu einer Entschuldigung zu bewegen. Die lächerliche Posse mit «Ich-habe-es-gar-nicht-so-gemeint»-Auftritt erfolgte daraufhin. Gerade die so genannten Erwachsenen im Westflügel des Weissen Hauses müssen sich jedoch ernsthaft fragen, wie lange sie dieses Schmierentheater noch mitmachen wollen.
Selbst in der moralisch korrupten Grand Old Party regt sich Widerstand. Die Republikaner stecken in der Zwickmühle: Wollen sie den Präsidenten kritisieren und damit riskieren, im November abgewählt zu werden? Oder wollen sie endlich Rückgrat beweisen?
«Der Damm ist gebrochen», sagt Senator Bob Corker in der «New York Times». «Wir müssen einen Ausweg finden, denn der Präsident ist in der Lage, in 15 Minuten die Arbeit von einem Jahr zunichte zu machen.» Corker wird im kommenden Herbst nicht mehr antreten.
Mit seinem desolaten Auftritt hat sich Trump jedoch selbst am meisten geschadet. Seine offensichtliche Schwäche gegenüber Wladimir Putin hat die alten Geister wieder auf den Plan gerufen: Was haben die Russen gegen ihn in der Hand? Gibt es die legendären «Pipi-Tapes» tatsächlich? Weigert er sich, seine Steuererklärung offenzulegen, weil er krumme Geschäfte mit Russen gemacht hat?
Dazu kommt, dass auch Fragen nach seiner mentalen Fitness wieder gestellt werden. So kommentiert die «Financial Times»: «Das wirre Gerede des Präsidenten und seine selbstgefälligen Bemerkungen werfen Fragen nach seiner geistigen Gesundheit auf. Der Gegensatz zum kontrollierten, polierten (und erschreckend zynischen) Auftritt von Mr. Putin war schmerzhaft anzusehen.»
Es kommt noch mehr Ungemach auf den Präsidenten zu. Am Wochenende wurde eine 29-jährige russische Studentin namens Maria Butina – sie wird gelegentlich auch Mariia buchstabiert — verhaftet. Sie sitzt in Untersuchungshaft und muss morgen vor dem Richter erscheinen. Ihr wird Verschwörung gegen die USA vorgeworfen, und dass sie es unterlassen hat, sich als ausländische Agentin anzumelden.
Butina hat mit einem gewissen Alexander Torshin zusammengearbeitet, einem einst hohen russischen Beamten und Politiker. Torshin soll Kontakt zur russischen Mafia und zu Putin unterhalten. Butina und Torshin sind Waffennarren und Trump-Fans. Sie waren gern gesehene Gäste an Veranstaltungen der National Rifle Association, der wahrscheinlich mächtigsten Politlobby in den Vereinigten Staaten. Haben sie dort mit dem Trump-Team kooperiert?
In den nächsten Tagen beginnt auch der Prozess gegen Paul Manafort, Trumps ehemaligen Wahlkampf-Manager. Er hatte beste Kontakte zu Putin nahestehenden Oligarchen und war Berater von Wiktor Janukowytsch, dem geflüchteten Präsidenten der Ukraine.
Immer noch rätselhaft ist die Frage, weshalb Trump ausgerechnet Manafort als Wahlkampfmanager eingesetzt hat. Der Mann war mehr als ein Jahrzehnt nicht mehr in der amerikanischen Politszene tätig gewesen. Hatte auch hier Putin die Hand im Spiel?
Schliesslich ist immer noch unklar, wie es mit Trumps «Fixer» Michael Cohen weitergehen wird. Das Gericht hat weitere Dokumente den Untersuchungsbehörden übergeben. Sie waren im April bei einer Hausdurchsuchung durch FBI-Beamte beschlagnahmt worden. Sollte Cohen auspacken – was allgemein erwartet wird –, könnte das für Trump sehr ärgerlich werden.
«Wenn du in ein Loch gefallen bist, hör auf zu graben», lautet ein bekanntes amerikanisches Bonmot. Trump wird sich nicht daran halten. Seine Devise lautet: «Schlag zurück, und zwar sofort und hart.» Deshalb ist in den nächsten Tagen mit einem präsidialen Twitter-Gewitter zu rechnen.
Trump wird nach Sündenböcken für das Helsinki-Desaster suchen, er wird die Attacken auf den Sonderermittler verstärken und über eine «Hexenjagd» jammern. Auf jeden Fall wird er alles unternehmen, um zu verhindern, dass am nächsten Wochenende erneut die Pressekonferenz mit Putin das dominierende Thema in den TV-Talkshows sein wird.
Doch diesmal könnte ihm dies nicht gelingen. Zum ersten Mal wirkt Trump angeschlagen.