Der Frühling hat heute offiziell begonnen. Bei Temperaturen bis zu 19 Grad kann die Winterjacke weit hinten im Kleiderschrank verstaut und auf Kleid oder Rock zurückgegriffen werden.
Das leichtere Kleidungsstück schafft aber nicht nur bei höheren Temperaturen Abhilfe, es kann auch als Wirtschaftsindikator dienen. Wirtschafts- oder Konjunkturindikatoren sind Messgrössen, die Aussagen über die wirtschaftliche Entwicklung und die allgemeine Wirtschaftslage treffen. Sie dienen als Grundlage für Prognosen in der Ökonomie.
Tönt anspruchsvoll – und ist es auch. Das etwas trocken klingende Thema wird mit folgenden Indexen aber gleich spannender – und vor allem stylischer.
Je kürzer der Rock, desto besser die Wirtschaftslage. Diese skurrile These stellte der Ökonom George Taylor in den 1920er-Jahren auf. In wirtschaftlich guten Zeiten steigen die Feierlaune und der Optimismus, die Menschen sind risikofreudiger und die Röcke werden kürzer. In wirtschaftlich schlechten Zeiten hingegen geben lange Röcke vermutlich ein Gefühl von Sicherheit, die Menschen müssen eher sparen und die Röcke werden länger.
Der Zusammenhang von Rocklänge und Wirtschaftslage ist kein Zufall und wurde sogar von Wissenschaftlern bestätigt. Historische Beispiele zeigen, dass Frauen in den Goldenen Zwanzigern und während des Wirtschaftswunders in den 50er- und 60er-Jahren gerne kurze Röcke trugen.
Nach dem Crash 1929, mit Beginn des 2. Weltkriegs, den Krisen in den 70ern und mit der Rezession in den 90er-Jahren wurden die Röcke wieder länger. Nachdem Anfang der 2000er der Mikro-Minirock Trend war, zeigte auch die Finanzkrise 2008 ihre Wirkung bei der Rocklänge. Und während in der Corona-Pandemie der Rock durch die Jogginghose ausgetauscht wurde, sah man ab 2022 mit dem Mikro-Minirock wieder optimistischer in die Zukunft.
Wichtig ist, zu betonen, dass die Reaktion der Mode sich um etwa drei Jahre verzögert. Der Minirock-Index, auch bekannt als Hemline-Barometer, ist in der Fachwelt zudem nicht offiziell als Konjunkturindikator anerkannt.
Im Gegensatz zum Minirock-Index funktioniert der Lippenstift-Index umgekehrt: Je schlechter die Wirtschaftslage, desto höher der Absatz von Lippenstiften. Dies stellte Leonard Lauder, ehemaliger Geschäftsführer vom Kosmetikunternehmen Estée Lauder, während der Rezession 2001 und nach 9/11 fest. Der Kauf von günstigen Kosmetika dient laut ihm in wirtschaftlich schlechten Zeiten als Ersatz für den Kauf teurerer Produkte wie Kleidung oder Schuhe.
Der Lippenstift-Absatz als Indikator wurde aber bezweifelt, da es sich beim Unternehmen Estée Lauder um nur ein Beispiel handelte und andere Kosmetikunternehmen bei der Theorie nicht berücksichtigt wurden.
Historisch gesehen wurde der Lippenstift durchaus auch in Krisenzeiten getragen und erhielt in solchen einen Boom. Die Suffragetten, britische Frauenrechtlerinnen, verwendeten Lippenstift als Erkennungszeichen – in Anlehnung an Zeiten der Französischen Revolution, als die geschminkte Frau als unanständig angesehen wurde.
Auch während der Grossen Depression Anfang der 30er-Jahre benutzten die Frauen mehr Lippenstift, bestätigten Studien.
Zur Zeit des Nationalsozialismus wurde Lippenstift als verpönt angesehen, denn eine «deutsche Frau» hatte sich nicht zu schminken. Der Lippenstift wurde deswegen zum Symbol des Widerstands. Auch in den USA standen rote Lippen im Zweiten Weltkrieg für Durchhaltevermögen und Stärke und sollten als Motivation für die Soldaten gelten, standhaft zu bleiben. Im Zusammenhang damit wurde die Farbe «Victory Red» erfunden.
Auch in der Wirtschaftskrise 2008 konnte Lauders Beobachtung beispielsweise in Deutschland bestätigt werden, wo günstige Kosmetika in dieser Zeit zu den meistverkauften Produkten zählten. Ebenso nach der Brexit-Abstimmung: Als damals die wirtschaftliche Situation in Grossbritannien eher schlecht war, gaben die Britinnen ebenfalls mehr Geld für Kosmetika aus, vor allem für Lippenstifte.
Bei Männern ist die Situation ähnlich. Sie kaufen aber nicht mehr Lippenstifte, sondern mehr Parfüm.
Nach diesem Index werden in wirtschaftlich schlechten Zeiten weniger Unterhosen gekauft – und zwar hauptsächlich von Männern. Der Grund: Unterhosen sind das Kleidungsstück, das man am wenigsten sieht. Die These wurde vom einstigen US-Notenbankchef Alan Greenspan aufgestellt.
Nach der Finanzkrise 2008 konnte die These in den USA tatsächlich bestätigt werden, als der Absatz von Herrenunterwäsche sank. Ob dies nun Zufall war oder nicht, müsste durch weitere Studien untersucht werden.
Ähnlich wie der Lippenstift-Index besagt der High-Heel-Index: Je schlechter die Wirtschaftslage, desto höher die Absätze der Schuhe.
Forscher von IBM bestätigen die Theorie. «Normalerweise steigen die Absätze in einem wirtschaftlichen Abschwung, da die Verbraucher extravagante Mode als Mittel der Fantasie und Flucht brauchen», meint Trevor Davis, Produktexperte der Global Services Unit von IBM. In einer anderen Studie untersuchte eine Forscherin die amerikanische «Vogue» von 1950 bis 2014 und kam zum Schluss, dass sich eine hohe Arbeitslosenquote auf die Absatzhöhe der Schuhe auswirkte. Bei Christian Louboutin, der den Schuh mit der roten Sohle populär machte, waren die High Heels während der Finanzkrise 2008 am höchsten.
Auch laut Modeexpertinnen und -experten werden die Absätze bei einer schlechten Wirtschaftslage höher. «Während der grossen Depression in den 1930er-Jahren, der Ölkrise in den 1970er-Jahren und als die Dotcom-Blase in den 2000er-Jahren platzte, nahmen die Absatzhöhen merklich zu», schrieb Elizabeth Semmelhackvin in ihrem Buch «Heights of Fashion: A History of the Elevated Shoe».
Diese Indizes zeigen, dass Mode nicht nur ein Ausdruck von Stil und Individualität ist, sondern auch ein Spiegel der wirtschaftlichen Lage und gesellschaftlichen Stimmung. Auch wenn es präzisere Wirtschaftsindikatoren geben mag, sind diese modischen Indizes doch viel unterhaltsamer und faszinierender.