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Interview: Campari-Chef über Cocktail-Boom, Trends und Wachstumspläne

Mixt seit 2007 die Geschicke von Campari: Robert Kunze-Concewitz.
Mixt seit 2007 die Geschicke von Campari: Robert Kunze-Concewitz.Bild: zvg

Campari-Chef: «Jeder mit einer Badewanne kann Gin produzieren»

Campari-Konzernchef Robert Kunze-Concewitz erklärt, wieso Aperol die Skipisten erobert, Negroni zum Weltnummer-1-Drink wurde und was das letztlich alles mit «Sex and the City» zu tun hat.
31.12.2023, 05:3831.12.2023, 05:38
Florence Vuichard / ch media
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Beim Eingang der edlen Galleria Vittorio Emanuele II, gleich neben dem Mailänder Dom, ist die Bar «Camparino», ursprünglich 1915 eröffnet von Davide Campari, Namensgeber für das heute sechstgrösste Spirituosenunternehmen der Welt und Sohn jenes Mannes, der das Rezept für ikonischen roten Bitter erfunden hat. Im «Camparino» wird der Aperitivo nicht nur angeboten, sondern gefeiert.

Gelenkt jedoch werden die Geschicke der Campari-Gruppe gut zehn Kilometer nördlich im Mailänder Vorort Sesto San Giovanni. Hier in der alten, vom Schweizer Architekten Mario Botta umgebauten Destillerie wird in einem Museum der Geschichte des Getränks und des Unternehmens gedacht. Und hier hat Konzernchef Robert Kunze-Concewitz sein Büro. Er wacht mittlerweile über mehr als 50 Marken - wobei eine besonders heraussticht: Aperol ist mittlerweile das umsatzstärkste Getränk im Unternehmen. «Das Wachstum ist phänomenal», sagt Kunze-Concewitz.

Haben Sie als Verwalter des Campari-Erbes keine Angst, dass plötzlich das Campari-Rot dem Aperol-Orange weichen muss?
Robert Kunze-Concewitz: Wir haben Aperol 2003 ursprünglich eher als einen Akt der Selbstverteidigung aufgekauft.

Wieso?
Wir sahen, wie die Marke plötzlich im Nordwesten von Italien zu wachsen anfing, und wir wollten verhindern, dass Aperol plötzlich in die Hände eines Konkurrenten fällt. Und zu Beginn lautete die Devise hier im Haus: Nie Aperol in Mailand vermarkten, denn Mailand sollte das Hoheitsgebiet von Campari bleiben. Aber dann haben wir realisiert, dass Aperol Campari keine Kunden wegnimmt. Aperol ist eine Alternative zu Bier, Wein und Schaumwein.

Vor allem im Sommer.
Aber nicht nur. Die Menschen trinken auch das ganze Jahr über Bier. Weshalb sollten sie nicht das ganze Jahr über Aperol Spritz trinken. Unser Marketingteam war skeptisch, aber dann starteten wir mit bewussten Platzierungen in Skidestinationen. Und das hat funktioniert. Wir haben damit die Marke entsaisonalisiert. Aber das war nicht genug, schliesslich konsumieren Leute Bier nicht nur beim Aperitif und im Ausgang, sondern auch wenn sie essen.

Aperol Spritz zu Spaghetti? Klingt nicht sehr verlockend.
Wieso nicht! Wir sind noch nicht so weit, aber wir arbeiten dran. Der Erfolg von Aperol hat sich nicht über Nacht eingestellt, wir haben 20 Jahre daran gearbeitet. Als Erstes haben wir das Glas ausgetauscht und den Drink in ein grosses Weinglas getan, bei welchem die Farbe besser zur Geltung kommt. Wir haben dem Drink so mehr Glamour verpasst. Den Preis haben wir bewusst festgelegt, etwas höher als Premium-Bier, etwas günstiger als ein Cocktail. Dann haben wir den Drink vom Norden Italiens Bar um Bar südwärts gebracht. Und heute trinkt ganz Italien Aperol Spritz.

Gibt es regionale Unterschiede, oder trinkt die ganze Welt dasselbe?
In der Spirituosenwelt werden Trends in der Regel in den USA geboren, und zwar in San Francisco oder in New York. Von dort aus expandiert der Trend übers ganze Land. Dann schwappt er rüber nach London, von dort nach Kontinentaleuropa - und am Schluss geht es weiter Richtung Asien und Afrika. Das ist der normale Verlauf. Die einzige Ausnahme ist der Aperol Spritz, der sich wie gesagt von Norditalien aus zuerst in Europa und dann weltweit durchsetzte.

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Eine Alternative zu Bier: Aperol.Bild: aperol.com

Dann reisen Sie also oft nach San Francisco, um herauszufinden, was der nächste Trend-Drink ist?
Immer wieder! Und es lohnt sich, wie das Beispiel Negroni zeigt. Dieses Jahr ist der Negroni weltweit der unbestrittene Nummer-1-Cocktail - zum zweiten Mal in Folge. Und wir haben viel dazu beigetragen.

