Was dieser Gott wohl nicht geahnt hat: Seine Kinder haben sich in den letzten 2000 Jahren geistig mächtig emanzipiert. Glaubten sie zur Zeit von Jesus und noch lang danach, dass die Erde eine Scheibe sei und sich der Himmel wie eine Glocke über dem Planeten wölbe, änderte sich später das Weltbild radikal.
Die rasch wachsenden kognitiven Fähigkeiten führten zu einem Entdeckerdrang, der den Kirchenfürsten nicht gefallen konnte. Die wissensdurstigen Zeitgenossen richteten ihr Augenmerk auf den Himmel. Nicht den religiösen, sondern den astronomischen. Sie entwickelten erste Teleskope und schauten immer tiefer ins All. Dabei realisierten sie, dass an der Vorstellung vom Himmelsgewölbe irgendetwas nicht stimmen konnte.
Den Rest der Geschichte kennen wir. Das All wuchs immer weiter, je besser die Teleskope wurden. Und nun der grosse Durchbruch. 30 Jahre lang tüftelten Forscher an einem neuen Gerät, das einen Blick bis fast zum Urknall zurück erlauben sollte. Das James-Webb-Teleskop übermittelt seit ein paar Tagen Bilder aus einer Entfernung von 1,5 Mio. Kilometern über das All, die selbst die Wissenschaftler verblüffen.
Die Signale, die das Webb liefert, übersteigen unser Fassungsvermögen. So entdeckte es einen Himmelskörper, der 12,9 Milliarden Jahre entfernt ist. Zum besseren Verständnis: Ein Lichtjahr bedeutet etwa 9,4 Billionen Kilometer. Man rechne: 13 Milliarden mal 10 Billionen …
Die ersten Bilder des neuen Teleskops öffnen den Blick auf Tausende von Galaxien. Wissenschaftler erhoffen sich von den Aufnahmen weitere Erkenntnisse über die Zeit kurz nach dem Urknall vor rund 13,8 Milliarden Jahren. Bekannt ist aber heute schon, dass es Milliarden von Galaxien gibt. Bei diesen Zahlen wird uns schwindlig. Deshalb ist die Frage naheliegend, ob es da draussen noch andere Planeten gibt, die Wasser enthalten und ähnliche Temperaturen aufweisen wie bei uns auf der Erde. Voraussetzungen, die Leben ermöglichen könnten. Nimmt man die Wahrscheinlichkeitsrechnung zu Hilfe, muss man sagen: ja, sicher.
Die renommierte Astronomin und Astrophysikerin Lisa Kaltenegger sagte es in einem Interview so: «Alleine unsere Galaxie, die Milchstrasse, hat ungefähr 200 Milliarden Sterne – 200 Milliarden! Wenn jeder fünfte einen wohltemperierten Planeten hat, dann wären das rund 40 Milliarden Planeten – nur in der Milchstrasse. Bei dieser Überschlagsrechnung sind noch nicht einmal die Monde dabei. Planeten von der Grösse Jupiters etwa könnten mehrere Monde mit guten Bedingungen für die Entstehung von Leben haben. Selbst wenn wir vorsichtiger sind und nur von 10 bis 20 Milliarden Sternen mit geeigneten Planeten ausgehen, ist das immer noch eine enorm hohe Zahl. Und die Milchstrasse ist nur eine von Milliarden Galaxien.»
Angesichts der ersten Erkenntnisse und Zahlen des Webb-Teleskops stellen sich aber noch grundsätzlichere Fragen. Hat ein einzelner Gott all diese Galaxien erschaffen? Dieser vergleichsweise kleine Gott, der unserem Ebenbild gleicht, wie die Bibel verrät? Hat er mit einem Zauberstab die endlosen Sterne hervorgeholt und ins All entlassen?
Um die Erde zu erbauen, benötigte Gott angeblich sechs Tage. Hätte er für jeden der unendlich vielen Gestirne ähnlich viele Tage benötigt, hätte er unendlich lang gebraucht. Auf jeden Fall viel länger als die 13,8 Milliarden Jahre seit dem Urknall.
Kurz: Die Erkenntnisse sind nicht dazu angetan, die Vorstellung von einem Gott in Menschengestalt im Himmel zu untermauern. Entdeckt hat ihn auch das Webb-Teleskop nicht.