Vor rund einem Jahr trafen sich der russische und der amerikanische Präsident zum ersten Mal. Die Russen hätten sich in keiner Weise in den US-Wahlkampf eingemischt, versicherte damals Wladimir Putin Donald Trump. «Wenn wir es getan hätten, wären wir nie erwischt worden», prahlte Putin weiter, «denn wir sind Profis.»
Diesen Spruch kann sich Putin beim Treffen in Helsinki abschminken. Am vergangenen Freitag hat Sonderermittler Robert Mueller eine 29 Seiten umfassende Anklageschrift gegen zwölf Mitglieder des russischen Militärgeheimdienstes GRU veröffentlicht. In elf Punkten wird minutiös aufgelistet, wie sie dabei vorgegangen sind.
Dabei werden die Namen der russischen Agenten genannt, die einzelnen Daten, an denen die Hackerangriffe stattgefunden haben, welche Agenten wofür zuständig waren, welche Software sie benutzt und wie sie ihre Informanten mit Bitcoins bezahlt haben.
Dass die Russen in den US-Wahlkampf eingegriffen haben, ist längst ein offenes Geheimnis. Putin hat dies jedoch stets bestritten, und Trump hat ihm geglaubt. Das ist nicht mehr möglich. Vor seiner Abreise nach Europa wurde der US-Präsident vom stellvertretenden Justizminister Rod Rosenstein ausführlich über die Anklage des Sonderermittlers informiert.
Mueller geht bei seinen Ermittlungen vor, wie es das FBI-Regelbuch vorschreibt: systematisch und hartnäckig. Zuerst hat er die kleinen Fische gefangen und benutzt sie jetzt als Köder für die grossen.
Der ehemalige Sicherheitsberater Michael Flynn, der aussenpolitische Berater George Papadapoulos und Rick Gates, die damalige Nummer 2 des zeitweiligen Wahlkampfmanager Paul Manafort, sind ihm bereits ins Netz gegangen. Sie haben sich für schuldig erklärt und packen aus. Manafort selbst ist ebenfalls angeklagt und wartet in einem Gefängnis auf seinen Prozess.
Bereits ist es Mueller gelungen nachzuweisen, wie die Russen die sozialen Medien missbraucht haben, um den US-Wahlkampf zu manipulieren. Im Februar hat er deswegen 13 Russen angeklagt, darunter auch den Oligarchen und Putins «Chefkoch» Jewgeni Prigoschin.
Mit den Anklagen gegen die zwölf GRU-Agenten hat Mueller nun die zweite Runde eingeläutet. Er hat aufgezeigt, dass Putins Männer eben doch nicht so professionell vorgegangen sind, wie ihr Boss das geglaubt hat. Die letzte und wohl entscheidende Runde fehlt noch: Haben US-Bürger mit den Russen kooperiert oder nicht?
Der stellvertretende Justizminister Rosenstein hat zwar erklärt, bisher gebe es dafür keine Beweise, aber es gibt in Muellers Anklageschrift zumindest Hinweise. An den Talkshows der US-Kabelsenders haben deshalb verschiedene Experten erklärt, es sei bloss eine Frage der Zeit, bis Mueller auch diese Anklage erheben werde.
In Muellers Fadenkreuz steht dabei Roger Stone. Der ehemalige Berater von Trump und einstige Geschäftspartner von Manafort hatte zwar keine offizielle Funktion im Wahlkampfteam. Er rühmt sich jedoch, nach wie vor engen Kontakt zu Trump zu haben, ist immer wieder als dessen Verteidiger am TV erschienen und hat auch ein Buch über den Wahlkampf veröffentlicht.
Stone hatte nachweislich Kontakt zu «Guccifer 2.0». So heisst die Webseite, welche die GRU-Agenten benutzt haben, um die gehackten E-Mails zu verbreiten. Am 15. Juni 2016 trat Guccifer 2.0 erstmals in Aktion. Er werde bald ein paar von mehreren tausend Dokumenten veröffentlichen, die er von den Demokraten gehackt habe, kündigte Guccifer 2.0 an. Weniger später löste er dieses Versprechen ein.
Mitte August 2016 trat Stone auf den Plan. Was Guccifer 2.0 bisher geliefert habe, sei nicht wirklich aufregend gewesen, monierte er. Daraufhin meldet sich der geheimnisvolle Agent zurück. «Vielen Dank, dass du geantwortet hast. Findest du irgend etwas interessant in dem, was ich gepostet habe?». Und wenig später schrieb er an Stone: «Bitte sag mir, wie ich Euch helfen kann. Es wäre mir ein Vergnügen.»
Nicht nur Stone ist in direktem Kontakt zu Guccifer 2.0 gestanden. Ohne Namen zu nennen spricht Mueller in seiner Anklageschrift auch von einem Abgeordneten in Florida, der von den Russen mit Informationen bedient worden sei.
Our relationship with Russia has NEVER been worse thanks to many years of U.S. foolishness and stupidity and now, the Rigged Witch Hunt!
— Donald J. Trump (@realDonaldTrump) 16. Juli 2018
Nach wie vor verschliesst Trump die Augen vor dieser Realität. Vor seiner Weiterreise von London nach Helsinki wiederholte er einmal mehr, Muellers Untersuchung sei eine «Hexenjagd».
Doch langsam wird es eng für ihn. In der Watergate-Affäre sprach Senator Howard Baker damals die legendäre Frage aus: «Was wusste der Präsident – und wann wusste er es?» Gut möglich, dass sich bald auch Trump dieser Frage stellen muss.