Wirtschaft
Schweiz

Post-Chef Roberto Cirillo im Interview: Wird die A-Post abgeschafft?

Roberto Cirillo, CEO Schweizerische Post, spricht waehrend der Jahresmedienkonferenz der Schweizerischen Post, am Donnerstag, 14. Maerz 2024 in Bern. (KEYSTONE/Anthony Anex)
Weniger Briefe, mehr Pakete: Post-Chef Roberto Cirillo verrät, wie die Post der Zukunft aussehen wird. Bild: keystone
Interview

«Wir wollen die A-Post nicht abschaffen»

Der Konzernchef der Post sagt im Interview, welcher Brief heute der beliebteste ist, wieso er an E-Voting glaubt und welche Folgen die Einführung des QR-Codes auf Einzahlungsscheinen für den Postschalter hat.
14.03.2024, 22:3614.03.2024, 22:39
Florence Vuichard / ch media
Mehr «Wirtschaft»

«Heute eingeworfen, morgen zugestellt», das ist eigentlich noch immer der Leitsatz der Post. Doch nun will Post-Minister Albert Rösti die A-Post abschaffen. Ist das in Ihrem Sinne?
Roberto Cirillo:
Was wir sagen können, ist das Folgende: Wir wollen die A-Post nicht abschaffen. Wir werden sicher nicht ein Produkt aus dem Markt nehmen, das die Kunden wollen. Was Sie ansprechen, ist eine regulatorische Anpassung, damit sich auch die Post in Zukunft an die Wünsche der Kunden anpassen kann. Wir werden A-Post anbieten, solange dieses Produkt sinnvoll und gefragt ist.

Wieso drängen Sie denn auf die Anpassung des Gesetzes?
Das aktuelle Gesetz stammt aus einer anderen Zeit. 2002 war die Digitalisierung kein Thema und die Post hat über 3 Milliarden Briefe verteilt. Das war ein absoluter Rekordwert. Seitdem ist die Briefmenge Jahr für Jahr gesunken. Jetzt müssen die Regeln angepasst werden, damit die Post weiterhin eigenwirtschaftlich die Grundversorgung erbringen kann. Denn wenn der Abstand zwischen dem, was wir von Gesetzes wegen anbieten müssen, und dem, was der Nachfrage der Kundinnen und Kunden entspricht, zu gross wird, dann wird das ganze System zusammenbrechen.

Übertreiben Sie jetzt nicht?
Die Realität am Markt bewegt sich massiv schneller als das, was das Gesetz machen kann. Das haben wir zum Beispiel jetzt erlebt mit den Einzahlungen am Schalter. Mit der Einführung des QR-Codes sind die Einzahlungen am Schalter jährlich um 18 Prozent zurückgegangen. Das heisst: Das Volumen ist innert dreier Jahre um fast 60 Prozent gesunken. Wenn wir eine solche Situation bei der Briefpost erleben in fünf oder zehn Jahren, sind die Folgen dramatisch. Dann reden wir nicht von Verlusten von ein paar 10 Millionen Franken, sondern würden in einer kurzen Zeit Hunderte von Millionen Verlust machen. Die Einzige, die das verhindern und steuern kann, ist die Post. Deshalb braucht sie mehr Freiheiten.

Wann fällt denn das Briefvolumen unter eine kritische Grösse, bei der die Post ihre Infrastruktur nicht mehr finanzieren kann?
Wenn die Entwicklung so weitergeht, könnte das irgendwann zwischen 2028 und 2034 eintreffen. Dann würde die Briefpost wohl unter die Milliardengrenze fallen. Dann würde das Unternehmen anfangen, massive Defizite einzufahren. Und dann wird man bereuen, dass man nicht fünf Jahre früher das Gesetz modernisiert hat.

Das System mit zwei Geschwindigkeiten, mit der A- und B-Post, wurde 1991 eingeführt, weil es zu viele Briefe gab. Nun wird es abgeschafft, weil es zu wenig Briefe gibt. Es gibt dann wieder nur eine Geschwindigkeit, aber ein langsamere.
Falsch. Die Briefpost besteht heute nicht nur aus A-Post. Diese macht nur noch gut einen Viertel aus. Heute werden 1,65 Milliarden Briefe zugestellt. Davon sind schon 52 Prozent, und damit über die Hälfte, B2-Briefe ...

B2-Briefe?
Das sind Massenbriefe, die in fünf bis sechs Tage zugestellt werden. Dann gibt es ungefähr 20 Prozent B-Briefe, die innerhalb von drei Tagen zugestellt werden müssen, und 28 Prozent A-Briefe.

Sie haben ja die Briefpost und die Paketpost zusammengelegt, also ein Schrumpf- und ein Wachstumsgeschäft. Bei den Paketen mussten Sie 2023 einen Rückgang hinnehmen. Ist der Paketboom vorbei?
Nein, wir sehen weltweit die gleichen Trends: Überall nimmt der Onlinehandel zu und damit auch die Paketmenge. Das wird in der Schweiz nicht anders sein. Wir erwarten hierzulande sogar noch ein grösseres Wachstum, weil die Schweiz in der Entwicklung ein bisschen hintendrein hinkt, etwa im Vergleich zu Ländern wie England, den USA oder Japan. Deshalb werden stetig unsere Kapazitäten für die Paketpost erweitern.

