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Du willst nur das Beste? Voilà:
Für
uns im Westen ist China derzeit ein grosses ökonomisches Geheimnis. Droht ein
wirtschaftlicher Kollaps wegen Überschuldung oder ein Techno-Boom? Wie sehen
Sie das?
China geht durch einen gewaltigen
Restrukturierungsprozess. Das ist ein langsames und mühsames Unterfangen, wie
der Kurswechsel bei einem Flugzeugträger.
In
welche Richtung soll dieser Flugzeugträger gelenkt werden?
In den letzten Jahrzehnten war China die
Werkhalle der Welt. Das ist heute nicht mehr aufrecht zu erhalten. China muss
sich zu einer Konsum- und Dienstleistungsgesellschaft wandeln.
Weshalb?
Bisher hat man doch stets von einem chinesischen Wirtschaftswunder gesprochen.
Mit der Finanzkrise 2008 ist es der
chinesischen Regierung klar geworden, dass es zu riskant ist, allzu abhängig
von Exporten zu sein, vor allem nach den USA. Weil der Handel mit Amerika
eingebrochen war, mussten reihenweise Fabriken geschlossen werden. Und mit mehr
als 1,2 Milliarden Einwohnern hat China ja mehr als genug eigene Konsumenten.
Nun
gibt es aber viele Skeptiker, die befürchten, dass China diesen Wandel nicht
schaffen und stattdessen in die «Falle der mittleren Einkommen»
plumpsen wird. Was ist davon zu halten?
Nicht viel. Bereits jetzt geht der Anteil der
alten Wirtschaft – Stahl, Beton, etc. – zurück. Die Regierung hat soeben
verkündet, dass 15 Prozent der Kohlekraftwerke geschlossen werden. Umgekehrt
boomt mit wachsendem Wohlstand des Mittelstandes der Konsum. Und, was besonders
erfreulich ist, der Hightech-Bereich macht ebenfalls grosse Fortschritte.
Wie
äussert sich das?
Heute schon benutzen die Chinesen das
Smartphone häufiger als wir. Ob
Kinokarten oder Fastfood, alles wird online bestellt und bezahlt. Innerhalb von
China ist praktisch kein Bargeld mehr im Umlauf. Derweil sind Unternehmen wie
Alibaba zu riesigen globalen Playern geworden. Auch Fintech, die
Digitalisierung der Finanzwelt, ist in China weit fortgeschritten. Bitcoins
werden heute fast ausschliesslich in China gefertigt.
Die
Regierung hat jedoch den Gebrauch von Bitcoins verboten. Wie passt das
zusammen?
Sie hat Angst, die Hoheit über die Geldpolitik
zu verlieren. Diese Angst teilt sie mit verschiedenen anderen Regierungen auf
dieser Welt.
Was
den technischen Fortschritt generell betrifft, gibt es ebenfalls zwei völlig
unterschiedliche Einschätzungen. Die einen sagen: China wird eine Entwicklungsstufe überspringen und bald
führend sein auf Gebieten wie Elektroautos, Solarenergie oder Fintech. Die
anderen sagen: Solange China eine kommunistische Diktatur bleibt, wird es
niemals die kreativen Menschen haben, die es für eine solche Entwicklung braucht.
Wie lautet ihre Beurteilung?
Apple hat rund eine Milliarde Dollar in den Uber-Konkurrenten Didi Chuxing investiert. Das spricht eher für die erste These, oder nicht? Ich bin
überzeugt, dass sich die rasante technische Entwicklung in China fortsetzen
wird. Aber es ist durchaus denkbar, dass sich das Tempo gelegentlich
verlangsamen wird. In Krisenzeiten ist dies schon mehrmals passiert.
China
riskiert, alt zu werden bevor es reich wird, heisst es. Zu Recht?
Die Überalterung ist ein Problem, und die
Aufhebung der Ein-Kind-Politik funktioniert bisher noch nicht. Aber derzeit
gibt es genügend Konsumenten und genügend Nachfrage für eine florierende
Konsumgesellschaft. Schauen Sie sich bloss um. Auch Europa wird zunehmend von
chinesischen Touristen überschwemmt. Die Menschen haben Geld – und sie wollen
es auch ausgeben.
Die
Menschen wollen aber auch in einer intakten Umwelt leben. China hat gewaltige
Umweltprobleme. Lassen die sich überhaupt noch lösen?
Umweltprobleme sind ein zentraler Grund,
weshalb sich China zu einer Konsumgesellschaft wandeln will. Auch der
Online-Handel boomt, weil die Menschen wegen der Luftverschmutzung ihre Wohnung
nicht mehr zum Shoppen verlassen wollen. Die Regierung hat inzwischen Massnahmen
ergriffen und pumpt sehr viel Geld in ökologische Verbesserungen, in Solar- und
Windenergie, beispielsweise. Bis sie greifen, wird es aber noch eine Weile
dauern.
Im
Westen hat man Angst vor der grossen Überschuldung in China, vor den faulen
Krediten in den Büchern der Banken. Ist diese Angst berechtigt?
Teilweise schon. Es gibt die faulen Kredite auf
den Banken. Wegen der unklaren Datenlage kennt man den genauen Umfang nicht.
Doch man muss ganz klar sehen: Es sind nicht – wie etwa in der amerikanischen
Subprimekrise – die einzelnen Haushalte, die überschuldet sind. Der chinesische
Mittelstand besitzt genügend Cash und Chinesen machen ungern Schulden.
Woher
kommen dann die Schulden?
Hauptsächlich von lokalen und regionalen Regierungen. Nach der Finanzkrise haben diese sehr viel Geld in die Wirtschaft
gepumpt. Dabei ist es auch zu Fehlinvestitionen gekommen. Daher stammen die
faulen Kredite.
