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Bio ist zwar gut und recht, aber leider nicht effektiv. So lautet das gängige Klischee, auch unter Experten. Führende Entwicklungsökonomen wie etwa der Brite Paul Collier fordern deshalb, dass auch die Entwicklungsländer, vor allem in Afrika, endlich auf industrielle Landwirtschaft und Gentechnologie umstellen. «Wir müssen von der kleinbäuerlichen Landwirtschaft wegkommen», fordert er im Einklang der Nahrungsmittelindustrie und der herrschenden öffentlichen Meinung. Collier ist Professor in Oxford und Autor des Buches «Der Hungernde Planet», einem Standardwerk der Entwicklungspolitik.
Auf den ersten Blick mag dies einleuchten. Die afrikanische Landwirtschaft ist sehr viel weniger produktiv als etwa die europäische. Der Schwarze Kontinent muss deshalb rund einen Viertel seine Nahrungsmittel importieren. Dazu kommt, dass die Bevölkerung rasant wächst, und der Klimawandel die Erträge schwinden lässt. Angesichts dieser gewaltigen Herausforderungen bezeichnet Collier den Verzicht auf industrielle Landwirtschaft und Gentech als «europäische Romantik» – oder gar als «kriminell».
Doch auch führende Experten können sich irren. Das zeigen die Resultate einer Langzeitstudie, die vom Forschungsinstitut für biologische Landwirtschaft (FiBL) in Kenia in Zusammenarbeit mit dem staatlich-kenianischen Agroforschungsinstitut ICIPE durchgeführt wurde. Unterstützt wurde die Forschung von Biovision, einer Stiftung für ökologische Entwicklung (siehe Kasten), aber auch vom Eidgenössischen Departement für Entwicklungszusammenarbeit (Deza), dem liechtensteinischen Entwicklungsdienst und von Coop.
Die Schlüsse der Studie stehen im krassen Widerspruch zur gängigen Vorstellung der vermeintlich unproduktiven Bio-Landwirtschaft. Das wichtigste Ergebnis lautet nämlich: Mit niedrigeren Input-Kosten und höheren Preisen auf dem Markt, wird das Einkommen der Bäuerinnen und Bauern ab dem fünften Jahr höher und bringt ein 53% höheres Einkommen im sechsten Jahr. «Das ist signifikant», sagt David Amudavi, Leiter von Biodivision Africa Trust. «Damit ist erstmals wissenschaftlich bewiesen worden, dass organische Landwirtschaft nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch sinnvoll ist.»
Dass dieser Beweis ausgerechnet in Kenia erbracht wurde, ist erstaunlich. Bio, so ein weiteres Vorurteil, gilt als Luxus, den sich nur wohlhabende Länder leisten können. Dabei macht organische Landwirtschaft gerade in einem Land wie Kenia sehr viel Sinn: Rund zwei Drittel der rund 45 Millionen Einwohner sind Kleinbauern, Lebensmittel sind das wichtigste Exportgut. Nur eine nachhaltige Landwirtschaft kann daher für einen bescheidenen Wohlstand sorgen.
Dieses Ziel gerät in Gefahr. Die traditionelle Landwirtschaft befindet sich in einer Krise, denn die so genannte «grüne Revolution» der Nachkriegszeit wendet sich immer stärker gegen ihre Kinder: «Mehr als die Hälfte der fruchtbaren Erde ist heute krank», so Amudavi. «Das hat eine gross angelegte Untersuchung vor zwei Jahren gezeigt.»
Die grüne Revolution war der Versuch, mit dem Einsatz von Dünger und Pestiziden den Ertrag der Landwirtschaft in den Entwicklungsländern im Sinne von Collier zu steigern. Nach anfänglichen Erfolgen mehren sich nun jedoch die Anzeichen, dass dieser Versuch nicht nachhaltig ist. Die schädlichen Nebenwirkungen mehren sich. In Kenia beispielsweise verwenden die Bauern seit Jahrzehnten das gleiche Saatgut, den gleichen Dünger und die gleichen Unkrautvertilgungsmittel. Das Resultat sind sinkende Erträge und übersäuerte Böden.
Die Folgen sind dramatisch. Obwohl in Kenia offiziell kein Hunger mehr herrscht, wird es offensichtlich, dass die «Versorgung mit Lebensmitteln nicht genügend ist», wie sich Noah Adamtey, der Koordinator des Forschungsprojekts, ausdrückt. Was das konkret bedeutet, schildert Roger Thurow eindrücklich in seinem Buch «The Last Hunger Season»: Kleinbauern müssen oft monatelang praktisch ohne Essen auskommen und ein paar Kilo mehr Mais können darüber entscheiden, ob ein Kind weiterhin die Schule besuchen kann oder nicht.
Was unterscheidet die organische Landwirtschaft von der konventionellen? Einerseits setzt sie auf das Prinzip der Rotation. Konventionelle Bauern pflanzen stets das Gleiche an, meist Mais. Damit laugen sie die Böden aus und versuchen das, mit einem übertriebenen Einsatz von Dünger wettzumachen. Dies führt zur weit verbreiteten Übersäuerung der Böden.
Bei der organischen Landwirtschaft hingegen wechseln sich Mais, Bohnen, Kohl und andere Nutzpflanzen ab. Anstatt Dünger wird hochwertiger Kompost verwendet, der aus Mist und Biomasse hergestellt wird. Auf diese Weise bleibt die Fruchtbarkeit der Äcker auf natürliche Art und Weise erhalten.