Inwiefern?
Über Jahre hinweg wollten wir Campari stärker in den USA vermarkten, haben es aber nicht geschafft. Die Wachstumsraten waren während rund 100 Jahren so flach wie ein Pfannkuchen, die Volumen blieben immer gleich. Dann meldet sich eines Tages unser US-Chef vor Ort und erzählt uns, dass sich die Leute Campari zu Negroni mixen. Wir waren etwas erstaunt, Negroni war dannzumal alles andere als ein heisser Cocktail. Doch wir haben schnell verstanden warum: Für die Amerikaner war Campari einfach zu bitter, doch der Vermouth macht den Geschmack runder. Und der Gin macht den Drink stärker. Denn wenn man schon so viel zahlt für einen Drink, will man auch ein bisschen Kraft. Für uns war das ein Aha-Moment! Von da an haben wir den Campari mit Negroni beworben.

Was ist denn der nächste Cocktail-Hit?
Wir sehen neue Trends in den unterschiedlichsten Spirituosen-Kategorien: Bourbon etwa war lange ein etwas verstaubtes Getränk für ältere Männer. Plötzlich realisierten wir, dass Barkeeper Bourbon einsetzten. Wir sind deshalb sehr schnell eingestiegen mit unserer Marke Wild Turkey. Derzeit sehen wir auch ein Wachstum bei den Amari, bei den speziellen Bittern wie zum Beispiel Braulio. Das ist zurzeit der Liebling der Barmixer in Brooklyn. Und dann ist da noch Tequila.

Tequila? Ist das nicht einfach mexikanischer Touristenschick?
Das war mal so, das stimmt. Wir wollten aber etwas anderes schaffen. Mit Espolòn haben wir nun eine der am schnellsten wachsenden Tequila-Marken weltweit. Diese Marke wächst Jahr für Jahr um 40 bis sogar 50 Prozent. Es könnten sogar mehr sein, aber uns fehlen die Produktionskapazitäten. Nun haben wir unsere Destillerie in Mexiko massiv ausgebaut. Espolòn gibt es übrigens auch in vielen Schweizer Bars.

Dort gibt es zurzeit vor allem viele Gins.
Beim Gin haben wir einen Exzess an Innovation. In jedem Laden und in jeder Bar gibt es Dutzende von Gins. Das Gin-Regal gleicht einem Wein-Regal. Das ist für die Kundschaft ziemlich verwirrend. Hinzu kommen all die parfümierten Gins, auch hier wurde masslos übertrieben. Jeder mit einer Badewanne kann Gin produzieren. Das ist bei anderen Spirituosen wie etwa Tequila nicht so, da gibt es Einstiegshürden, hierfür braucht es eine Destillerie und Zugang zu Agaven.

Aber diese Cocktail-Kultur ist noch nicht so alt, oder?
Gestartet ist sie vor rund 15 Jahren, mit der Fernsehserie «Sex and the City», wo die Protagonisten Cosmopolitans tranken. Dann folgte «Mad Men», ebenfalls eine Serie mit grosser Cocktail-Kultur. Cocktails sind mittlerweile Teil der Filmwelt und gewinnen Marktanteile auf Kosten von Bier und Wein. In den USA trinken die Menschen in Restaurants Cocktails zum Nachtessen. Ich mache das in der Regel auch so.

Es gibt aber auch andere Trends: zu mehr Gesundheit, weniger Zucker, weniger Alkohol. Fürchten Sie um Ihr Geschäft?
Nein. Es ist letztlich eine Frage von verantwortungsbewusstem Trinken. Wir unterstützen den mediterranen Lebensstil, sprich Cocktails trinken mit Essen. Wir versuchen unsere Kundschaft und das Barpersonal zu bilden.

Es gibt mittlerweile Bier, Prosecco und auch Wein ohne Alkohol. Bald auch Campari?
Das klingt zwar alles gut, aber man muss ehrlich sein: Das Einzige, was wirklich erfolgreich ist, ist das alkoholfreie Bier. Es ist ein Fehler, eine bestehende Marke zu nehmen und eine alkoholfreie Variante anzubieten. Wir weigern uns, das zu machen. Es wird nie einen 0.0%-Campari geben. Wir haben Crodino. Das ist die grösste alkoholfreie Spirituosen-Marke in der Welt - und es war unsere erste Übernahme überhaupt.

Sie führen die Campari-Gruppe seit rund 18 Jahren. Wie hat sich die Firma in dieser Zeit verändert?
Es ist eine vollständig transformierte Firma. Sie ist heute dreimal so gross, die Marktkapitalisierung hat sich versechsfacht. Und das Markenportfolio hat sich komplett geändert. Damals waren wir auf Italien zentriert und hatten eine Vodka-Marke in den USA. Heute haben wir über 50 Marken. Wir haben 23 Produktionsstätten in 23 Ländern. Das Management war italienisch, jetzt sind wir sehr kosmopolitisch aufgestellt.

