Derzeit kann man überall
lesen, dass sich das Bankensystem wieder stabilisiert hat. Ist es nicht
schlechtes Timing, wenn Sie jetzt mit einem Buch mit dem Titel «Das Ende der
Banken» auf den Markt kommen?
Wenn
ich da etwa an die Deutsche Bank denke, bin ich nicht so sicher, ob Ihre These
stimmt. Dazu kommt, dass 2017 in
Italien Banken gerettet werden mussten und Russland eine Bankenkrise hatte. Zu Recht heisst es auch: Banken
sehen immer stabil aus – bis sie es nicht mehr sind.
Die Phase der
aussergewöhnlichen Kreditschöpfung mit komplexen Finanzinstrumenten, wie es sie
vor der Finanzkrise gab, scheint jedoch vorüber zu sein.
Wirklich?
Global steigt die Verschuldung nach wie vor, vor allem in den Schwellenländern.
In den Industrieländern haben wir immer noch rekordtiefe Zinsen, in der
Schweiz gar Negativzinsen. So gesehen ist es gewagt zu behaupten, das
Finanzsystem sei gesund.
Ist ein gesundes, stabiles
Bankensystem nicht ein Widerspruch in den Begriffen?
In
der Nachkriegszeit war das Bankensystem in den westlichen Industriestaaten
ziemlich stabil. Mit der Digitalisierung wurde es dynamischer – aber auch
riskanter.
Heute verteilen die Banken
vor allem Hypothekarkredite.
Ja,
und wahrscheinlich fliesst der grösste Teil in bestehende Objekte. Das bedeutet
auch, dass die Banken kaum mehr investieren, um die Wirtschaft produktiver zu
machen, sondern Vermögensblasen fördern.
Gibt es in einer zunehmend
digitalisierten Wirtschaft nicht zu wenig Möglichkeiten, in produktive Bereiche
zu investieren?
Das
glaube ich nicht. Wir haben noch sehr viele Möglichkeiten, unsere Welt schöner
und besser zu machen. Ich denke da auch an ökologische Investitionen oder an
Investitionen in die Infrastruktur unserer Städte.
Was stört Sie am bestehenden
Bankensystem?
Der
wahnwitzig hohe Verwaltungsaufwand, der heute betrieben werden muss. In einer
Grossbank müssen heute Zehntausende von Mitarbeitern in der Compliance-Abteilung
dafür sorgen, dass die bestehenden Regeln eingehalten werden. Dazu kommt das
ganze Regulierungswerk, das immer weiter auswuchert und nur dazu dient, das
Ganze unter Kontrolle zu halten. Das hat dazu geführt, dass heute das
Finanzsystem erstens ineffizient und zweitens verpolitisiert worden ist.
Die schärferen Regeln und
die vermehrte Aufsicht sollten doch das System sicherer machen. Ist das eine
Illusion?
Ja.
Dank der Versicherung für die Einleger und die Rolle der Zentralbanken als
Retter in höchster Not haben wir heute eine Art Las-Vegas-Prinzip bei den Banken.
Die Garantien erlauben es Bankern, mit fremdem Geld hohe Risiken einzugehen.
Als die Banken noch mit dem
eigenen Geld spekulierten, bestand jedoch permanent die Gefahr eines Bankruns, weil
bei ersten Anzeichen einer Krise die verunsicherte Sparer schlagartig ihr Geld abheben wollten.
Diese
Bankruns hat es gegeben, und sie waren eine grosse Gefahr für die
Wirtschaft. Deshalb hat der Staat
auch reagiert und die erwähnten Garantien eingeführt. Das wiederum hat zu neuen
schädlichen Nebenwirkungen geführt, eben dazu, dass die Banken mehr oder
weniger gefahrlos spekulieren können.
Seit der Finanzkrise sind
diese Möglichkeiten doch stark eingeschränkt worden.
