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«Die Chinesen benützen das Smartphone häufiger als wir»

Daryl Liew ist Senior Portfolio Manager  bei der Reyl Bank in Singapur.
Daryl Liew ist Senior Portfolio Manager  bei der Reyl Bank in Singapur.
Interview

Wie weiter im Land der Mitte? «In China ist praktisch kein Bargeld mehr im Umlauf»

Droht ein Crash der chinesischen Wirtschaft? Wird Präsident Xi Jinping zu einem neuen Diktator? Das Reich der Mitte ist für uns im Westen ein grosses Rätsel geworden. Der Analyst und China-Experte Daryl Liew klärt auf. 
23.06.2016, 11:1623.06.2016, 14:48
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Für uns im Westen ist China derzeit ein grosses ökonomisches Geheimnis. Droht ein wirtschaftlicher Kollaps wegen Überschuldung oder ein Techno-Boom? Wie sehen Sie das?
China geht durch einen gewaltigen Restrukturierungsprozess. Das ist ein langsames und mühsames Unterfangen, wie der Kurswechsel bei einem Flugzeugträger.

In welche Richtung soll dieser Flugzeugträger gelenkt werden?
In den letzten Jahrzehnten war China die Werkhalle der Welt. Das ist heute nicht mehr aufrecht zu erhalten. China muss sich zu einer Konsum- und Dienstleistungsgesellschaft wandeln.

«In China ist praktisch kein Bargeld mehr im Umlauf.»

Weshalb? Bisher hat man doch stets von einem chinesischen Wirtschaftswunder gesprochen.
Mit der Finanzkrise 2008 ist es der chinesischen Regierung klar geworden, dass es zu riskant ist, allzu abhängig von Exporten zu sein, vor allem nach den USA. Weil der Handel mit Amerika eingebrochen war, mussten reihenweise Fabriken geschlossen werden. Und mit mehr als 1,2 Milliarden Einwohnern hat China ja mehr als genug eigene Konsumenten.

Typisch für das Land der Mitte: Eine junge Frau benützt ihr iPhone.  
Typisch für das Land der Mitte: Eine junge Frau benützt ihr iPhone.  Bild: HOW HWEE YOUNG/EPA/KEYSTONE

Nun gibt es aber viele Skeptiker, die befürchten, dass China diesen Wandel nicht schaffen und stattdessen in die «Falle der mittleren Einkommen» plumpsen wird. Was ist davon zu halten?
Nicht viel. Bereits jetzt geht der Anteil der alten Wirtschaft – Stahl, Beton, etc. – zurück. Die Regierung hat soeben verkündet, dass 15 Prozent der Kohlekraftwerke geschlossen werden. Umgekehrt boomt mit wachsendem Wohlstand des Mittelstandes der Konsum. Und, was besonders erfreulich ist, der Hightech-Bereich macht ebenfalls grosse Fortschritte.

Wie äussert sich das?
Heute schon benutzen die Chinesen das Smartphone häufiger als wir. Ob Kinokarten oder Fastfood, alles wird online bestellt und bezahlt. Innerhalb von China ist praktisch kein Bargeld mehr im Umlauf. Derweil sind Unternehmen wie Alibaba zu riesigen globalen Playern geworden. Auch Fintech, die Digitalisierung der Finanzwelt, ist in China weit fortgeschritten. Bitcoins werden heute fast ausschliesslich in China gefertigt.

Die Regierung hat jedoch den Gebrauch von Bitcoins verboten. Wie passt das zusammen?
Sie hat Angst, die Hoheit über die Geldpolitik zu verlieren. Diese Angst teilt sie mit verschiedenen anderen Regierungen auf dieser Welt.

«Die Chinesen haben Geld – und wollen es auch ausgeben.»

Was den technischen Fortschritt generell betrifft, gibt es ebenfalls zwei völlig unterschiedliche Einschätzungen. Die einen sagen: China wird eine Entwicklungsstufe überspringen und bald führend sein auf Gebieten wie Elektroautos, Solarenergie oder Fintech. Die anderen sagen: Solange China eine kommunistische Diktatur bleibt, wird es niemals die kreativen Menschen haben, die es für eine solche Entwicklung braucht. Wie lautet ihre Beurteilung?
Apple hat rund eine Milliarde Dollar in den Uber-Konkurrenten Didi Chuxing investiert. Das spricht eher für die erste These, oder nicht? Ich bin überzeugt, dass sich die rasante technische Entwicklung in China fortsetzen wird. Aber es ist durchaus denkbar, dass sich das Tempo gelegentlich verlangsamen wird. In Krisenzeiten ist dies schon mehrmals passiert.