Das Prinzip ist genauso einfach wie genial: Zusammen mit dem Mais wird eine Pflanze angebaut, deren Geruch den schlimmsten Schädling, den Stengelbohrer, vertreibt. Das ist der Push-Faktor. Den Pull-Faktor bildet ein am Rande des Maisfeldes angebautes, spezielles Gras. Es lockt den Stengelbohrer an – und bringt seine Larven um. Mit der «Push-Pull-Methode» werden so die Schädlinge vernichtet und – was ein entscheidender Faktor ist – ihre natürlichen Feinde geschont.
Dieses Prinzip wird in den Laboren der staatlichen Forschungsanstalt ICIPE minutiös analysiert und weiter entwickelt. So hat es sich beispielsweise gezeigt, dass der Einsatz einer bestimmten Wespenart aus Peru einen anderen, weit verbreiteten Schädling, wirksam bekämpfen kann.
Die Resultate sind ermutigend. «Es lassen sich kaum Unterschiede bei der Wirksamkeit bei organischen und konventionellen Schädlingsbekämpfungsmethoden feststellen», sagt Komi Faiboe, der diese Forschung beim ICIPE leitet.
Die Auseinandersetzung zwischen organischer und konventioneller Landwirtschaft war bisher zum grössten Teil ein Glaubenskrieg. Mit kurzfristig angelegten Studien können beide «beweisen», dass ihre Methode der anderen überlegen ist. Das gilt für die vorliegende Studie nicht. Sie ist seit 2007 im Gang und kann daher signifikante Aussagen über die Langzeitwirkung machen.
Um jeden Verdacht auf Parteilichkeit auszuräumen, haben die Forscher grossen Wert auf Fairness gelegt. Parallel untersuchten sie zwei verschiedene Arten von organischer und konventioneller Anbauweise. Sie unterschieden dabei zwischen Anbauflächen mit niedrigem und hohem Input.
Bei niedrigem organischem Input wird Mist und das Rotationsprinzip verwendet, bei hohem Input der komplexe Kompost und ein Bewässerungssystem. Ein solches System besitzen auch die konventionellen Anbauflächen mit hohem Input.
Konventioneller Anbau mit niedrigen Inputkosten ist die in Kenia am weitesten verbreitete Methode. Deshalb sind die Erträge niedrig und die Böden krank. Eine Umstellung auf organische Anbauweise, idealerweise mit hohen Inputkosten, muss daher das langfristige Ziel sein. Das hätte nicht nur bessere Erträge zur Folge, auch der Boden würde geheilt. «Im Durchschnitt dauert es rund sieben Jahre, bis ein kranker Boden wieder gesund ist», sagt Noah Adamtey.
Inzwischen hat auch die Regierung realisiert, wie wichtig Bio-Landwirtschaft für die Zukunft des Landes ist. Wie Afrika generell leidet auch Kenia unter hoher Arbeitslosigkeit. Eine Industrie, die genügend Arbeitsplätze zur Verfügung stellt, gibt es im Agrarland nicht. In der Vier-Millionen-Stadt Nairobi leben deshalb 60 Prozent der Bewohner unter misslichsten Umständen in Slums. Eine Landflucht der Kleinbauern würde diese Zustände noch verschlimmern. «Eine industrielle Landwirtschaft zu forcieren, wäre deshalb sinnlos», sagt David Amundavi.
Diese Einsicht scheint sich allmählich durchzusetzen. Der kenianische Landwirtschaftsminister liess bei der Vorstellung der Studie eine sehr wohlwollende Grussbotschaft verlesen, und der anwesende Vertreter des Deza, Lukas Rüttimann, stellte unmissverständlich klar: «Die konventionelle Landwirtschaft hat das Hungerproblem nicht gelöst. Für uns hat die organische Landwirtschaft das grösste Potenzial für die Zukunft.»
Wissenschaftliche Beweise und politische Einsicht genügen nicht. Kleinbauern ändern ihr Verhalten nicht so rasch, zu stark sind Tradition und Irrglauben bei ihnen verankert. «Für junge Bauern bedeutet Bio oft überholt», klagt Samuel Ledermann, wissenschaftlicher Berater bei Biovision. «Dabei müssen gerade Bio-Bauern über viel Wissen und Erfahrung verfügen.»
Die Bio-Landwirtschaft mainstream-fähig zu machen, ist eine grosse Herausforderung, die nur in kleinen Schritten zu schaffen sein wird. Langfristig gibt es jedoch kaum eine Alternative. Übersäuerte Böden, abnehmende Biodiversität, wachsende Bevölkerung und die Klimaerwärmung werden den Wandel erzwingen. «Die Gesundheit unserer Erde wird unsere Zukunft bestimmen», stellt David Amudavi unmissverständlich klar.
In einem Punkt hat Paul Collier jedoch Recht. Es ist ein Skandal, dass ein so fruchtbarer Kontinent wie Afrika immer noch Nahrungsmittel importieren muss. Länder wie Kenia müssten in der Lage sein, nicht nur ihre Bevölkerung zu ernähren, sondern auch mit dem Export von gesunden Lebensmitteln ihre Handelsbilanz aufzubessern. Mit Bio-Landwirtschaft wäre das zu schaffen.