Die Nervosität an den Märkten ist seit Tagen spürbar. Nun hat die russische Invasion die letzten Hoffnungen an den Finanzmärkten pulverisiert. Börsen und Wirtschaft stehen vor turbulenten Zeiten.
Der Angriff Russlands auf die Ukraine hat rund um den Globus für Schockwellen an den Kapitalmärkten gesorgt. «Die schlimmsten Befürchtungen sind wahr geworden. Es herrscht Krieg in Europa», sagte Portfolio-Manager Thomas Altmann von QC Partners am Donnerstag in Frankfurt. Weltweit rauschten Aktienkurse nach unten, viele Investoren flüchteten in Anlagen wie Gold und deutsche Staatsanleihen, die in Krisenzeiten als sicher gelten.
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Auf Verbraucher könnten nach Berechnungen von Ökonomen drastische Preissteigerungen zukommen, denn Russland ist ein grosser Gaslieferant für Deutschland und Europa, aber zum Beispiel auch einer der weltgrössten Anbieter von Aluminium, das in vielen Produkten steckt.
Europaweit eröffneten die Börsen am Donnerstag mit grossen Verlusten. Der deutsche Leitindex Dax sackte zum Handelsstart erstmals seit fast einem Jahr unter die Marke von 14'000 Punkten, erholte sich dann aber etwas. Im Sog des Ukraine-Konflikts war der Deutsche Aktienindex in den vergangenen sechs Börsentagen bereits um etwas mehr als fünf Prozent abgesackt. Der Eurozonen-Leitindex EuroStoxx 50 gab zum Handelsstart am Donnerstag um 4,29 Prozent auf 3802,86 Punkte nach, dämmte seine Verluste dann aber ebenfalls etwas ein.
Der Schweizer Franken profitiert einmal mehr von seinem Ruf als sicherer Hafen. Der Angriff Russlands auf die Ukraine hat den Euro gegenüber dem Franken auf den tiefsten Stand seit über sieben Jahren fallen lassen: Die Gemeinschaftswährung fiel dabei von über 1,04 noch am Mittwoch in der Nacht auf Donnerstag bis auf 1,02895 Franken. Aktuell notiert das Währungspaar wieder leicht über der Marke von 1,03. Gegenüber dem Dollar verlor der Franken dagegen mit aktuell 0,9235 etwas an Wert, denn der Dollar wird in Krisenzeiten ebenfalls als sicherer Hafen angesteuert.
Wie es mit dem Franken weitergeht, muss sich zeigen. Die erste Reaktion des Franken sei relativ heftig gewesen, sagte Thomas Stucki, Anlagestratege der St.Galler Kantonalbank. Danach sei es zu einer Gegenreaktion gekommen. «Ich würde nicht ausschliessen, dass die Schweizerische Nationalbank (SNB) heute Morgen interveniert hat.» Der Franken dürfte laut der Einschätzung von Stucki in der nächsten Zeit noch etwas stärker werden.
Solange die Spannungen in der Ukraine nicht gelöst seien, dürfte das EUR/CHF-Währungspaar unter Druck bleiben, heisst es auch in einer Devisen-Einschätzung der holländischen ING Bank.
Weiter rasant steigende Rohstoffpreise könnten die seit Monaten hohe Teuerung noch anheizen. Ein Barrel (159 Liter) der Nordsee-Ölsorte Brent kostete am Donnerstag erstmals seit 2014 mehr als 100 Dollar. Der Aluminium-Preis kletterte auf ein Rekordhoch von 3388 US-Dollar. Ein Scheffel Weizen kostete mit knapp 935 US-Cent so viel wie seit 2012 nicht mehr.
Experten schliessen nicht aus, dass Russland auf verschärfte wirtschaftliche Sanktionen mit einem Stopp seiner Gaslieferungen reagiert und damit die Preisspirale antreibt. «Kommt es zu gravierenderen Liefereinschränkungen, könnte sich der Gaspreis (...) noch weiter erhöhen. In diesem (...) Szenario würde die Inflationsrate in diesem Jahr auf 6,1 Prozent und 2023 auf fünf Prozent klettern», rechnete das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) für Deutschland vor. «Die Verbraucher, aber auch die Unternehmen, hätten also noch weniger im Portemonnaie als ohnehin schon.»