China riskiert, alt zu werden bevor es reich wird, heisst es. Zu Recht?
Die Überalterung ist ein Problem, und die Aufhebung der Ein-Kind-Politik funktioniert bisher noch nicht. Aber derzeit gibt es genügend Konsumenten und genügend Nachfrage für eine florierende Konsumgesellschaft. Schauen Sie sich bloss um. Auch Europa wird zunehmend von chinesischen Touristen überschwemmt. Die Menschen haben Geld – und sie wollen es auch ausgeben.

Umweltverschmutzung ist das grösste Problem der Chinesen.
Umweltverschmutzung ist das grösste Problem der Chinesen.
Bild: CHINA STRINGER NETWORK/REUTERS

Die Menschen wollen aber auch in einer intakten Umwelt leben. China hat gewaltige Umweltprobleme. Lassen die sich überhaupt noch lösen?
Umweltprobleme sind ein zentraler Grund, weshalb sich China zu einer Konsumgesellschaft wandeln will. Auch der Online-Handel boomt, weil die Menschen wegen der Luftverschmutzung ihre Wohnung nicht mehr zum Shoppen verlassen wollen. Die Regierung hat inzwischen Massnahmen ergriffen und pumpt sehr viel Geld in ökologische Verbesserungen, in Solar- und Windenergie, beispielsweise. Bis sie greifen, wird es aber noch eine Weile dauern.

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Im Westen hat man Angst vor der grossen Überschuldung in China, vor den faulen Krediten in den Büchern der Banken. Ist diese Angst berechtigt?
Teilweise schon. Es gibt die faulen Kredite auf den Banken. Wegen der unklaren Datenlage kennt man den genauen Umfang nicht. Doch man muss ganz klar sehen: Es sind nicht – wie etwa in der amerikanischen Subprimekrise – die einzelnen Haushalte, die überschuldet sind. Der chinesische Mittelstand besitzt genügend Cash und Chinesen machen ungern Schulden.

Woher kommen dann die Schulden?
Hauptsächlich von lokalen und regionalen Regierungen. Nach der Finanzkrise haben diese sehr viel Geld in die Wirtschaft gepumpt. Dabei ist es auch zu Fehlinvestitionen gekommen. Daher stammen die faulen Kredite.

Wie kommen die Chinesen aus diesem Schlammassel?
China hatte das gleiche Problem schon um die Jahrtausendwende. Damals konnte es dank des rasanten Wirtschaftswachstums relativ schmerzlos gelöst werden.  Das wird die Regierung auch diesmal versuchen, doch es wird viel schwieriger werden. Das chinesische Wirtschaftswachstum hat sich deutlich verlangsamt.

«Aus asiatischer Sicht ist eine Marktwirtschaft ohne Demokratie vorstellbar.»

Ist das chinesische Schuldenproblem eine Bedrohung für die Weltwirtschaft?
Nein. Die Schulden sind fast ausschliesslich in der eigenen Währung notiert. Und der Renminbi spielt international noch eine unbedeutende Rolle.

Die andere grosse Sorge des Westens ist die politische Entwicklung in China. Das Regime wird unter Präsident Xi Jinping immer autoritärer. Wie wird das enden?
Schwierig zu sagen. Was Xi genau im Schilde führt, ist unklar. Ich vermute, dass er die Wirtschaftsreformen vorantreiben will und dabei auf Widerstände stösst. China ist immer noch ein kommunistisches Land. Doch die Regierung weiss auch, dass sie weiterhin auf ein kräftiges Wirtschaftswachstum angewiesen ist, um nicht in ernsthafte Schwierigkeiten zu geraten. China hat eine lange Tradition von Aufständen und Revolutionen. Deshalb setzt die Regierung alles daran, um die Bevölkerung zufrieden zu stellen.

Wird manchmal bereits mit Mao verglichen: Chinas starker Mann Präsident Xi Jinping.
Wird manchmal bereits mit Mao verglichen: Chinas starker Mann Präsident Xi Jinping.Bild: KOCA SULEJMANOVIC/EPA/KEYSTONE

China hat zwei Optionen: Es kann sich zu einem zunehmend harten autoritären Staat entwickeln oder auf einen weichen Autoritarismus im Sinne von Singapur einschwenken. Welche Option ist wahrscheinlicher?
Präsident Xi ist der autoritärste Führer seit Deng Xiaoping. Ich glaube, dass er in der Wirtschaftspolitik mehr Markt will. Das spricht für ein System, das sich in Richtung Singapur bewegt.

Ist mehr Markt ohne Demokratie möglich?
Aus asiatischer Sicht ist dies sehr wohl möglich. Singapur ist schliesslich auch keine Demokratie im westlichen Sinne.

«Im Ausland verhalten sich die Chinesen sehr marktwirtschaftlich.»