Wie
kommen die Chinesen aus diesem Schlammassel?
China hatte das gleiche Problem schon um die
Jahrtausendwende. Damals konnte es dank des rasanten Wirtschaftswachstums relativ schmerzlos gelöst werden. Das wird die Regierung auch diesmal versuchen, doch es wird
viel schwieriger werden. Das chinesische Wirtschaftswachstum hat sich deutlich
verlangsamt.
Ist
das chinesische Schuldenproblem eine Bedrohung für die Weltwirtschaft?
Nein. Die Schulden sind fast ausschliesslich in
der eigenen Währung notiert. Und der Renminbi spielt international noch eine
unbedeutende Rolle.
Die
andere grosse Sorge des Westens ist die politische Entwicklung in China. Das
Regime wird unter Präsident Xi Jinping immer autoritärer. Wie wird das enden?
Schwierig zu sagen. Was Xi genau im Schilde
führt, ist unklar. Ich vermute, dass er die Wirtschaftsreformen vorantreiben
will und dabei auf Widerstände stösst. China ist immer noch ein kommunistisches
Land. Doch die Regierung weiss auch, dass sie weiterhin auf ein kräftiges
Wirtschaftswachstum angewiesen ist, um nicht in ernsthafte Schwierigkeiten zu geraten.
China hat eine lange Tradition von Aufständen und Revolutionen. Deshalb setzt
die Regierung alles daran, um die Bevölkerung zufrieden zu stellen.
China
hat zwei Optionen: Es kann sich zu einem zunehmend harten autoritären Staat
entwickeln oder auf einen weichen Autoritarismus im Sinne von Singapur einschwenken. Welche
Option ist wahrscheinlicher?
Präsident Xi ist der autoritärste Führer seit
Deng Xiaoping. Ich glaube, dass er in der Wirtschaftspolitik mehr Markt will.
Das spricht für ein System, das sich in Richtung Singapur bewegt.
Ist
mehr Markt ohne Demokratie möglich?
Aus asiatischer Sicht ist dies sehr wohl
möglich. Singapur ist schliesslich auch keine Demokratie im westlichen Sinne.
Nationalismus
ist derzeit in China hoch im Kurs. Warum?
Es gibt zwei Gründe: Innenpolitisch geht es um
die Einigung. Nicht alle Menschen sind Han-Chinesen, es gibt auch Minderheiten
wie die Tibeter und die Uiguren, die übrigens Muslime sind. Aussenpolitisch sorgt der Aufstieg von
China zu einer neuen Supermacht zwangsläufig für mehr Ärger mit anderen
Nationen, vor allem natürlich mit den USA.
Noch
zu Beginn dieses Jahrhunderts war das Verhältnis zwischen den USA und China
geradezu idyllisch. Man sprach damals gar von «Chimerica». Davon ist nichts
übrig geblieben, oder?
Definitiv nicht, und sollte Donald Trump ins
Weisse Haus einziehen, wird es noch viel schlimmer werden.
Die
Chinesen machen sich aber auch in Asien unbeliebt, bei den Vietnamesen
beispielsweise, oder bei den Philippinos. Ganz zu schweigen von der alten
Feindschaft mit Japan. Besteht die Gefahr eines Krieges in Asien?
Ich halte das für sehr unwahrscheinlich. Im
Zeitalter der Globalisierung sind die einzelnen Volkswirtschaften sehr eng miteinander
verknüpft. Ein Krieg hätte nur Verlierer. Doch es lässt sich nicht leugnen: In
ganz Asien steigen die Militärausgaben an, und das ist kein gutes Zeichen.
Wie
beurteilen Sie das Verhältnis zwischen China und den USA?
Bisher haben die USA in diesem Raum für Frieden
und Stabilität gesorgt. Es besteht jedoch die Gefahr, dass sie ihr Engagement
zurückfahren. Wer würde dann das Vakuum stopfen? China? Japan? Ich kann mir
derzeit nicht vorstellen, dass jemand die USA ersetzen kann.
Derzeit
spricht man davon, dass China eine «neue Seidenstrasse» bauen will. Was ist
damit gemeint?
Es ist eine Art Marshall-Plan, wie ihn die
Amerikaner nach dem Zweiten Weltkrieg vorgemacht haben. Die Chinesen besitzen sehr
viele Dollar-Reserven und wollen ihren Einfluss in der Welt verstärken. Also
was machen sie? Sie investieren im Ausland. Im letzten Jahr haben sie
beispielsweise rund 50 Milliarden Dollar in die Infrastruktur in Pakistan
investiert. Langfristig wollen sie auf diese Weise zu Land und zur See direkte
Verbindungen rund um den Globus aufbauen.
Die
Chinesen befinden sich auch auf einem ausgedehnten Shopping-Trip, nicht zuletzt in der
Schweiz. Sie wollen beispielsweise Syngenta kaufen, oder Gate Group. Muss uns
das beunruhigen?
Nein. Lenovo hat bereits vor mehr als zehn Jahren das PC-Geschäft von IBM
übernommen, der Autohersteller Geely hat Volvo gekauft. Für beide Unternehmen hat sich nichts
geändert. In einer globalisierten Wirtschaft sind die Eigentümer bunt gemischt.
Und was die Chinesen betrifft: Es hat sich gezeigt, dass sie sich im Ausland
sehr marktwirtschaftlich verhalten.
Wie
ist es umgekehrt. Investieren Sie in China?
Ja, natürlich. Als Schweizer Kleinanleger würde ich mich allerdings an Fonds und ETFs beteiligen
und nicht direkt in ein Unternehmen investieren. Es gibt allerdings auch heute
schon Unternehmen wie etwa Alibaba, die keinen Vergleich zum Westen scheuen
müssen.