Eben
nicht, und zwar wegen der Digitalisierung. Um im Bild zu bleiben: Man hat den
Banken gesagt: Ihr dürft nicht mehr nach Las Vegas gehen. Mittlerweile gibt es
jedoch eine Vielzahl von Online-Casinos, und es ist unmöglich sicherzustellen,
dass die Banken nicht online gambeln. Oder um ein anderes Bild zu gebrauchen: Auf
amerikanischen Rummelplätzen gibt es das so genannte «whack-a-mole». Es ist
eine Art Hau-den-Lukas, bei dem man auf den Kopf eines Maulwurfs haut, der stets
an anderer Stelle wieder auftaucht. Die Banken sind ein bisschen wie dieser
Maulwurf. Sie suchen stets nach neuen Möglichkeiten, Risiken einzugehen.
Die Banken wollen ganz
einfach so viel Geld verkaufen wie möglich, genauso wie ein Bäcker auch so
viele Brötchen wie möglich verkaufen will.
Ja,
und wenn der Regulator das stoppen will, haut er auf den Kopf des Maulwurfs.
Dieser taucht jedoch sofort an anderer Stelle wieder auf. Dann muss man ihm
wieder auf den Kopf hauen, usw. In der digitalisierten Bankenwelt sind die
Möglichkeiten grenzenlos geworden. Daher kann man die Banken praktisch nicht
mehr kontrollieren.
Wir stimmen bald über die
Vollgeld-Initiative ab. Sie hat zum Ziel, die Kreditschöpfung der Banken wieder
in den Griff zu bekommen. Was halten Sie von dieser Initiative?
Die
Idee stammt aus den Dreissigerjahren und passt nicht mehr ins digitale
Zeitalter. Um nochmals das Bild des «whack-a-mole» zu bemühen: Die
Vollgeld-Initiative will mit einem riesigen Hammer auf den Maulwurfkopf hauen.
Sie kann jedoch auch nicht verhindern, dass er an anderer Stelle wieder
auftaucht. Man will die Banken noch mehr regulieren, aber nicht das
Bankensystem ändern. Daher lehne ich diese Initiative ab.
Die Kritik an der
Kreditschöpfung der Geschäftsbanken teilen Sie jedoch?
Ja,
hier zeigen die Vollgeld-Anhänger auf einen wunden Punkt. Und sie haben auch
dazu beigetragen, dass viele Menschen heute mehr über unser Finanzsystem nachdenken.
Was halten Sie von Kryptowährungen
und Blockchain?
Die
Blockchain ist eine Technik. Wird die Blockchain im bestehenden System der
doppelten Buchhaltung verwendet, dann ändert sich gar nichts. Man sieht ja
bereits, wie die Banken die Fintech immer mehr für sich vereinnahmen. Die
Blockchain könnte daher paradoxerweise das bestehende System noch komplexer und
undurchsichtiger machen. Das System zu ändern ist nur auf politischem Weg
möglich.
Die Väter der
Kryptowährungen wollten doch wie Sie die Banken aushebeln.
Sathoshi
Nakamoto wollte tatsächlich ein anderes Finanzsystem. Betrachtet man die Bitcoins
heute, dann sind sie eine Art digitales Gold geworden. Auf diesem Gold wird das
gleiche fraktionale Bankensystem aufgebaut, das wir bereits haben.
Nakamoto wollte doch auch
ein dezentrales Finanzsystem und die Mittelmänner ausschalten. Wurde seine Idee
verraten?
Sie
ist vom bestehenden System aufgesogen worden. Gewisse Teile der
Krypto-Community haben nicht mehr viel mit den Ideen der Gründerväter gemein.
Sie gleichen vielmehr der Investmentbanker-Szene der 80er und 90er Jahre. Alles
dreht sich ums schnelle Geld und
um den Maserati.
Jetzt wird es schwierig,
jetzt müssen Sie erklären, wie Sie es besser machen wollen.