Nationalismus ist derzeit in China hoch im Kurs. Warum?
Es gibt zwei Gründe: Innenpolitisch geht es um die Einigung. Nicht alle Menschen sind Han-Chinesen, es gibt auch Minderheiten wie die Tibeter und die Uiguren, die übrigens Muslime sind. Aussenpolitisch sorgt der Aufstieg von China zu einer neuen Supermacht zwangsläufig für mehr Ärger mit anderen Nationen, vor allem natürlich mit den USA.

Noch zu Beginn dieses Jahrhunderts war das Verhältnis zwischen den USA und China geradezu idyllisch. Man sprach damals gar von «Chimerica». Davon ist nichts übrig geblieben, oder?
Definitiv nicht, und sollte Donald Trump ins Weisse Haus einziehen, wird es noch viel schlimmer werden.

China rüstet auf, zu Land und zur See.
China rüstet auf, zu Land und zur See.
Bild: AP/CCTV via AP

Die Chinesen machen sich aber auch in Asien unbeliebt, bei den Vietnamesen beispielsweise, oder bei den Philippinos. Ganz zu schweigen von der alten Feindschaft mit Japan. Besteht die Gefahr eines Krieges in Asien?
Ich halte das für sehr unwahrscheinlich. Im Zeitalter der Globalisierung sind die einzelnen Volkswirtschaften sehr eng miteinander verknüpft. Ein Krieg hätte nur Verlierer. Doch es lässt sich nicht leugnen: In ganz Asien steigen die Militärausgaben an, und das ist kein gutes Zeichen.  

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Wie beurteilen Sie das Verhältnis zwischen China und den USA?
Bisher haben die USA in diesem Raum für Frieden und Stabilität gesorgt. Es besteht jedoch die Gefahr, dass sie ihr Engagement zurückfahren. Wer würde dann das Vakuum stopfen? China? Japan? Ich kann mir derzeit nicht vorstellen, dass jemand die USA ersetzen kann.

Derzeit spricht man davon, dass China eine «neue Seidenstrasse» bauen will. Was ist damit gemeint?
Es ist eine Art Marshall-Plan, wie ihn die Amerikaner nach dem Zweiten Weltkrieg vorgemacht haben. Die Chinesen besitzen sehr viele Dollar-Reserven und wollen ihren Einfluss in der Welt verstärken. Also was machen sie? Sie investieren im Ausland. Im letzten Jahr haben sie beispielsweise rund 50 Milliarden Dollar in die Infrastruktur in Pakistan investiert. Langfristig wollen sie auf diese Weise zu Land und zur See direkte Verbindungen rund um den Globus aufbauen.

Die Chinesen befinden sich auch auf einem ausgedehnten Shopping-Trip, nicht zuletzt in der Schweiz. Sie wollen beispielsweise Syngenta kaufen, oder Gate Group. Muss uns das beunruhigen?
Nein. Lenovo hat bereits vor mehr als zehn Jahren das PC-Geschäft von IBM übernommen, der Autohersteller Geely hat Volvo gekauft. Für beide Unternehmen hat sich nichts geändert. In einer globalisierten Wirtschaft sind die Eigentümer bunt gemischt. Und was die Chinesen betrifft: Es hat sich gezeigt, dass sie sich im Ausland sehr marktwirtschaftlich verhalten.

Wie ist es umgekehrt. Investieren Sie in China?
Ja, natürlich. Als Schweizer Kleinanleger würde ich mich allerdings an Fonds und ETFs beteiligen und nicht direkt in ein Unternehmen investieren. Es gibt allerdings auch heute schon Unternehmen wie etwa Alibaba, die keinen Vergleich zum Westen scheuen müssen.

Am Nachmittag des 23.
August 2016 findet im Kunsthaus Zürich das sechste Finanz und Wirtschaft Forum
der Reihe «Vision Bank – Vision Finanzplatz Schweiz» statt. (www.forum-executive.ch/finanzplatz). Unter dem Titel
«Bereit für den Wettbewerb» diskutieren u. a. Dr. Patrik Gisel, Markus Gygax, Hansruedi
Köng, Herbert J. Scheidt, Jan Schoch, Martin Scholl und Jürg Zeltner über die
Rolle des Retail Banking, des globalen Wealth Management und über neue
Geschäftsmodelle durch das Aufbrechen der Wertschöpfungskette. 

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China soll chinesischer werden

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quelle: imaginechina / tian zhe
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6 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Schiff Oktave
23.06.2016 12:21registriert April 2016
So so,
"China muss sich zu einer Konsum- und Dienstleistungsgesellschaft wandeln"
will heissen:
Noch mehr Produktion für die Müllhalde . . .
00
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6
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