Vasyl Loban war einst Kampfjet-Pilot der sowjetischen Armee. Er stand damit an der Spitze der damaligen Prestige-Hitparade, denn kaum jemand wurde in der ehemaligen UdSSR mehr geachtet als Militärpiloten. Die UdSSR zerbrach und als Ukrainer war Loban seinen Job und sein Prestige los.
Doch Jammern gehört nicht zu seinem Repertoire. Kurzerhand gründete er ein lukratives Geschäft als Benzinhändler. Eines Tages konnte das Dorf Khudoliivka in der Region Poltava Lobans Rechnungen nicht mehr bezahlen und bot ihm ein Gegengeschäft an: Er erhielt das Recht, 500 Hektaren Land zu bebauen.
Damit begann Vasyl Lobans dritte Karriere, er wurde Bio-Bauer. Überzeugungsarbeit musste dabei keiner leisten. «Ich weiss gute Nahrung zu schätzen», lacht er. «Als Jet-Piloten mussten wir uns gesund ernähren.»
Oleg Zhnkovskiy verdiente mit seiner Baufirma ein kleines Vermögen. Er ärgerte sich jedoch darüber, dass seine Kinder keine gesunde Nahrung erhielten. Vor allem vermisste er die Milch, die er selbst einmal in seiner Kindheit getrunken hatte. Das wollte er ändern. Er kaufte einen Bauernhof in der Grösse von 4000 Hektaren, auf dem jetzt eine grosse Herde von Simmentalerkühen weidet.
Heute sorgen rund 130 Mitarbeiter dafür, dass ihre Milch nach streng biologischen Kriterien behandelt und in einer Molkerei in der Nähe von Kiew verarbeitet wird. Sie tun dies mit wachsendem Erfolg. Inzwischen steht Zhnkovskiys Milch nicht nur im ersten Bioladen von Kiew und in den Regalen des Kaufhauses Auchan. «Selbst aus Dubai erhalten wir Anfragen», sagt sein Produktionsleiter stolz.
Loban und Zhnkovskiy sind so genannte Leuchtturm-Bauern in einem Projekt, welches das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) zusammen mit dem Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) durchgeführt hat. 2005 haben die Abklärungen begonnen, 2012 begann die eigentliche Marktentwicklung.
Der Kampfjet-Pilot und der Bauunternehmer spielen dabei eine zentrale Rolle. Sie sind die Vorbilder, die andere Bauern von der Bio-Landwirtschaft überzeugen sollen. «Das FiBL arbeitet in der Ukraine ganz bewusst mit fünf solchen Vorzeigebetrieben zusammen», erläutert FiBL-Projektleiter Tobias Eisenring.
Jährlich gibt der Bund 25 Millionen Franken aus, um der Ukraine auf die Beine zu helfen. Insgesamt zehn Millionen Franken sind in das Programm zur Förderung der organischen Landwirtschaft geflossen. Das hat ökologische und ökonomische Gründe. «Mehr als die Hälfte aller Exporte der Ukraine sind landwirtschaftliche Produkte», sagt Viktor Shutkevych, der in der Schweizer Botschaft für dieses Programm zuständig war.
Dank der Schwarzerde gehört die Ukraine zu den führenden Getreideproduzenten der Welt. Das nach Russland zweitgrösste Land Europas ist äusserst fruchtbar. 2016 sind auf 42 Millionen Hektaren Ackerfläche 66 Millionen Tonnen Getreide und Ölsaaten produziert worden. Über zwei Drittel davon wurden exportiert.
Dabei hat die ukrainische Landwirtschaft eine tragische Geschichte. Ende der Zwanzigerjahren wurde sie auf Druck von Josef Stalin mit unvorstellbarer Grausamkeit kollektiviert. Im Kampf gegen die «Kulaken» – angeblich reiche Bauern – wurden die Landwirte samt ihren Familien von ihren Höfen vertrieben.