Ich
plädiere für ein dezentrales Finanzsystem, ohne mächtige Zentralbank und
Geschäftsbanken in der Mitte. Also eine Art Peer-to-Peer-Lending-System, in dem
Unternehmen und Privatpersonen direkt miteinander in Kontakt treten.
Das war ein bisschen
schnell. Können wir eine Slow-Motion-Version haben?
Wir
haben einerseits die reale Wirtschaft und andererseits die Finanzwelt. Diese
Welt besteht im Wesentlichen aus miteinander verbundenen Bilanzen. Diese
Bilanzen müssen wir nicht mehr via Banken verbinden, sondern können das direkt.
Stark vereinfacht ausgedrückt heisst dies: Keine Firma soll mit geliehenem Geld
spekulieren. Wenn sich alle an diese Regel halten, dann wird nie ein Bankrott
einer Firma eine Kettenreaktion auslösen können.
Heisst dies, dass Sie wie die
Vollgeld-Initiative die Kreditschöpfung der Geschäftsbanken unterbinden wollen?
Ja,
Geldschöpfung aus Kredit ist nicht mehr nötig. Dank der digitalen Revolution
können wir ohne auskommen, und es wird weiterhin genügend Kredite für die reale
Wirtschaft geben.
Den Franken und die
Schweizer Nationalbank gibt es aber nach wie vor?
Ja,
aber in einer neuen Form. In einem dezentralen Finanzsystem hat die
Nationalbank eine neue Funktion. Sie muss das Geld, das digital sein wird, anders
zur Verfügung stellen.
Habe ich dann noch ein Konto
bei der ZKB oder bei der UBS?
Ja,
Finanzinstitute wird es immer geben. Sie werden weiterhin Kredite managen,
unsere Vermögen verwalten, etc. Wir wollen nicht das Finanzsystem zerschlagen.
Was ändert sich also?
Die
Art und Weise wie Finanzinstitute verkabelt sind. Diese Verkabelung muss
dezentral erfolgen. Dank der Digitalisierung ist dies heute auch möglich
geworden. Die Finanzinstitute werden dann nicht mehr die riesigen Bilanzen mit
sich schleppen. Damit gibt es auch das «Too-big-to-fail»-Problem nicht mehr.
Fällt ein Finanzinstitut um, dann kann es nicht mehr das ganze System ins Elend
stürzen.
Nochmals langsam.
Heute
erzeugt das Bankensystem einen riesigen Kabelsalat. Geld und Kredit sind über
zahllose Bilanzen verschwurbelt, so dass niemand mehr nachvollziehen kann, wo
die Risiken sind. In unserem dezentralen System sind die Teilnehmer direkt miteinander verbunden, alles
läuft von Punkt zu Punkt. Das ist effizienter – und sicherer.
Ich habe Geld gespart. Wie
kann ich es in Ihrem System anlegen?
Eigentlich
wie heute. Sie gehen zum Finanzinstitut Ihrer Wahl, lassen sich ihr
Risikoprofil anfertigen und ihre Wünsche aufnehmen. Ihr Spargeld wird danach
mit Algorithmen nach dem Peer-to-Peer-Prinzip verteilt. Sie haben dabei
vollkommene Transparenz und wissen jederzeit, wo ihr Geld investiert ist.
Wie genau verhindert dieses
System, dass die Banken unkontrolliert Geld schöpfen?
Das
System verhindert, dass weder eine Bank noch sonst irgendeine Firma systemische
Risiken schaffen kann. Dadurch sind endlich auch Finanzinstiute den Gesetzen
des Marktes unterworfen. Es entsteht ein Finanzmarkt in eigentlichen Sinn des
Wortes. Das System wird nicht mehr durch staatliche Garantien und Regulierungen
verzerrt. Und Geld wird seinem eigentlichen Zweck zugeführt: Es wird zum
Schmiermittel der realen Wirtschaft.