Die Jugendarbeitslosigkeit befindet sich auf einem Rekordhoch. Die Exporte brechen ein, ebenso die Importe. Die Immobilienkrise schwelt weiter vor sich hin. Es droht eine Vergreisung der Gesellschaft und eine Überschuldung der öffentlichen Hand. Während sich die meisten Zentralbanker immer noch mit dem Gespenst der Inflation herumplagen, kämpfen ihre chinesischen Kollegen gegen eine Deflation.
Chinas Wirtschaft ähnelt derzeit ein bisschen Asterix und dem gallischen Dorf.
Alles im Eimer also? Nicht ganz. Es gibt eine Ausnahme: die Autoindustrie. Während die chinesischen Exporte im August erneut um 8,8 Prozent eingebrochen sind – im Juli waren es gar 14,5 Prozent – ist die Ausfuhr von chinesischen Autos seit Beginn dieses Jahr um 86 Prozent angestiegen. Autohersteller wie BYD und Geely haben derzeit vor allem ein Problem: genügend Schiffe zu finden, die ihre Ware auch in alle Welt transportieren können. BYD investiert daher derzeit rund 100 Millionen Dollar für die Entwicklung eines geeigneten Transportschiffes.
Der chinesische Autoboom hat vor allem einen Grund: Elektroautos. Bei den Verbrennungsmotoren konnten Geely & Co. qualitativ nicht mit den Deutschen und den Japanern mithalten. Bei den Elektroautos hingegen sind sie konkurrenzfähig. Auf dem Gebiet der Batterie-Technology sind die Chinesen führend, und BYD gilt bereits als veritabler Konkurrent von Tesla.
Weil China mit einer massiven Luftverschmutzung zu kämpfen hat, fördert der Staat den Kauf von Elektroautos. Das führt dazu, dass die Hersteller von Benzinern im Binnenmarkt auf ihren Autos sitzen bleiben. Weil gleichzeitig der Wechselkurs des Renminbis sich auf einem Tiefstand befindet, können diese Autos zu Spottpreisen exportiert werden. Auf russischen Strassen fahren daher bereits mehr chinesische Autos herum als europäische. Auch in den asiatischen Ländern wie Indonesien befinden sich die Chinesen auf dem Vormarsch.
Nun soll auch Europa erobert werden, vor allem mit den Elektroautos. Auf Automessen sind die Produkte von BYD und Geely prominent zu sehen. Dabei profitieren sie davon, dass Geely schon seit Jahren Besitzer von Volvo und die Shanghai Industry Corporation Besitzer von MG sind, beides renommierte Marken auf dem alten Kontinent. Bloss auf dem US-Markt tun sich die Chinesen noch schwer. Schuld daran sind die von Donald Trump verhängten Strafzölle.
Diese Option bleibt den Deutschen verwehrt, denn China ist für ihre Wirtschaft nach wie vor der zweitgrösste Exportmarkt. Das gilt ganz speziell auch für die Autoindustrie. Diese leidet jedoch unter der chinesischen Konkurrenz, und zwar heftig. Im Juli ist die Produktion bei VW & Co. um neun Prozent zurückgegangen. Das schlägt auf die gesamte deutsche Wirtschaft durch, denn die Autoindustrie ist ihr Herz. Die grösste europäische Wirtschaft bewegt sich derzeit am Rande einer Rezession.
Die Aussichten sind nicht eben rosig. Wie zu Beginn dieses Jahrhunderts macht sich in Deutschland eine depressive Stimmung breit. «Die industrielle Produktion sackt weiter ab. Selbst die grössten Pessimisten bekommen es mit der Angst zu tun», erklärt Carsten Brzeski, Ökonom bei der Bank ING, gegenüber der «Financial Times».
Vorläufig können die Industriebetriebe noch ihren Auftragsbestand abarbeiten, doch ewig wird dies nicht andauern: Im Juli sind die Neuaufträge für die deutsche Industrie um 10,7 Prozent abgesackt, der grösste Rückgang seit dem Lockdown.
Trotz des Auto-Export-Booms beginnt jedoch auch der Lack der Chinesen abzublättern. Die Tage, an denen die Welt über das Wirtschaftswunder gestaunt und die Kaderschule der kommunistischen Partei zur besten Managerausbildung der Welt emporgejubelt wurde, sind vorbei. Heute verweist man nicht mehr auf den Aufstieg Chinas zur zweitgrössten Volkswirtschaft der Welt. Es wird auch nicht mehr gerätselt, wann sie die amerikanische überholt haben wird. Heute wird stattdessen darauf hingewiesen, dass China nach wie vor ein armes Land und sein durchschnittliches Pro-Kopf-Einkommen bei 20 Prozent des amerikanischen liegt.
Der chinesische Staatskapitalismus hat seine Anziehungskraft eingebüsst. Die strikten Lockdown-Massnahmen haben nicht nur die Bevölkerung verärgert, sie haben auch die westlichen Investoren abgeschreckt. Dazu kommt, dass Xi Jinping & Co. die wirtschaftlichen Probleme nicht in den Griff bekommen und zu plumpen Propaganda-Massnahmen greifen müssen. So hat die Regierung kürzlich untersagt, dass negative Daten – beispielsweise über die Jugendarbeitslosigkeit – veröffentlicht werden.
Der chinesische Wirtschaftsboom wurde einst als Hoffnung für eine demokratische Öffnung der Gesellschaft gesehen. Diese Hoffnung ist längst gestorben und hat der Angst Platz gemacht, der chinesische Staatskapitalismus werde stattdessen zu einer ernsthaften Konkurrenz des westlichen Liberalismus. Angesichts der aktuellen Probleme Chinas lässt diese Angst nach – dafür steigt die Angst vor einer Militarisierung Chinas.
Der Westen kann sehr gut ohne China auskommen.
China jedoch nicht ohne den Westen.
Natürlich geht die Ablösung nicht von heute auf morgen, sie kann aber durchaus gelingen.