Die deutsche Wirtschaft stellt sich auf erhebliche Rückschläge ein. «Die wirtschaftlichen Folgen dieser Invasion sind noch nicht absehbar, sie sind aber ganz sicherlich schwerwiegend», sagte der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Peter Adrian, der Deutschen Presse-Agentur. Deutschlands exportorientierte Maschinenbauer rechnen damit, dass Strafmassnahmen gegen Russland auch ihr Geschäft treffen werden. Der Präsident des Branchenverbandes VDMA, Karl Haeusgen, betonte zugleich: «Der VDMA unterstützt die Entscheidung, die Aggression hart zu sanktionieren.»
Bislang gingen Volkswirte davon aus, dass die deutsche Wirtschaft nach einem schwachen Winter infolge der anhaltenden Corona-Pandemie im Frühjahr wieder zulegen wird. Die Eskalation des Ukraine-Konflikts ist jedoch Gift für die Konjunktur. «Mit den aktuellen Entwicklungen ist unser Negativ-Szenario, ein offener Krieg zwischen der Ukraine und Russland, eingetreten», hiess es von der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW). «Wir gehen davon aus, dass die Realwirtschaft rund um den Globus spürbare Einbussen hinnehmen muss.»
Auch die Börsen in Asien reagierten mit kräftigen Verlusten auf die russische Invasion in der Ukraine. In Tokio ging der Leitindex Nikkei 225 mit einem Minus von 1,81 Prozent bei 25 970,82 Punkten aus dem Handel. Der CSI-300-Index mit den 300 wichtigsten Unternehmen vom chinesischen Festland büsste 2,03 Prozent auf 4529,32 Punkte.
Am russischen Aktienmarkt ging der Ausverkauf weiter: Der RTS-Index brach um fast die Hälfte auf 612 Punkte ein. Binnen sechs Handelstagen summierten sich die Verluste dort auf rund 60 Prozent. Die russische Notenbank kündigte Interventionen am Devisenmarkt an, nachdem der Rubel auf ein Rekordtief zum US-Dollar gefallen war.
Schon am Mittwoch waren wichtige Börsenbarometer in den USA abgerutscht: Der Dow Jones Industrial fiel mit knapp 33'085 Punkten auf das niedrigste Niveau seit April 2021. Der breit gefasste S&P 500 verlor 1,84 Prozent auf 4225,50 Punkte. Er sackte ebenso auf das niedrigste Niveau seit Juni 2021 ab wie der technologielastige Nasdaq 100, der am Ende sogar 2,60 Prozent auf 13'509,43 Zähler einbüsste.
Anleger flüchteten in Gold oder Staatsanleihen: Eine Feinunze Gold (rund 31,1 Gramm) kostete im frühen Handel 1949 US-Dollar, das ist der höchste Stand seit Januar 2021. Auch der deutsche Anleihemarkt legte zu: Am Morgen zog der richtungsweisende Terminkontrakt Euro-Bund-Future um etwa ein Prozent auf 167,64 Punkte an.
Die Europäische Zentralbank (EZB), von der im März eine Weichenstellung zum Ausstieg aus der seit Jahren ultralockeren Geldpolitik erwartet wird, muss den Krieg in der Ukraine in ihren Entscheidungen berücksichtigen. «Wir werden bei unserer Sitzung im März eine umfassende Beurteilung der wirtschaftlichen Aussichten vornehmen. Dazu gehören auch die jüngsten geopolitischen Entwicklungen», sagte EZB-Chefvolkswirt Philip R. Lane in einem am Mittwochabend veröffentlichten Interview der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung». «Die geopolitischen Spannungen sind aktuell ein sehr bedeutsamer Risikofaktor, vor allem für Europa», sagte Lane. (awp/sda/dpa)
Kann man Russland (Zentralbank, Kreditinstitute) nicht vom Devisenmarkt verbannen und so einen äusserst starken Druck ausüben?