Die Folgen dieser Kollektivierung waren katastrophal. 1932/33 starben in einer gigantischen Hungerkatastrophe, im «Holodomor», mehr als fünf Millionen Menschen, die meisten davon Frauen und Kinder. Die genaue Zahl der Opfer ist nicht bekannt, da Stalin und seine Nachfolger alles unternahmen, um dieses ungeheure Verbrechen zu vertuschen. Erst nach dem Zerfall der UdSSR wurde das Ausmass des Holdomors allmählich ersichtlich.
Die Folgen der Kollektivierung in der Sowjetzeit sind noch nicht überwunden. Nach dem Untergang der UdSSR wurde das Land an die Bauern verteilt. Es darf jedoch bis heute nicht verkauft werden. «Die Eigentumsverhältnisse sind äusserst kompliziert», sagt Viktor Shutkevych. Das bedeute auch, dass die Bauern ihr Land nicht als Sicherheit für Bankkredite einsetzen können.
Gleichzeitig können sie nicht mit der Hilfe des Staates rechnen. Landwirtschafts-Subventionen sind in der Ukraine ein Fremdwort, speziell für Bio-Bauern. Ihre Anliegen waren bis vor kurzem bei den offiziellen Regierungsstellen nicht gefragt. «Noch vor ein paar Jahren hatte ich keine Chance, einen Termin im Landwirtschaftsministerium zu erhalten», sagt Natalie Prokopchuk, die das Projekt vor Ort betreut.
Das hat sich inzwischen geändert. Am diesjährigen Informationstag für die Bio-Bauern gab sich die stellvertretende Landwirtschaftsministerin Olga Trofimtseva die Ehre. «Seit 2015 hat die Bio-Landwirtschaft bei uns grosse Bedeutung erhalten», erklärt sie. «Wir nehmen die Bio-Bauern nun sehr ernst.» Das ukrainische Parlament hat am 10. Juli gar ein Gesetz verabschiedet, das die Prinzipien der biologischen Landwirtschaft anerkennt und die Produkte schützt.
Das hat auch damit zu tun, dass der Biosektor stark gewachsen ist. 2002 gab es in der Ukraine gerade Mal 30 Biobetriebe, heute sind es rund 300. Sie bewirtschaften über 380’000 Hektaren Land, das entspricht nicht ganz einem Prozent der Gesamtfläche. Das mag nach wenig tönen, doch weltweit steht die Ukraine bereits auf Platz 20 in Sachen Bio-Landwirtschaft.
Die Bio-Bauern produzieren Milchprodukte für den einheimischen Markt und Getreide für den Export. Die Spezialisten des FiBL helfen ihnen bei den komplexen Fragen der Zertifizierung und der Hygiene, die vor allem für den Export entscheidend sind. Dabei sind grosse Fortschritte erzielt worden. «Die ukrainischen Labels sind heute akzeptiert», sagt Tobias Eisenring. «Selbst in der Schweiz sind wir ein bisschen neidisch.»
Fleisch und Milch der Bio-Bauern sind rund 40 Prozent teurer als herkömmliche Ware. Um wirklich abzuheben, brauchen die Bio-Bauern daher Kunden, die sich ihre Produkte auch leisten können. Der Binnenmarkt dürfte sich daher eher harzig entwickeln. «Die ungewisse politische Lage verhindert die Entwicklung eines breiten Mittelstandes», sagt Viktor Shutkevych.
Sehr viel besser sieht es beim Export aus. Gesunde Nahrung wird immer mehr zu einem Mega-Trend, und die Kornkammer Ukraine kann davon profitieren, wenn sie die richtigen Schritte unternimmt.«Wir brauchen ein modernes Bewässerungssystem», sagt Shutkevych. «Denn auch wir bekommen den Klimawandel zu spüren und leiden in den letzten Jahren vermehrt unter Trockenheit.»
Die Ukraine ist nicht nur eine Kornkammer, sie ist auch eine IT-Hochburg. Diese Kombination lässt Viktor Shutkevych träumen: «Software-Ingenieure und Bio-Bauern wären eine ideale Kombination für die Zukunft», sagt er.