Wird Campari weitere Marken aufkaufen?
Wir werden ganz sicher weitere Übernahmen tätigen, auch grössere Übernahmen. Unsere Industrie ist noch immer sehr fragmentiert. Die zehn grössten Firmen halten nur 20 Prozent des globalen Marktes – gemessen am Volumen. Gemessen am Umsatz sind es an die 30 Prozent. Bei Bier ist die Situation ganz anders: Dort halten die fünf grössten Konzerne rund 65 Prozent des globalen Marktes.

Haben Sie schon Übernahmekandidaten im Blick?
Unser Fokus liegt derzeit bei braunen, alten Spirituosen – bei Single Malt Whiskys, Burbon, Cognacs. Und bei Marken, die einen signifikanten Markt in den USA und Asien haben.

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Ein beliebter Cocktail für zu Hause: Gin Tonic.Bild: shutterstock

Weil Sie sich in Asien die höchsten Wachstumschancen ausrechnen?
Asien wird heute noch immer dominiert von lokalen asiatischen Spirituosen. Aber die Cocktail-Kultur ist dort jetzt definitiv am Abheben. Für uns ist es eine Schlacht, die wir gewinnen müssen. Ich war jüngst in China, wo wir nun ein «Memorandum of Understanding» unterschrieben haben für eine Zusammenarbeit.

Für ein Joint Venture?
Wie genau die Kooperation letztlich aussehen wird, ist noch offen. Wir bringen das Know-how zur Cocktail-Kultur und zu den gealterten, braunen Spirituosen mit ein, sie bringen das Wissen über China und über den chinesischen Schnaps Baiju. Das Resultat unserer ersten Kooperation ist der Wugroni. Das ist ein Negroni ohne Gin, dafür mit Baiju.

Über die Hälfte der Aktien von Campari gehört der Familie Garavoglia. Wie wichtig ist heute so ein Ankeraktionär?
Das ist fundamental. In unserem Geschäft braucht es viel Zeit, um eine Marke aufzubauen. Wir haben eine langfristig ausgelegte Strategie. Und auch in Krisen, als die Zeiten wirklich hart waren wie in der Finanzkrise oder in der darauffolgenden europäischen Schuldenkrise, spürten wir nie Druck, kurzfristige Kurskorrekturen vorzunehmen. Wir haben das Beste aus beiden Welten: Die Börsenkotierung zwingt uns zu Disziplin, die Ankeraktionäre geben uns Zeit.

Was war mit der Covid-Krise?
Die hat Campari stark getroffen. Wir machten damals rund 40 Prozent unseres weltweiten Umsatzes vor Ort, das heisst in Bars, Cafés, Restaurants und Hotels. Das ist auch im Branchenvergleich sehr hoch, unsere Konkurrenten kommen etwa auf einen Anteil von 20 Prozent. Und plötzlich war dieser Vor-Ort-Verkaufskanal zu. Wir mussten innert zweier Wochen unser Geschäftsmodell umstellen - mit Edutainment.

Das heisst?
Eine Mischung aus Education und Entertainment, aus Ausbildung und Unterhaltung. Wir mussten unsere Kunden darin ausbilden, ihre Lieblingsdrinks zu Hause selber zu mixen. Und die mentale Blockade zu überwinden.

Welche mentale Blockade denn?
Menschen mixen zu Hause eigentlich immer nur zwei Flüssigkeiten: Gin und Tonic, Vodka und Orangensaft. Ein Negroni hingegen besteht schon aus drei Komponenten, aber wir haben es ihnen nun beigebracht – mit dem schönen Nebeneffekt, dass wir nun auch die Cocktail-Kultur zu Hause nachhaltig gestärkt haben.

Jetzt bleiben die Leute mit ihrem Negroni zu Hause?
Nicht nur, sie trinken zu Hause Cocktails. Und sie kehren zurück in die Bars. Im Vergleich zur Vor-Covid-Zeit sind wir enorm gewachsen. Wir verzeichnen über die ganze Gruppe hinweg zwischen 2019 und 2022 ein Plus von 40 Prozent. Und der Trend hält an, auch wenn er sich etwas abgeschwächt hat. Wir sind das am schnellsten wachsende Unternehmen in unserer Branche. Wir nehmen der Konkurrenz Marktanteile weg.

Wie trinken Sie denn Ihren Campari am liebsten?
Das ist saisonabhängig. Im Herbst mag ich Negroni, im Winter eher einen Boulevardier. Und wenn es wärmer wird, trinke ich gerne einen Campari Seltz. Oder einen Campari Shakerato mit einem Tropfen Gin. (aargauerzeitung.ch)

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31 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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HugiHans
31.12.2023 09:26registriert Juli 2018
Danke Herr Robert Kunze-Concewitz. Ein so unverblümt offene Eingeständnis, dass getrunken wird was die Werbung vorgibt und uns generell vermittelt „wer nicht alkohoische Getränke konsumiert ist uncool“.
Und damit wohl Milliarden auf Kosten der Gesundheit von vielen Menschen verdient.
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