Ja, es stimmt: Die Inflation ist in der Schweiz bei Weitem nicht so aggressiv wie in vielen umliegenden Ländern. Gerade treffen sich deshalb die führenden Köpfe der internationalen Geldpolitik im portugiesischen Sintra. Sie diskutieren über die weiterführende Strategie im Kampf gegen das «gierige Biest», wie Bundesbankpräsident Joachim Nagel kürzlich sagte.
Doch auch in der Schweiz zeichnet sich ab, dass die Teuerung wohl noch lange bleibt. Und das «gierige Biest» hat mehrere Gesichter. So orientieren sich die Notenbanken bei ihren Zinsentscheiden meist an der sogenannten Kerninflation – was wir Konsumierenden aber vielmehr zu spüren kriegen, ist die «gefühlte» Inflation.
Damit bei der anhaltenden Teuerung nicht auch noch die Verwirrung steigt, machen wir hier die Einteilung und erklären, wo sich welche Preissteigerungen bemerkbar machen.
Die «normale» Inflation ist im Prinzip die Gesamtinflation. Sie wird vom Bundesamt für Statistik monatlich erhoben und publiziert. Zur Messung der Preisentwicklung wird ein Index generiert, der aus einem für die Bevölkerung typischen, oder durchschnittlichen, Warenkorb besteht.
Das bedeutet aber bereits, dass dieses Mass allfällige Steigerungen im höheren Preis- respektive im Luxussegment nicht gut abbildet. Dasselbe gilt für Menschen, die sich vieles überhaupt nicht leisten können – lediglich auf eine Konsumentin, die sich genau im Schweizer Durchschnitt befindet, passt die Gesamtinflationsrate also exakt.
So wird der Index gewichtet:
Hierzulande zeichnet sich bei der Teuerungsrate seit Ende des Winters zwar eine leichte Trendwende ab: Die monatliche Gesamtinflationsrate lag zuletzt im Mai bei 2,2 Prozent – über einen Prozentpunkt tiefer als noch im Februar (3,4 Prozent). Doch auch hier ist die Inflation sehr wahrscheinlich gekommen, um zu bleiben.
Bei ihrem Entscheid letzte Woche, die Zinsen um einen weiteren Schritt zu erhöhen, hat die Schweizerische Nationalbank (SNB) erklärt, dass sie bis ins Jahr 2025 mit einer zu hohen Inflationsrate rechne. Zu hoch – das heisst, über dem Zielwert der SNB von höchstens zwei Prozent. Unter anderem damit begründete sie ihren letzten Zinsschritt um 0,25 Prozentpunkte auf 1,75 Prozent.
Die Gesamtinflationszahlen erhalten am meisten Aufmerksamkeit und sind damit die geläufigsten. So richten sich zum Beispiel auch die Lohnforderungen der Gewerkschaften oft an diese Zahlen. Allerdings nicht ausschliesslich: Gerade im letzten Jahr begründeten die Gewerkschaften ihre Forderungen mit den stark gestiegenen Krankenkassen-Prämien, die – und das wird häufig kritisiert – eben nicht in den LIK einfliessen.
Einfach gesagt, kommen die verschiedenen Arten der Teuerung durch Hinzufügen oder Abziehen verschiedener Komponenten zustande.
Das gilt auch für die sogenannte Kerninflation. Sie ist oft die entscheidende, wenn es um mögliche Zinsschritte der Notenbanken geht. Bei der Kerninflation werden Energie und Nahrungsmittel nicht mitgerechnet. Der Grund: Diese Preise sind oft anfällig für grössere Schwankungen und können die Preisentwicklung verzerren. Die Kerninflation ist damit die stabilere Rate, sie liegt im Moment mit 1,9 Prozent unter der Gesamtinflation.
Weil sich die Notenbanken daran orientieren, wirkt sich diese Inflationsrate einerseits direkt (über die Preise), andererseits aber auch indirekt auf uns aus, und zwar über die Zinsen.
Nirgends wird dieser Umstand so klar wie bei den Mieten: In ihrem Kampf gegen die Inflation heizt die Nationalbank paradoxerweise genau diese weiter an. Dies, weil die mehrmalige Erhöhung des Leitzinses den Vermieterinnen und Vermietern erlaubte, den Referenzzinssatz für die Mieten zu erhöhen. Die Folge davon ist für viele von uns ein Mietzuschlag von teilweise weit über 100 Franken pro Monat und damit deutlich spürbar.
Eigentlich sollten uns die höheren Zinsen aber auch für die Inflation kompensieren, und zwar bei den Zinsen auf unserem Sparkonto. Diese werden allerdings nur zögerlich von den Banken weitergegeben. Einer der Gründe: Der Wettbewerb spielt dort nur bedingt, weil es für viele Kundinnen und Kunden mit viel Aufwand verbunden ist, das Konto zu zügeln.
Bei dieser Definition ist der Name Programm: Die gefühlte Inflation ist ein Mass dafür, wie stark wir Preissteigerungen im Alltag wahrnehmen können. Sie konzentriert sich viel stärker auf Güter des täglichen Gebrauchs.
Die gefühlte Inflation lag im Mai zuletzt bei 2,5 Prozent. Damit ist sie schon seit Längerem höher als die Kerninflation oder die Gesamtinflation.
Dass sich die gefühlte Inflation von den anderen beiden unterscheidet, liegt auch an einem psychologischen Effekt: Im Vordergrund stehe die Annahme, dass Preise von häufig gekauften Gütern stärker wahrgenommen werden als bei Mieten und dauerhaften Gütern, sagt Comparis.
Am stärksten verteuert haben sich gemäss Comparis die Elektrizität (allerdings nur gegenüber dem Vorjahresmonat, da die Energiepreise in der Schweiz lediglich einmal pro Jahr gesetzt werden), Zucker, Margarine, Speiseöle, der Luftverkehr sowie Pauschalreisen.
Im Vergleich zum Vormonat haben ausserdem die Preise von Schaumwein (6 Prozent), Mineralwasser (4,5 Prozent), Weisswein (4,2) sowie von Früchten und Gemüse (3,8) zuletzt einen grossen Sprung nach oben gemacht.
Allerdings muss man auch hier sagen, dass die Schweiz deutlich unter dem Ausland liegt: Die gefühlte Inflation in der Eurozone lagt zuletzt bei fast 17 Prozent (im Vergleich zum Vorjahresmonat) – ungefähr neun Prozentpunkte höher als die tatsächliche Teuerungsrate im selben Zeitraum. In Deutschland lag die gefühlte Inflation gar bei 18 und in Österreich bei 19,5 Prozent. Gute Gründe also, um ein internationales Krisentreffen der Währungshüter einzuberufen.
Interessant wäre hier noch die beleuchtung der nötigen Inflation, welche durch die Umstände erzwungen war (Rohstoffverknappung) und die opportunistische Inflation.
Ein Ökonom sagte mir, dass schätzungsweise 40%-50% der Teuerungen ohne Grund gemacht wurden, sondern aus Gelegenheit, weil jetzt ohnehin damit gerechnet wird und eine Erhöhung weniger hinterfragt wird.
Läden erhöhten selbst bei manchen Produkten, welche sie ohne Preisveränderung einkauften, den Preis.
Das fänd ich auch mal eine Thematisierung wert.
https://www.imf.org/en/Blogs/Articles/2023/06/26/europes-inflation-outlook-depends-on-how-corporate-profits-absorb-wage-gains