EU will Stahlzölle auf 50 Prozent hochschrauben – auch für die Schweiz
Zollmauern hochziehen kann nicht nur US-Präsident Donald Trump, sondern auch die Europäische Union. Ab nächstem Jahr sollen bis zu 50 Prozent Zölle auf Stahleinfuhren von ausserhalb gezahlt werden müssen, kündigte die EU-Kommission am Dienstag an. Das Ziel: die Importe um rund die Hälfte zu verringern und damit die serbelnde EU-Stahlindustrie zu schützen
Der Zollhammer à la EU braucht zwar noch die Zustimmung des Europäischen Parlaments und den Mitgliedsstaaten. Dass diese kommt, ist aber so gut wie sicher: Immerhin hat der grösste deutsche Stahlkonzern Thyssen-Krupp jüngst den Abbau von 11‘000 Stellen angekündigt.
Anderorts sieht es ähnlich düster aus. Die Branche steckt im Jammertal. Unternimmt man nichts, drohen die europäischen Stahlwerke zu verschwinden, so die Befürchtung nicht nur in Brüssel, sondern auch in vielen Hauptstädten. Und das will man nicht zulassen: Stahl gilt in der EU als eine Branche, die aus strategischer Sicht unbedingt erhalten bleiben muss.
Schweiz anders als EWR nicht ausgenommen – schon wieder
Betroffen von den Zöllen werden auch Schweizer Stahlwerke sein. Wie schon bei den vorangegangenen Stahl- und Aluminiumzöllen hat die Schweiz im Gegensatz zu den EWR-Staaten Norwegen, Island und Liechtenstein keine Ausnahme erhalten. Und das, obwohl sich der Bundesrat das letzte Mal bei der EU stark dafür ins Zeug legte, nicht noch einmal ins Kreuzfeuer zu geraten.
In Brüssel heisst es, man sei in einer sehr schwierigen Situation: «Wir haben keine andere Wahl, als die Einfuhrmenge zu reduzieren», sagt ein hoher EU-Beamter. Der Grund sei die unfaire Konkurrenz. Das heisst: Länder wie China, die Türkei, Indien oder Vietnam produzieren mit Hilfe von Staatssubventionen weit mehr Stahl, als der Weltmarkt aufnehmen kann.
Die Überkapazitäten seien mittlerweile fünfmal grösser als die ganze Nachfrage in Europa. Das führt dazu, dass die EU mit Billig-Stahl überflutet wird und die hiesigen Produzenten aus dem Geschäft gedrängt werden. Das Problem hat sich weiter akzentuiert, seit die USA ihren Markt abgeschottet haben. Seitdem kommt noch mehr Billig-Stahl nach Europa.
Aber warum auch die Schweiz mitbestrafen, wenn das Problem in China liegt? Hierzulande wird auch kein Billig-Stahl, sondern vielmehr das Gegenteil, vor allem hochwertige Stahlprodukte hergestellt. Die Argumentation in Brüssel fällt gnadenlos aus: Die Schweiz sei nicht im EWR und könne deshalb nicht von der Ausnahme profitieren. Daneben seien unterschiedliche Zollsätze je nach Land diskriminierend und nicht im Einklang mit Welthandelsrecht. Auch Grossbritannien zum Beispiel muss die neuen Zölle berappen. Und natürlich alle anderen Drittstaaten der Welt.
Für Bilaterale III sind neue Zollprobleme «nicht hilfreich»
Umso wichtiger sind deshalb Import-Kontingente, welche von der 50-Prozent-Regel ausgenommen werden. Die EU-Kommission betont, sie sei offen, mit «gleichgesinnten Ländern» wie der Schweiz, die ebenfalls das Problem der Überkapazität angehen wollen, solche Zollfrei-Kontingente auszuhandeln. Diese gibt es schon heute, genauer: seit die USA unter der ersten Trump-Regierung erstmals Stahl- und Aluminiumzölle eingeführt haben.
Die Frage ist: Erhält die Schweiz auch künftig ausreichend Kontingente, die sie braucht, um ihren Stahlproduzenten den EU-Marktzugang zu sichern?
Bleiben die Kontingente unverändert oder werden minim reduziert, dürften sich die Folgen in Grenzen halten, schätzt der Schweizer Industrieverband Swissmem. «Wenn nicht, würde ein weiterer Teil des europäischen Stahlmarktes für Schweizer Firmen wegbrechen», sagt Swissmem-Vize-Direktor Jean-Philippe Kohl auf Anfrage.
Für Stahl Gerlafingen zumindest, eines der beiden verbliebenen grösseren Stahlwerke in der Schweiz, dürften die neuen Zölle kaum eine Rolle spielen. Was wie eine gute Nachricht klingt, hat einen tristen Hintergrund: Wegen der schwierigen Marktsituation wurde die Produktionslinie für den exporttauglichen Profilstahl bereits im vergangenen Jahr stillgelegt. 95 Arbeitsplätze waren betroffen. Seitdem verkauft das Solothurner Stahlwerk praktisch nichts mehr ins EU-Ausland.
Anders sieht es bei Steeltec in Emmenbrücke LU aus. Wie gross die Folgen der neuen Zölle sein werden, konnte das Unternehmen am Dienstag nicht abschätzen. Beim zuständigen Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) gibt man sich zugeknöpft. Es heisst einzig, man analysiere die Details und der Vorschlag könne sich in den Beratungen zwischen Mitgliedstaaten und EU-Parlament auch noch verändern. Darüber hinaus stehe man mit Brüssel in Kontakt, sagt eine Sprecherin.
Offenbar hofft man in der Schweiz darauf, doch noch eine Ausnahme zu erhalten. Das wäre aus Sicht des Bundesrates sicher auch im übergeordneten Interesse. Oder wie es Swissmem formuliert: «Wir erwarten, dass die Schweiz von der EU angemessene länderspezifische Kontingente erhält». Wäre das nicht der Fall, «wäre dies hinsichtlich einer Zustimmung des Volkes zu den Bilateralen III nicht hilfreich», warnt Vize-Direktor Jean-Philippe Kohl.