Das reicht aber nicht, um die Verluste in der Briefpost zu kompensieren?
Nein, bei weitem nicht. Wir brauchen etwa sieben bis acht Pakete, um gleichviel zu verdienen wie mit einem einzigen Brief. Und wir müssen bedenken: Ein Brief ist ein dünnes und handliches Produkt, das automatisiert verarbeitet werden kann und zwischen 50 bis 100 Gramm wiegt. Dafür bekommen wir im Schnitt rund 1 Franken. Pakete hingegen sind schwere, voluminöse und logistisch komplexe Dinge zu Preisen von nur rund 10 Franken. Das steht in keinem Verhältnis, die Paketmargen sind dünn. Aber man kann davon leben. Wir können jedoch damit nicht alles ersetzen, was wir bei den Briefen verlieren.

Deshalb stossen Sie in neue Geschäftsfelder vor.
Wir bauen unsere grenzüberschreitende Güterlogistik und digitalen Dienstleistungen aus. Mit solchen Bereichen haben wir eine Chance, das System im Gleichgewicht zu halten. Ich wiederhole: eine Chance, nicht die Garantie.

Der Bereich, der die Brief- und Paketpost umfasst, steuert heute rund 57 Prozent zum Gesamtumsatz der Post bei. Die digitalen Dienstleistungen sind etwa bei 0 Prozent.
Das ist jetzt ein bisschen böse.​

Es sind knapp 160 Millionen Franken in einem 7-Milliarden-Konzern. Und Ihre Aushängeschilder E-Voting, das elektronische Patientendossier und die E-ID haben einen Service-public-Charakter und werden nie grosse Gewinne abwerfen.
Korrekt. Wir werden auch in diesem Bereich Service public und andere Dienstleistungen anbieten, die dann mehr Gewinne abwerfen werden. Als wir vor drei Jahren angefangen haben, bestand die Abteilung nur aus Kosten. Wir haben den Umsatz seitdem deutlich erhöht - ohne dass das Defizit gewachsen wäre. Aber irgendwann in den nächsten fünf Jahren schaffen wir den Sprung in die schwarzen Zahlen, dann wird es ein profitables und skalierbares Business.

Sie haben den Glauben also daran noch nicht verloren?
Nein. Als die briefliche Abstimmung eingeführt wurde, hat auch niemand daran geglaubt. Das Ende der Demokratie wurde beschworen. Heute stimmt 90 Prozent der Bevölkerung brieflich ab. Und irgendwann wird sich auch E-Voting durchsetzen. Es braucht Zeit. Wir sind die Schweizerische Post, wir denken langfristig. Wir sind nicht ein Private-Equity-Unternehmen, das alles aus dem Portfolio wirft, das nicht nach ein paar Jahren noch das grosse Geld bringt. Zudem kann sich alles sehr schnell ändern, und zwar in beide Richtungen. Nehmen wir zum Beispiel Twint.

Die Bezahlapp, die ursprünglich von der Postfinance gestartet wurde.
Heute halten wir noch 26 Prozent der Aktien. Twint wurde vor zehn Jahren gegründet. Die App war schnell beliebt, schrieb aber zehn Jahre lang Verluste. Dann plötzlich schnellte die Menge der Nutzer und Transaktionen in die Höhe. Und nun hat Twint 2023 zum ersten Mal Gewinn geschrieben. Und jetzt wird es funktionieren. Es braucht eine riesige Zahl, damit ein solches Zahlungsmittel funktionieren kann.

Und Sie glauben, Sie haben noch ein zweites Twint in Ihrem Portfolio?
Nein, wir glauben nicht, dass es ein zweites Twint gibt, also eine Investition, die jetzt plötzlich skalieren wird. Aber wir sind überzeugt, dass alles, was wir im Portfolio jetzt entwickelt oder gekauft haben, ein Bestandteil der technologischen Plattformen darstellt, die in Zukunft notwendig sein wird, damit wir unsere postalischen Dienstleistungen in dieser hybriden Welt anbieten können.

Letzte physische Bastion der Post ist das Poststellennetz, das mittlerweile auf rund 770 Filialen zurechtgestutzt wurde. Wird dieses nun weiter abgebaut?
Wir arbeiten derzeit an unserer Strategie für die Jahre 2025 bis 2028. Das trifft auch das Poststellennetz. Wir haben das Netz nun für Dritte geöffnet, das war ein richtiger Entscheid. Nun müssen wir in die Automatisierung und Digitalisierung des Netzes investieren. Wir reden hier von dreistelligen Millionenbeträgen. Aber damit wir diese Investitionen machen können, müssen wir einen Horizont haben von 10 oder 15 Jahren. Wir können es uns nicht leisten, Geld in Standorte zu investieren, wo die Nachfrage schwindet. Das heisst, wir müssen vorher darüber reden, wie das Netz aussehen soll - und die Formate anpassen.

Anpassen heisst letztlich traditionelle Filialen schliessen, oder?
Es muss einfach das richtige Format sein. Die beliebtesten Formate sind gemäss den Zahlen 2023 unsere Filialen mit Partner und die My-Post-24-Automaten.

(aargauerzeitung.ch)

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
56 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
56
Chemieunfall im Raum Schweizerhalle BL geht offenbar glimpflich aus
Ein Chemieunfall in Schweizerhalle bei Pratteln BL ist in der Nacht auf Samstag offenbar glimpflich ausgegangen. Verletzt wurde niemand. Messungen hätten zu keinem Zeitpunkt erhöhte Werte angezeigt, bilanzierte die Polizei am Samstagmorgen.

Nach rund sieben Stunden haben die Einsatzkräfte kurz nach 04.00 Uhr früh definitiv Entwarnung gegeben, wie aus einer Mitteilung der Baselbieter Kantonspolizei vom Samstag hervorging. Zuvor war die Bevölkerung über Alertswiss sowie Radiodurchsagen vorsorglich gewarnt worden.

Zur Story