Das Logo der Sackler-Dynastie prangt an den edelsten Orten dieser Welt: Von der Yale University über das Guggenheim-Museum in New York über den Louvre bis in die Serpentine Gallery to the Royal Academy in Grossbritannien. Künstler und Wissenschaftler werden von Sackler-Stifungen unterstützt, auch in Basel ist eine davon eingetragen.
Die Sacklers sehen sich als Kunstmäzene und Wohltäter der Menschheit. Sie können es sich leisten. Das «Forbes»-Magazin schätzt ihren Reichtum auf rund 13 Milliarden Dollar. Über den Ursprung dieses Reichtums hingegen schweigen sich die Sacklers aus. Kein Wunder: Er stammt aus einem Produkt namens Oxy Contin. Dieses wird verantwortlich gemacht für die schlimmste Drogenkrise in der Geschichte der USA.
Das Ausmass der Drogenkrise schildert das Magazin «The New Yorker» wie folgt: «Seit 1999 sind 200’000 Amerikaner an einer Überdosis gestorben, die in Verbindung zu Oxy Contin und anderen verschriebenen Opiaten gebracht wird. Viele Süchtige, denen die verschriebenen Schmerzmittel zu teuer wurden, haben zu Heroin gegriffen. (…) Die jüngsten Zahlen legen nahe, dass derzeit täglich 145 Amerikaner an einer Überdosis sterben.» 2016 waren es ingesamt 42’000 Menschen.
Der Sackler-Clan, das waren ursprünglich drei jüdische Brüder, die von Galizien nach New York ausgewandert sind: Arthur, Mortimer und Raymond. Aller drei haben Medizin studiert. Die treibende Kraft war Arthur, der ein Flair für Marketing besass. Sein besonderes Talent bestand darin, dass er es verstand, seriöse Werbung für Mediziner zu kreieren. Mit dem Marketing von Tranquilizern wie Librium und Valium erwarben die Sacklers ihren ersten Reichtum.
1952 kauften sie die kleine Pharmafirma Purdue im Greenwich Village in Manhattan. Die Sacklers waren keine bedeutenden Wissenschaftler. «Ihr wichtigster Beitrag zur Welt der Pharmazie war ihre Fähigkeit, bestehende Medikamente verbraucherfreundlicher zu machen», schreibt die «Financial Times.»
In den 80er Jahren hatte Purdue grossen Erfolg mit einem Schmerzmittel namens MS Contin. Dieses Medikament wurde für Patienten verwendet, die sich im letzten Stadium ihres Lebens befanden und unter grossen Schmerzen litten. In der Regel handelte es sich um Krebspatienten. Der grosse Vorteil des auf Morphium basierenden MS Contin lag darin, dass es seinen Wirkstoff kontrolliert über acht Stunden abgab und den Patienten so zu einem ungestörten Schlaf verhalf. Oxy Contin ist das Nachfolgeprodukt von MS Contin.
Inzwischen war Arthur Sackler verstorben. Sein Sohn Richard wurde zur zentralen Figur bei Purdue. «Dr. Richard», wie er meist genannt wird, gelang es, dass das Nachfolgeprodukt von MS Contin, Oxy Contin, von der US-Gesundheitsgehörde FDA als generelles Schmerzmittel zugelassen wurde. Ärzte durften es nun auch für Arthritis, Rheuma, usw. verschreiben.
Gleichzeitig setzte Dr. Richard eine Marketingmaschine in Gang, die er ganz gezielt auf junge und unerfahrene Ärzte ansetzte. Oxy Contin mache nicht süchtig und bringe den Schmerz im Nu zum Verschwinden, lautete die frohe Botschaft der Purdue-Verkäufer, welche Mediziner nur zu gerne hörten. Zur Not halfen Konferenzen nach, die selbstverständlich in exklusiven Resorts und auf Kosten der Pharmafirma stattfanden.
Jetzt begann der grosse Rubel zu rollen. «Ihr seid Teil einer sich abzeichnenden Legende», versprach Richard Sackler in einer Ansprache an sein Verkaufsteam im Jahr 2000. Dieses Team war um 100 Köpfe aufgestockt worden und wurde mit üppigen Boni dazu angetrieben, möglichst viel Oxy Contin unter die Ärzte zu bringen. «Ich kann mich erinnern, dass einzelne Verkäufer damit prahlten, 40’000 bis 50’000 Dollar in einem Quartal zu kassieren» erinnert sich eine ehemalige Purdue-Vertreterin in der «Financial Times».
Der Marketingaufwand zeigte Wirkung. Der Umsatz mit Oxy Contin sollte bald jährlich drei Milliarden Dollar erreichen, mehr als Viagra! Es waren nicht mehr Krebspatienten im letzten Stadium, die dafür verantwortlich waren. Es waren Süchtige, die das Zeugs entdeckt hatten. Zerbröselte man nämlich die Pillen und schnupfte sie, war die Wirkung die gleiche wie bei Heroin.
Oxy-Contin-Pillen waren daher bei den Junkies bald heiss begehrt und wurden auf dem Schwarzmarkt rege gehandelt. Einzelne Ärzte verschrieben sie grosszügig. Wenn der Stoff ausging, griffen die Süchtigen zu Heroin oder noch schlimmeren Ersatzdrogen wie Fentanyl.
Bald wurde offensichtlich, dass Oxy-Contin mehr als ein angeblich nicht süchtig machendes Schmerzmittel ist. Mehrere Klagen wurden gegen Purdue eingereicht. Sie konnten zunächst von einer Heerschar hoch bezahlter Anwälte – unter anderem war ein gewisser Rudy Giuliani mit dabei – und millionenschwerer Vergleiche abgewendet werden.
2010 änderte Purdue die Formel für Oxy Contin leicht. Die Pillen konnten nicht mehr zerrieben werden, sie wurden zu Matsch. Die Wirkung war kontraproduktiv: «Das ist eines der schrecklichen Paradoxe in der Geschichte von Oxy Contin», schreibt der «New Yorker». «Die Original-Formel schuf eine Generation, die von den Pillen abhängig war; die neue Formel zwang eine jüngere Generation in die Heroinsucht.»
Diese Sucht hat sich inzwischen zu einer Epidemie ausgeweitet. Präsident Trump hat den nationalen Notstand ausgerufen. Auch Richter und Anwälte sind aktiv geworden. Der Sackler-Clan steht im Gegenwind. «Im Juni hat der Justizminister des Bundesstaates Massachusetts den Fokus der Ermittlungen vom Unternehmen Purdue auf die Familie verlegt, und acht Mitglieder der Sackler-Familie angeklagt», schreibt die «Financial Times».
Allgemein wird eine Wiederholung der Tabak-Prozesse der 90er Jahre erwartet. Damals wurden Philip Morris & Co. zu drastischen Bussen verbrummt. Deshalb geht man davon aus, dass Purdue die Anklagewelle nicht überstehen wird. Ob es auch gelingen wird, an das Vermögen der Sacklers zu kommen, wird sich zeigen.
Bei der Familie hat kein Umdenken stattgefunden. Sie äussert sich nicht zu den Vorfällen. Das gilt ganz speziell für Dr. Richard. «Er ist ein Fan des Produkts. Es gibt keinerlei Reue – die Drogenkrise wird innerhalb von Purdue kaum zur Kenntnis genommen», erklärt ein Insider gegenüber der «Financial Times». Das gilt für den Sackler-Clan generell. «Sie sind überzeugt, nichts Falsches getan zu haben. Sie denken, das Ganze sei eine Hexenjagd», so der Insider.